Jürgen
Glocker: "Madame Bovary und ihre Wiener Affäre"
Jürgen
Glocker, Germanist, Literaturwissenschaftler und Kulturschaffender, hat
seinen zweiten Roman vorgelegt, „Madame Bovary und ihre Wiener
Affäre“. Entgegen einem gängigen Onditgehört
der Autor nicht zu jener Gattung, die über andere Schriftsteller alles
weiß und selbst keine Romanzeile zustande bringt, denn er hat bereits
einen Erstlingsroman vorgelegt sowie Hörspiele und Erzählungen
veröffentlicht.
In seiner
Madame Bovary entführt der Autor Heinrich Drendorf, den Protagonisten aus
Adalbert Stifters „Nachsommer“, aus dessen Roman
und lässt ihn in Frankreich vom Wege abkommen und in den Kosmos Gustave
Flauberts nach Yonville in der Normandie geraten. Dort findet er sich
unversehens in einem Kreis örtlicher Honoratioren wieder, die ihren
willkommenen Gast in einer langen, höchst amüsanten Szene nicht nur in
ihre Welt einführen, sondern von der kommenden nationalen und
internationalen Bedeutung ihrer kleinen Gemeinde schwadronieren. Zwei
Figuren sind vor ihrem Spott nicht sicher, der Pfarrer, der mit großer
Geste zum Sachwalter abgelebten geistigen Gerümpels gestempelt wird, und
der Arzt, Dr. Bovary, als Dummkopf und Nichtskönner, wenn nicht gar
Quacksalber, verschrien. Von dessen attraktiver Ehefrau Emma Bovary sind
jedoch alle fasziniert, auch wenn hinter der Fassade üble Nachrede und
Missgunst lauern.
Als
Drendorfs und Madame Bovarys Welt sich berühren, geraten des Wieners
Zuhause und die auf ihn wartende Verlobte zu fernen Schemen einer bald als
langweilig empfundenen Welt. Der Künstler in ihm begehrt auf und wünscht
sich nichts sehnlicher, als die Enge seiner Konventionen zu sprengen.
Doch
begleiten wir Drendorf nicht nur auf seinen amourösen Abwegen, sondern
auch bei seinen Spaziergängen mit Flaubert, der Fleischwerdung des
Protagonisten in persönlichem Gespräch und persönlicher Beziehung zum
Schöpfer der Geliebten. Der wiederum nimmt mit Drendorfs Erfinder Stifter
einen Briefwechsel auf, der aufgrund der Gleichzeitigkeit der beiden
durchaus hätte stattfinden können, in Wahrheit aber nie geschah. Der Autor
amüsiert aber nicht nur diejenigen, die sich in
Flauberts
„Madame Bovary“ und Adalbert
Stifters „Nachsommer“ auskennen, sondern durchaus auch diejenigen,
die eine ganz besondere Art von literarischer Fiktion schätzen.
Glocker
schreibt in einer kunstvollen, jedoch niemals künstlichen Sprache, die
zu lesen ein außerordentliches Vergnügen bereitet, ohne sich jemals dem
Duktus des 19. Jahrhunderts anzubiedern. Er findet vielmehr einen
eigenen, unabhängigen Stil, der beides schafft, den Leser in Flauberts
und ebenso Stifters Welt zu entführen, dann aber in fulminanten Passagen
über die Zeit der in die Pflicht genommenen Dichter hinauszuweisen.
So
trägt
gerade zu Beginn des Romans
während der Unterhaltung der Honoratioren eine Art von Kammerton das
Geschehen, der erst einmal nicht zu enden scheint und dann in ein
Crescendo mündet, das einem den Atem nehmen kann! Ein Crescendo, das auf
fast unwirkliche Weise nach Entladung schreit, wie auch Drendorf, der
brave Sohn aus gutem Hause, geschrieen haben mag, wenn er es sich
erlaubte. Und er sieht alsbald in der Anbetungswürdigen, in der
Heiligen, die Hure, die nach der Erfüllung nicht mehr Lust oder gar
Liebe verspricht, sondern ihm sein Ich – nicht das ihre – vor Augen
führt, das nicht erlauben darf, was er gerade empfunden hatte. So lässt
er sich sogleich vom geradezu fassbar, im körperlichen Sinne fassbar
gewordenen Verbot des eigenen Verlangens überwältigen, dessen gnädigste
Variante ihn noch durch die Nichtbeachtung der weiblichen Reize in
Sicherheit wiegen lässt. Doch furchtbarer noch sind seine geträumten
oder auch nicht geträumten Visionen der Geliebten, die ausgerechnet an
der Seite eine Verwundung hat wie der Erlöser am Kreuz! Oder deren
Liebling, die
Katze – und nicht etwa die auf abstoßende Weise verstoßene Tochter
–, sterben muss, den „kleinen Tod“, doch nicht den des erfüllten
Liebesaktes, sondern den stellvertretenden der Geliebten. Die Geliebte
stinkt, leidenschaftliche Liebe lohnt nicht, weil sie Schmerzen
verursacht und die Sinne verwirrt. Nirgends wird schließlich die
verzehrende, hingebungsvolle Liebe beschrieben, immerhin aber ihr
Versprechen, die Schönheit der Gestalt, der Wunsch nach lebensspürender
Lust und Verführung.
Doch letztlich ist alles vergänglich und Drendorf „rettet“ sich in einem
imaginären Gewaltakt aus den Fängen der Liebe, die seine Vernunft nicht
erlaubt.
Als
die Dramatik des Geschehens ihren Höhepunkt erlebt, treten noch einmal
die beiden Dichter auf und Flaubert beginnt die Erzählung Stifters zu
lesen, die dieser ihm zugesandt hat und die er nicht veröffentlicht habe
und der dieselbe Geschichte nun von seiner Warte, seiner Stimmung her
berichtet. Drendorf tritt als Beobachter seiner selbst und der Bovary
auf und fügt sich in die ihm vorgegebenen Verhältnisse ein, den
Aufenthalt in Yonville bagatellisierend und über die Britischen Inseln
der Heimat und der Verlobten zustrebend.
Doch
Glockers Kunstgriff geht noch
weiter. Nachdenklich geworden läßt Flaubert die Schrift Stifters sinken
und sodann in der Schublade „verschwinden“ – er legt sie nicht hinein,
er lässt sie verschwinden! Auch das wohl eine Flucht, eine Furcht?
Unsicher, ob sein Gegenpart heillos hinter seiner Zeit hinterherhinke
oder ihn geistig längst überholt habe, bleibt er ratlos zurück.
Der
Autor tut seinen Lesern den Gefallen, Flaubert die Zweifel nicht
abzunehmen oder gar zum Schluss noch in eine literaturwissenschaftliche
Wertung zu verfallen. Insofern bleibt er seinem Roman
auf eine wunderbare Weise treu, denn es kommt nicht allzu selten vor,
dass Autoren am Ende ihre Romane
verraten.
Einen
versteckten Hinweis auf die Zeitlosigkeit der Geschichte erlaubt sich Glocker, wenn er eine
Gewissheit, eine Maxime mit einer gewissen Brutalität
ans Ende stellt: Dass Leute wie der salbadernde Opportunist aus der
Honoratiorenrunde zu jeder Zeit das Kreuz der Ehrenlegion erhielten. „Sie
würden immer den Preis davon tragen. Immer.“