"Frauen um Stefan George"
Herausgegeben von Ute Oelmann und Ulrich Raulff
"Verachtung des weibes:
[...] Wir befeinden nicht die frau, sondern die moderne frau, die
stückhafte, die fortschrittliche, die gottlos gewordene frau" (Aus:
"Jahrbuch für die geistige Bewegung", zitiert durch Ute Oelmann, S.
143).
Es ist die Negierung der Frau als solches, die Gertrud Simmel dazu
treibt, im Winter 1911/12 drei Briefe an Stefan George zu schreiben.
Gertrud Simmel ist die Frau des Philosophen und Dichterfreundes Georges
Georg Simmel. Sie selbst, so Ute Oelmann, hatte ihre "selbstständige"
Karriere für ein Leben als Mutter aufgegeben (vgl. S. 145). Gertrud
Simmel war auch Autorin, sie veröffentlichte unter Anderem ein Buch mit
dem Titel "Realität und Gesetzlichkeit im Geschlechtsleben".
Ute Oelmann bezeichnet die Jahrbuchsätze als "ganz eindeutig auf ihr
Buch" (S. 152) antwortende, die zwischen George und Simmel
wechselnden Mitteilungen bewegen sich auf dem heißen Grat zwischen
persönlicher Bekanntschaft, die durch zwischenmenschliche Sympathie wohl
auch getragen wird, und theoretischen Überzeugungen, die nicht ohne
Verschleierungen geäußert werden können, sollte es nicht zu bloßem Hass
kommen, denn eine klare Aussage Georges aus den handschriftlichen
Kommentaren im Buch zum Geschlechtsleben von Simmel ist: "die ganzen
fragen existieren nicht in einer religiösen welt / Sie sind und müssen
sein wie jeden frau / irreligiös" (S. 152). Da scheint dann doch
jedwede Argumentation im freien Raum zu verpuffen, gegen eine solche
Einstellung müsste jedes weitere Wort wie Plastik auf einer heißen
Herdplatte sein. Doch frei von zwischenmenschlichen Beziehungen zu den
Frauen ist George ganz und gar nicht - Gertrud Simmel, eine "'Freundin'
Stefan Georges [...] und sie nennt ihn ihrerseits 'Freund'." Der
Bund der Männer um George und das Bild eines die "Poetik der
Entschiedenheit" Tragenden, wie Wolfgang Braungart dies bezeichnet
(S.59-83), seien auch etwas, hier ein wenig verkürzt formuliert, das man
in der "Sozio-Poetik" Georges begreifen lernen muss, indem man
den "Geist der Radikalität [... sic!], der in der deutschen Kultur
seit der Romantik
ist" begreifen lernt (Braungart, S. 83).
Diese radikale realhistorische Seinsweise erinnert an einen Roman von
Katherine Burdekin, die 1937 fünf Jahre nach dem Tod Georges unter dem
Pseudonym Murray Constantine in London den Roman "Swastika Night"
veröffentlicht, in dem das von George dargestellte Frauenbild nahezu
analog in einem post-hitlerianischen Reich umgesetzt wird: Die Frau ist
kein innerer Bestandteil der Gesellschaft mehr, sie dient dem
Fortbestand der Männer. Ernst Osterkamp beschreibt die
psychobiografische Entwicklung zur Tilgung der Frau im Werk Georges
chronologisch und minutiös.
"Unüberwindbarer Ekel gegenüber dem natürlichen Vorgang der Geburt
und gegenüber dem Frauenkörper, der ein neues Leben hervorbringt und
aufzieht, hat diese Verse diktiert, sie sind in der Überzeugung
geschrieben, dass die Regeneration des Lebens [...] ausschließlich dem
männlichen Körper als dessen geistige Tat anvertraut werden kann, ein
Denkmodell, mit dem George seit dem Maximin-Zyklus des [...] Siebenten
Rings gespielt und das er im Stern des Bundes perfektioniert hat."
(Osterkamp, S 14).
Natürlich mündet georgesche Misogynie nicht zwangsläufig in
nationalsozialistischer Frauenfeindlichkeit einer Fiktion wie der von
Katherine Burdekin und entspringt auch nicht dem einzelnen Denken Stefan
Georges. Frauenfeindlichkeit oder Ausgrenzung der Frau aus einem
kulturellen Kreis ist ein alter Hut, und den Ekel über Vorgang der
Geburt und dem Aufziehen von Kindern kennen letztlich auch die
französischen Existenzialisten Beauvoir
und
Sartre sehr gut. Was Osterkamp in seinem Essay werkchronologisch
aufzeigt, ergänzen die in dem von Ute Oelmann und Ulrich Raulff
herausgegebenen Sammelband "Frauen um Stefan George" folgenden Aufsätze
über die Frauen, die im Leben Georges eindeutig eine (gewisse) Rolle
spielten, zum Beispiel Ida Coblenz, Sabine Lepsius, Gertrud Kantorowicz,
Erika Schwarzkopff und Gertrud Simmel. Dabei wird vor allem der
lebensinhaltliche Aspekt von entscheidender Bedeutung: Dass sich
Bekanntschaften durch die Männer in Georges Leben oder durch das Leben
selbst einfach ergeben, dass es Briefwechsel gab, dass George Frauen
natürlich nicht generell ablehnte, dass er sie gar als wichtige Statuten
in selbigem konstatieren konnte: "Bei der Lektüre des Buches
[von Sabine Lepsius über Stefan George nach dessen Tod] stieß Ida
Dehmel [geborene Coblenz] auf das Diktum Georges über Ida Coblenz: er
habe anfangs in Berlin kaum einen Menschen gekannt, 'ausser Einer, und
die war meine Welt'" (Elisabeth Höpker-Herberg, S. 98).
Die Beziehung zwischen Coblenz und George grundsätzlich war eine
schwierige. Ida Coblenz "fand wie verwachsen in Ihnen [George] der
Mensch mit dem Künstler ist" (S. 93), sie war fasziniert von
George, dieser aber fühlte sich von Coblenz in seinem Schaffen
missverstanden: "Sie wollten sehen was in meinen werken form, was
mit blut geschrieben ist ... zu meinem bedauern! denn sehen darf man
solchen nie. Die kunst - meine kunst vielmehr - kann kein erlebnis
keine erregung unmittelbar wiedergeben" (S. 93). So zeigt sich
einmal mehr, mit welcher Entschiedenheit George seine innere Poetik
getragen hat und verworfen, was dieser nicht entsprochen hat.
Erst als Ida Coblenz verheiratet ist, scheint sich die Bindung zwischen
ihr und George auf einer neuen Ebene einzufinden. Und ein Weiteres
verbindet die Beiden: eine gewisse Abneigung gegen Sex, jenes "grässliche".
Es ist außerdem diese immer wieder genannte "[charismatische]
Führerschaft" (Ute Oelmann und Ulrich Raulff, S. 7), die von
Stefan George ausging, der mit dem Bild sich um ihn scharender Jünglinge
assoziiert wird und doch den Einen, Hugo von Hofmannsthal, nicht
bekommen konnte. Dieser Stefan George, der im Gedichtband "Der Teppich
des Lebens" im Gedicht "Urlandschaft" von einem Familienbild schreibt: "Und
in der weissen sonnen scharfem glühn / Des ackers froh des segens
neuer mühn / Erzvater grub erzmutter molk / Das schicksal nährend für
ein ganzes volk." Nicht ganz unverständlich also, dass zwei seiner
Kumpanen, Gundolf und Wolters, für das "Jahrbuch für die geistige
Bewegung" eine Absage an die moderne Frau schreiben.
Dass es aber auch eine Reflexion über die Frau im Kontext zu George als
modernem Lyriker geben kann, zeigt der Aufsatz von Jürgen Egyptien, der
sich mit der Poetin und Journalistin Margarete Susman auseinandersetzt,
die als Rezensentin gegenwärtiger deutscher Lyrik an George nicht
vorbeikam und vorbeikommen wollte. Die Auseinandersetzung mit der
Dichtung Georges führte sogar dazu, dass Susman einen ihrer Gedichtbände
vor dem Neudruck zurückzog (vgl. S. 160).
Hinlänglich bekannt über namenstragende Persönlichkeiten sind letzten
Endes gewisse Kategorien, gewisse "Ismen", gewisse Anekdoten. Auch
dieser Sammelband wird mit ihnen nicht aufräumen können, der Kern einer
Plattitüde oder einer verfälschenden Aussage trägt doch immer
irgendetwas Wahres. Das Interessante an den hier vorliegenden
Forschungsbeiträgen, die während eines Kolloquiums im April 2008 in
Marbach entstanden sind, ist der Blick aus verschiedenen Perspektiven
auf das Verhältnis Stefan Georges zu den Frauen. Dabei umkreisen
einander die unterschiedlichsten Quellen, bestimmte Nebensätze
beleuchten einander in einem weiteren Aufsatz näher, und es wird dem
Leser klar, dass der Perspektivenwechsel, der neue Blick auf eine
Materie ein notwendiger ist, um ein bisschen näher zum Gegenstand zu
finden, den man zu ergründen gesucht hat.
(Christin Zenker; 08/2010)
"Frauen um Stefan George"
Herausgegeben von Ute Oelmann und Ulrich Raulff.
Wallstein Verlag, 2010. 296 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
Ulrich Raulff: "Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben"
"Auch Totsein ist eine Kunst", hat der einstige George-Jünger Max
Kommerell einmal bemerkt. Stefan George hat diese Kunst meisterhaft
beherrscht. Wo andere Dichter eine Rezeptionsgeschichte haben, da hat er
ein Nachleben. Eines, das es in sich hat.
Ulrich Raulff legt in seinem Buch die postume Biografie Georges frei,
die es noch zu entdecken gilt. Spannend, kurios, exzentrisch, schräg,
zugleich akribisch recherchiert, erzählt es die Geschichte eines
einzigartigen Kreises voll illustrer Charaktere, der langsam zerfällt,
Allianzen bildet und Feindschaften pflegt, um Deutungshoheit und Treue
ringt und dabei vom annus horribilis 1933 bis zum Satyrspiel 1968
beinahe nebenher eine höchst außergewöhnliche Wirkungsgeschichte
entfaltet. Eine abgründige Ideengeschichte, eine kaputte
Apostelgeschichte und ein Lesevergnügen der exquisiten Art. (C.H. Beck)
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Ernst Osterkamp:
"Poesie der leeren Mitte. Versuch, Stefan Georges Neues Reich zu
verstehen"
Stefan George, der bedeutendste Dichter des Symbolismus in
Deutschland, ist wieder ins Zentrum des Interesses gerückt. Große
Biografien haben seine schillernde Persönlichkeit, seine Ansichten zur
Politik und den männerbündischen "George-Kreis" ausgeleuchtet, weniger
jedoch seine schwierigen Gedichte. Ernst Osterkamp widmet sich in
seinem brillanten Essay Georges spätem Buch "Das Neue Reich". Aus
seiner Interpretation rekonstruiert er Georges Gedankengebäude und
führt es, präzise durchdacht und polemisch formuliert, ad absurdum.
(Hanser)
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Clotilde Schlayer: "Minusio. Chronik aus
den letzten Lebensjahren Stefan Georges"
Herausgegeben und mit Erläuterungen versehen von Maik Bozza und Ute
Oelmann.
Ein Dokument aus nächster Nähe über die letzten Lebensjahre von
Stefan George. Am 1. Oktober 1931 traf Stefan George in Minusio ein.
Er sollte das Bauerndorf bei Locarno nur noch für wenige Monate
verlassen, bevor er dort Ende 1933 starb. Bisher wusste man nur
wenig über diese letzte Lebensphase Georges. Clotilde Schlayer
betreute gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Walter Kempner, dem
Arzt Georges, den Dichter bis zu seinem Tod. Fast täglich schrieb
sie ihre Erlebnisse in Briefen nieder, aus denen sie später eine
Chronik des Lebens im Tessin komponierte. Dieser "Minusio-Roman"
dokumentiert das dortige Leben, die Gespräche über Alltägliches und
Weltbewegendes, so auch über Nationalsozialismus
und Judenfeindschaft. Dem Leser wird in Schlayers einfühlsamen
Berichten der alte Dichter in seiner Strickjacke unmittelbar vor
Augen gestellt. Sein Herrschaftswille hatte sich auf das Private
zurückgezogen, wir erleben ihn im eng gezogenen Kreis der
verbliebenen Freunde. (Wallstein Verlag)
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Bruno Pieger,
Bertram Schefold (Hrsg.): "Stefan George: Dichtung Ethos
Staat. Denkbilder für ein geheimes europäisches Deutschland"
Der Philosoph Manfred Riedel hat 2006 mit "Geheimes
Deutschland.
Stefan George und die Brüder Stauffenberg" eine Studie
vorgelegt, in der Georges Dichtung und die davon inspirierten
Freundeskreise als Verfechter eines noch verborgenen europäischen
Deutschlands sichtbar wurden. Nationalistischer Verengung genauso
entzogen wie radikalen rechten und linken Kampfparolen, bildet es
auf dem Hintergrund klassisch-humanistischer und christlicher
Überlieferung ein Gegengewicht zur modernen Weltentzauberung.
Die namhaften Beiträger des Sammelbandes knüpfen an dieses
Verständnis an. Zwei umfassende Deutungen zentraler Gedichte
Stefan Georges stehen voran. Das Verhältnis zwischen Dichtung und
Politik wird von Mallarmé aus beleuchtet und am Scheitern des
deutsch-jüdischen Gesprächs im George-Kreis reflektiert.
Darstellungen dreier weniger bekannter Personen aus dem
George-Kreis (Edith Landmann, Walter Elze und Rudolf Fahrner)
gewähren Einblicke in die Lebensführung von Freunden des Dichters.
Grundlegende Erörterungen sind der Frage nach dem Ethischen, dem
Verhältnis zur Natur und der Bedeutung der europäischen
Überlieferung bei George gewidmet. Sie werden um Bezüge zum Denken
Martin Heideggers und Hans-Georg Gadamers ergänzt.
Die Autorinnen und Autoren: Dr. Stefano Bianca, Dr. Christophe
Fricker, Prof. Dr. Jean Grondin, Dr. Reinhardt Knodt, Dr. Ludwig
Lehnen, Prof. Dr. Andrew J. Mitchell, Prof. Dr. Raymond C.
Ockenden, Prof. Dr. Wolfgang Osthoff, Bruno Pieger, Prof. Dr.
Manfred Riedel, Prof. Dr. Reimar Schefold, Prof. Dr. Wolfgang
Christian Schneider, Dr. Korinna Schönhärl, Prof. Dr. Harald
Seubert, Prof. Dr. Peter Trawny, Prof. Dr. Wolfgang Graf Vitzthum.
(Verlag für Berlin-Brandenburg)
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