Michael Madeja: "Das kleine Buch vom Gehirn"
Reiseführer in ein unbekanntes Land
Es gibt einige Mysterien,
deren Erforschung die Menschen vor immer neue Herausforderungen stellt:
die Tiefsee zum Beispiel oder das Universum
und natürlich auch das Gehirn, über dessen Komplexität man stets aufs
Neue ins Staunen geraten kann. Die Entwicklung von Methoden, die die
Erforschung des Gehirns im lebenden Menschen auf nichtinvasive Weise
erlauben, hat zu einem rasanten Anstieg an Studien und
Forschungsergebnissen im Bereich der Neurowissenschaften geführt.
Auch in der populärwissenschaftlichen Literatur sieht man ein
zunehmendes Interesse an neurowissenschaftlichen Themen, doch die
Grundlagen über die Funktionsweise des Gehirns werden dort zumeist nicht
behandelt. Hier setzt "Das kleine Buch vom Gehirn" des Neurologen
Michael Madeja an: In kurzen Abschnitten und allgemeinverständlicher
Sprache soll hier dem gänzlich unbedarften Laien ermöglicht werden, sich
ein grundlegendes Verständnis vom Gehirn zu erarbeiten. Madeja bedient
sich dabei vor allem jeder Menge Analogien. So hat beispielsweise jede
Nervenzelle im Mittel mit sechs- bis zehntausend anderen Nervenzellen
Kontakt. Um diese Anzahl zu verdeutlichen, empfiehlt der Autor sich
selbst mit einer Nervenzelle im Gehirn zu vergleichen und sich vor Augen
zu führen, mit wie vielen Menschen man selbst täglich Kontakt hat - vom
flüchtigen Augenkontakt in der Straßenbahn über das Zunicken eines
Kollegen bis zum Zusammensein mit seiner Familie. Dasselbe gilt dann für
alle anderen Menschen auf der Erde, wobei allerdings zu berücksichtigen
ist, dass es zehnmal mehr Nervenzellen im Gehirn gibt als Menschen auf
der Erde, dass jede Nervenzelle vielleicht hundertmal mehr Kontakte hat
als ein einzelner Mensch und dass das, was bei uns an einem Tag
passiert, im Gehirn in jeder Sekunde passiert. Mit diesem Beispiel will
der Autor einen Eindruck der komplexen Struktur "Gehirn" vermitteln.
Auch im weiteren Verlauf des Buches greift Madeja immer wieder auf
Vergleiche zurück. In acht Kapiteln behandelt der Autor zunächst ganz
grundsätzliches Wissen über den Aufbau des Gehirns und die Wirkweise
seiner Hauptbausteine, der Nerven- und Gliazellen. Anschließend widmet
er sich verschiedenen Funktionen: So beschreibt er wie das Wahrnehmen
verschiedener sensorischer Informationen funktioniert, also Sehen, Hören
und Fühlen, und wie diese Wahrnehmungen zu Verhalten und Organsteuerung
führen. Madeja beschreibt ebenfalls, wie sich das Gehirn entwickelt, wie
Lernen funktioniert und was wir über die höchsten Leistungen des
Gehirns, das heißt Denken, Bewusstsein
und Sprache,
wissen. Er geht er der Frage nach, was bei bestimmten Erkrankungen wie
Alzheimer oder Epilepsie im Gehirn passiert, und beschreibt schließlich
Methoden, die bei der Erforschung des Gehirns angewendet werden.
Am Ende gibt es ein Glossar mit 187 Begriffen und ein kurzes
Literaturverzeichnis mit verwendeter Fachliteratur, wobei man sich als
Leser hier vor allem eine kommentierte Liste weiterführender und
ebenfalls populärwissenschaftlicher Literatur gewünscht hätte.
Madejas Buch vom Gehirn wird seinem Anspruch, ein
allgemeinverständliches Buch über die Bau- und Funktionsweise des
Gehirns zu sein, absolut gerecht. Die Informationen werden in kleine
Häppchen aufgeteilt, die eine Art Überschrift haben (beispielsweise:
"Für den Ruhezustand braucht die Nervenzelle Energie!" Oder: "Bewusste
Bewegungen werden in der Hirnrinde geplant!" Oder: "Bei der Multiplen
Sklerose greift das Abwehrsystem Strukturen des Gehirns an!") und dann
im Rahmen von einer halben Seite bis maximal zwei Seiten besprochen
werden.
Was Madeja hier gelungen ist, ist wirklich bemerkenswert. Er hat die
Komplexität des Gehirns auf kleinere Informationseinheiten
heruntergebrochen, ist in der Lage diese Informationshappen mit Hilfe
von Vergleichen dem völlig unbedarften, aber interessierten Laien zu
erläutern und hat sich zudem auf gute zweihundert Seiten Text reduziert,
ohne dabei die Komplexität des Gehirns selbst unnötig zu reduzieren.
Wer Interesse an neurowissenschaftlichen Fragestellungen hat und eine
gewisse Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Grundlagen des
Gehirns mitbringt, kann mit Madejas Buch vom Gehirn auf einen sehr guten
Reiseführer durch dieses unbekannte Land zurückgreifen.
(Katja Dolge; 03/2010)
Michael Madeja: "Das kleine Buch vom
Gehirn.
Reiseführer in ein unbekanntes Land"
C.H. Beck, 2010. 223 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
David J. Linden: "Das Gehirn - ein Unfall der Natur. Und warum es
dennoch funktioniert"
Das Gehirn als elegantes Schöpfungswerk eines intelligenten Erschaffers?
- Im Gegenteil! Vielmehr ist der Sitz unseres Bewusstseins eine
unvollkommene Bastelei auf Grundlage veralteter Modelle früher
Evolutionsstufen. Sie hat nur einen entscheidenden Vorzug: Sie
funktioniert. Auch wenn man sich die Haare raufen möchte angesichts der
Fülle von Fehlleistungen, Unzulänglichkeiten und realitätsfernen
Einstellungen, die das Gehirn hervorbringt. David J. Linden beschreibt,
wie unser Gehirn aufgebaut ist und wie es arbeitet. Er stellt dabei
bewusst die "großen Fragen" der Neurowissenschaft nach Wahrnehmung und
Emotionen, Lernen und Individualität, Liebe und Sex und dem Bedürfnis
nach Religion. Und kommt so zu dem Schluss, dass nicht Gott das Gehirn
geschaffen hat, sondern das Gehirn sich seinen Gott.
Wie
Oliver Sacks fasziniert David J. Linden den Leser mit
überraschenden Fallbeispielen aus der psychiatrischen Praxis und aus
wissenschaftlichen Untersuchungen. Und wenn Sie wissen möchten, wie
Zähneputzen nach wenigen Sekunden einen
Orgasmus auslösen kann, dann lesen Sie dieses Buch. (Rowohlt
Berlin)
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Chris
Frith: "Wie unser Gehirn die Welt erschafft"
Ist die Welt real - oder lediglich ein Konstrukt unseres Gehirns? Und
wer ist eigentlich "Ich"?
In Ihrem Kopf gibt es eine erstaunliche Vorrichtung, die Ihnen jede
Menge Arbeit erspart - und die darin effizienter ist als die
modernsten Computer: Ihr Gehirn. Tag für Tag befreit es Sie von
Routineaufgaben wie der bewussten Wahrnehmung der Objekte und
Geschehnisse um Sie herum sowie der Orientierung und Bewegung in der
Welt, so dass Sie sich auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben
konzentrieren können: Freundschaften zu schließen, Beziehungen zu
pflegen und Ideen auszutauschen.
Wie sehr all das, was wir wahrnehmen, ein von unserem Gehirn
geschaffenes Modell der Welt ist, wird uns kaum je bewusst. Doch noch
überraschender - und vielleicht beunruhigender - ist die
Schlussfolgerung, dass auch das "Ich",
das
sich in die soziale Welt einfügt, ein Konstrukt unseres Gehirns ist.
Indem das Gehirn es uns ermöglicht, eigene Vorstellungen mit anderen
Menschen zu teilen, vermögen wir gemeinsam Größeres zu schaffen, als
es einer von uns alleine könnte. Wie unser Gehirn dieses Kunststück
vollbringt, beschreibt dieses Buch. (Spektrum Akademischer Verlag)
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Maxwell Bennett, Daniel Dennett, Peter Hacker, John Searle:
"Neurowissenschaft und Philosophie. Gehirn, Geist und Sprache"
Als der Neurowissenschaftler Maxwell Bennett und der Philosoph Peter
Hacker anno 2003 den voluminösen Band "Philosophical Foundations
of Neuroscience" veröffentlichten, war dies nicht nur die
erste systematische Untersuchung der begrifflichen Grundlagen der
Neurowissenschaften. Es war auch der Startschuss für den bis heute
intensiv geführten Kampf um die Deutungsmacht in Bezug auf den
menschlichen Geist. Besonders kritisch fiel seinerzeit die
Auseinandersetzung der beiden Autoren mit den einflussreichen
Arbeiten von Daniel Dennett und John Searle aus - also mit jenen
beiden Denkern, die von der neurowissenschaftlichen Seite gerne als
philosophische Gewährsmänner herangezogen werden. Mit
Neurowissenschaft und Philosophie ist nun das Kunststück gelungen,
die vier kongenialen "Streithähne" in einem Band zu versammeln.
Im ersten Teil des Buches wird das zentrale Argument von Bennett und
Hacker präsentiert, das unter Anderem jene begrifflichen
Verwirrungen offenlegt, denen Neurowissenschaftler allzu häufig
unterliegen, wenn sie aus ihren empirischen Forschungen die
bekannten weitreichenden Schlussfolgerungen etwa über das Wesen des
Menschen ziehen. Der zweite und dritte Teil sind ganz der Debatte
gewidmet: Auf die Einwände von Dennett und Searle folgen erneute
Erwiderungen von Bennett und Hacker. Den Abschluss bildet ein kurzer
Epilog von Maxwell Bennett, gerahmt wird das Ganze durch eine
Einleitung und eine Schlussbetrachtung des Philosophen Daniel
Robinson.
Der Band zeigt vier Meister ihres Fachs in einem Duell auf höchstem
Niveau, ausgetragen mit einem gehörigen Schuss Leidenschaft. Darüber
hinaus bietet er eine ausgezeichnete und vor allem gut lesbare
Zusammenfassung über den Stand der Dinge; lebendige Wissenschaft par
excellence. (Suhrkamp)
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Louann
Brizendine: "Das männliche Gehirn. Warum Männer anders sind als
Frauen"
Anhand neuester Erkenntnisse der Gehirnforschung und lebensnaher,
eindrücklicher Beispiele bringt die Autorin die gängigen
Stereotype über Männer ins Wanken.
Louann Brizendine ist Gründerin der ersten us-amerikanischen
Klinik für die Untersuchung geschlechtsspezifischer Unterschiede
in Gehirn, Verhalten und Hormonen. In diesem Buch zeigt sie, wie
stark sich die männliche Realität von der weiblichen
unterscheidet. Mit der gleichen Detailgenauigkeit, die auch ihr
vorangegangenes Buch auszeichnete, untersucht sie das männliche
Gehirn in jeder Lebensphase, vom Säugling bis ins hohe Alter, und
vermittelt einen tiefgreifenden Einblick in die männliche
Denkweise. (Hoffmann und Campe)
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Louann Brizendine: "Das
weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer"
Warum gebrauchen Frauen 20 000 Wörter am Tag, während Männer
nur 7000 schaffen? Warum erinnern sie sich an Konflikte, von
denen Männer meinen, es habe sie nie gegeben - und das, obwohl
ihr Gehirn um 9 Prozent kleiner ist? Erstmals wurde das
weibliche Gehirn erforscht. Brizendine zeigt, warum Frauen die
Welt so gründlich anders
sehen als Männer. (Goldmann)
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