James R. Gaines: "Das musikalische Opfer"
Johann Sebastian Bach trifft Friedrich den Großen am Abend der Aufklärung
Bach und Friedrich der
Große, die beiden in diesem Buch als Gegenspieler dargestellten Genies
des 18. Jahrhunderts, begegneten sich 1747 zum ersten Mal. Bach war
damals 62 Jahre alt, Friedrich der Große stand in seinem 35.
Lebensjahr und war seit 1740 König in Preußen.
Beide sind Vertreter
unterschiedlicher Geistesrichtungen: Geist und Mythos stehen gegen
Aufklärung und Vernunft. Bach verkörperte die überzeugte Religiosität in
der Tradition Luthers, die Friedrich der Große überwunden hatte
zugunsten einer aufgeklärten und von der Vernunft bestimmten
Geisteshaltung. Der Kampf der beiden Prototypen dieser unterschiedlichen
Gesinnungen kulminierte in der Aufgabe, die Friedrich der Große Bach
übertrug: zu einem vorgegebenen kontrapunktischen Thema eine
dreistimmige, später sogar eine sechsstimmige Fuge zu komponieren. Man
konnte darin eine fast unerfüllbare Aufgabe sehen, mit der Friedrich der
Große den Meister der Komposition in die Knie zwingen wollte. Bach
gelang es jedoch mit seiner Komposition, die später als "Musikalisches
Opfer" in die Musikgeschichte eingegangen ist, Friedrich den Großen noch
zu übertrumpfen.
Mit dieser Eingangsthese beginnt Gaines seine Doppelbiografie über Bach
und Friedrich
den Großen.
Letzterer war Zeit seines jungen Lebens Zielscheibe eines zornigen,
aufbrausenden und grausamen Vaters, der als launischer und wütender
Monarch seine gesamte Umwelt tyrannisierte und schikanierte. Friedrich
war als leidenschaftlicher Musikliebhaber und Komponist nicht
unbeschadet aus dem demütigenden Verhältnis zu seinem Vater
herausgekommen. An dem sehr viel älteren Bach versuchte er in dieser
Episode sein gebrochenes Vaterverhältnis zu wiederholen. Bach war der
fleißige, biedere, gläubige und bestimmende Patriarch einer großen
Familie und ließ sich von dem Monarchen nicht bezwingen.
In den folgenden Kapiteln wird noch einmal in einem Abriss auf die
preußische Geschichte mit ihrem Vielvölkerstaat und der Kleinstaaterei
eingegangen. Luther und die Folgen der Reformation,
der
Dreißigjährige Krieg, die höfische Lebensart und wechselnde
Monarchen, die mehr oder weniger gebildet den Künsten und
Geisteswissenschaften entsprechend aufgeschlossen oder ablehnend
gegenüber standen, gewähren tiefe Einblicke in die deutsche
Vergangenheit.
Es bleibt nicht bei den Beschreibungen über das Leben bei Hofe: In
ausgedehnten Darlegungen werden musiktheoretische und philosophische
Überlegungen zur Kompositionslehre abgehandelt. Parallel dazu wird die
Ahnengeschichte der Familie Bach aufgeführt.
Die Trauerkantate "Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit", BWV 668, die
Bach im Alter von 22 Jahren zur Aufführung brachte, zeigt nach Gaines
ein Genie, das mit der h-Moll-Messe, der Matthäus-Passion und vielen
anderen seiner berühmten Werke seine Krönung erfährt.
Mit der Gegenüberstellung des frommen musikalischen Genies von Bach und
des ebenfalls begabten aber störrischen, aufgeklärten und klugen
Friedrichs des Großen umfasst die Doppelbiografie beider Männer ein
umfangreiches Kapitel deutscher Geistes- und Herrschaftsgeschichte.
Neben den theoretischen Details aus Geschichte und Musik sind es
wissenswerte Erkenntnisse über die Charakterentwicklung von Friedrich
dem Großen, die man mit Faszination und Staunen zur Kenntnis nimmt.
Gaines schreibt in einem wunderbar lockeren, leichten und eingängigen
Stil, so dass man sofort mitten im Leben der damaligen Zeit ist. Die
Fülle des Materials auf nur 350 Seiten mit einem ausführlichen Anhang
und Quellennachweis ist überwältigend.
Geistesleben und politisches Leben bedingen einander. Macht, Moral,
Herrschaft, Kunst, Philosophie und Forschung sind hier in ihrem
Zusammenspiel überzeugend dargelegt.
(Claudine Borries; 05/2010)
James R. Gaines: "Das musikalische Opfer.
Johann Sebastian Bach trifft Friedrich den Großen am Abend der
Aufklärung"
Eichborn - Die Andere Bibliothek, 2009. 384 Seiten.
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