Gustave Flaubert: "Bouvard und Pécuchet"


Flaubert über die menschliche Dummheit

Kann man "Bouvard und Pécuchet", Flauberts letztem und leider Fragment gebliebenem Roman tatsächlich mehr als hundert Jahre nach seinem Erscheinen größere Aktualität denn je zusprechen, wie es uns der Umschlagklappentext suggerieren möchte? Durchaus, denn in gewisser Hinsicht haben wir es hier schon mit einem zeitlosen Roman zu tun. Als der Roman über die menschliche Dummheit wird Flauberts letztes Werk gern bezeichnet, und diese menschliche Dummheit grassiert ja heutzutage ebenso wie vor hundert Jahren, nur dass die daraus resultierenden Folgen in der heutigen Zeit fatalere Auswirkungen haben könnten, fataler, als man sich das damals überhaupt hätte träumen lassen.

Hier zunächst das Wesentliche zur Romanhandlung: Bouvard und Pécuchet, zwei biedere Büroschreiber und Kopisten, die der Zufall zum Stelldichein gebeten hat, erkennen rasch ihre Geistesverwandtschaft und schließen Freundschaft miteinander. Eine Erbschaft erlaubt es den beiden, ein Landgut zu erwerben, sich dorthin zurückzuziehen, um ganz nach ihren Neigungen zu leben und zu wirtschaften. Nach dem unverhofften Reichtum fühlen sich Bouvard und Pécuchet zu merkwürdigen Dingen berufen, die aber allesamt fehlschlagen. Sie befassen sich nacheinander mit Landwirtschaft und Gartenbau, Geografie und Geologie, mit den Geschichtswissenschaften, mit Kunst, Literatur, Theologie und anderen Dingen. Und immer suchen sie dabei ihr Heil im Schubladendenken, ihr Wissen schöpfen sie aus Büchern, ein unzulängliches, nur unzureichend verstandenes Wissen allerdings, ein Detailwissen ohne das Verständnis für größere Zusammenhänge. Nach außen hin gebärden sich Bouvard und Pécuchet - aufgrund der durch ihren plötzlichen Reichtum erworbenen Selbstüberschätzung - wie zwei Pfauenhähne, innerlich hängen sie aus der Illusion geborenen Träumen nach oder ergehen sich in Fantasien, die regelmäßig ins Nichts führen. Bouvard und Pécuchet entwickeln sich zu regelrechten Exhibitionisten spießbürgerlicher Einfalt, die alle Urteilskraft durch zweifelhafte Imagination zu ersetzen suchen. Was schief gehen kann, das geht ihnen auch schief, oft schaffen sie es sogar, gerade Dinge krumm zu kriegen.

Im Grunde lässt der Handlungsverlauf des Romans ebenso wenig eine Zielrichtung erkennen wie der konfuse Aktionismus der beiden Titelhelden. Es ist die in Bouvard und Pécuchet verkörperte menschliche Dummheit, die in aufgeblähtem, dünkelhaftem Stolz durch die Handlung stolpert. Und es ist vor allem das Traurig-Groteske, das Flaubert in den Vordergrund stellt, daneben aber auch das Grausam-Groteske als mit beherrschenden Charakterzug des dummen Menschen. Das alles wird von Flaubert mit trockener aber dennoch ätzender Ironie beschrieben. Eine recht pessimistische Haltung spricht aus Flauberts Roman, eine An- und eine Wehklage gegen die philiströse Borniertheit eines engstirnigen Bürgertums. Und Bouvard und Pécuchet als Vertreter eines solchen Spießbürgertums können keine Lehren ziehen, sie lernen weder aus der Geschichte noch aus ihrer Beschäftigung mit den diversen Natur- und Geisteswissenschaften. Bouvard lernt immerhin, an die menschliche Dummheit zu glauben sowie an die Macht dieser Dummheit. Er erkennt, dass die Tölpel die Wählermasse bilden und folglich der Narr die Welt regiert.

Die Quintessenz aus "Bouvard und Pécuchet": Alles verfügbare Wissen kann die geistige Armut des Menschen nicht mindern, denn weder Intelligenz noch Bildung schützt uns vor einer bestimmten Art von Dummheit. In gewisser Weise erscheinen Bouvard und Pécuchet wie vorweggenommene Karikaturen der Nutzer des weltweiten Datennetzes, die Gefahr laufen, vor dem Wust der dort abrufbaren Informationen den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Und somit ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Flauberts unvollendet gebliebener Roman auch heute noch ein großes Maß an Aktualität für sich reklamieren kann.

(Werner Fletcher; 10/2010)


Gustave Flaubert: "Bouvard und Pécuchet"
(Originaltitel "Bouvard et Pécuchet")
Aus dem Französischen von Erich Wolfgang Skwara.
Insel, 2010. 408 Seiten.
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