Andrea De Carlo: "Als Durante kam"


Ein Reitlehrer als Lackmustest von Beziehungen: Stimmt die Chemie?

Am Osthang des Apennin, in einem abgelegenen Gebiet der Marken, leben weit verstreut über die Hügellandschaft einige Aussteigerfamilien: ein englischer Historiker, das Ehepaar Morlacchi, das Ferien auf dem Bauernhof und Reitstunden anbietet, die Industriellenfamilie Livi und schließlich auch der Ich-Erzähler Pietro mit seiner österreichischen Lebensgefährtin Astrid Neumann. Seit sieben Jahren leben die beiden mit ihrem Hund Oscar in einem selbst renovierten Landhaus von der Herstellung handgewebter Textilien. Ihr bescheidenes Leben ist bestimmt von Routine, von gleichförmigen Tagen, von gemeinsamer Arbeit, dem samstäglichen Marktbesuch im nächstgelegenen Städtchen - Pietro ist bislang durchaus der Meinung gewesen, sie wären zufrieden, vielleicht sogar glücklich.

Wie aus dem Nichts steht an einem heißen Tag im Mai Durante vor der Tür. Auf dem Hof Morlacchi soll er Reitstunden geben. Sein sanftes und doch bestimmtes, direktes Auftreten macht aus ihm einen begabten Pferde- und Hundeflüsterer. In jedem Augenblick ist er nur auf sein Gegenüber konzentriert; er hat offensichtlich keine Vergangenheit und denkt nicht an die Zukunft; weltliche Güter bedeuten ihm nichts. Seinem rauen Charme verfallen alle Frauen des Tales, die Männer sind ausnahmslos irritiert und eifersüchtig. Das Paar Astrid und Pietro macht hierbei keine Ausnahme.

Als Astrids Schwester Ingrid zu Besuch kommt und sich bei einem Sturz von Durantes Pferd verletzt, wird die Situation komplizierter: Sie verbringt einige lange Abende mit dem Reitlehrer. Astrid wird rasend eifersüchtig, und auch Pietro muss sich nach schmerzlich schlaflosen Nächten eingestehen, dass er sich eigentlich zu Ingrid mehr hingezogen fühlt als zu seiner langjährigen Lebensgefährtin. Das bisher scheinbar so harmonische Leben gerät in wilde Schlingerbewegungen.

Der August lässt Pietro schließlich endgültig an der gemeinsamen Zukunft mit Astrid zweifeln. Soll er, wie vereinbart und seit Jahren üblich, zu ihr nach Graz reisen, wo sie den Sommer bei ihren Eltern verbringt? Die seltenen Telefonate zwischen den beiden verheißen nichts Gutes für die Weiterführung der Beziehung.

Plötzlich taucht Durante wieder auf - nach Ingrids Unfall wurde er aus dem Reiterhof entlassen. Nachdem Pietro einen ganzen heißen Sommertag bei körperlicher Arbeit mit ihm verbracht hat, fasst er - langsam, sehr langsam - Vertrauen zu ihm.

Durante lädt sich selbst ein, mit Pietro in Richtung Norden, nach Österreich zu fahren, er möchte jemanden in Genua besuchen. Pietro akzeptiert wider Erwarten und gegen seine eigene Überzeugung diese Selbsteinladung und lässt sich auf einen viele Tage und Hunderte Kilometer langen Umweg ein. In Genua und später in Zürich erlebt er Einblicke in Durantes Vergangenheit, findet zunehmend Gefallen an dessen exzentrischer und ephemerer Lebensweise und empfindet nach nächtelangen Diskussionen auch echte Freundschaft.

Wie fast alle der bisher erschienenen Bücher von Andrea De Carlo besticht auch "Als Durante kam" durch belebte Darstellungen menschlicher Regungen in der Bandbreite von abgründigem Hass bis zu kritikloser Verehrung. Besonders gern und erfolgreich lässt er in seine Bücher Schilderungen von Lebensweisen abseits des Zeitgeists, Aussteiger und Exzentriker, einfließen. In kurzen Dialogen zeigt er die Beziehungen zwischen den Protagonisten knapp und eindrücklich, meist auch mit humorvollen Wendungen.

In den emotionalen Extrem- und Krisensituationen werden die Personen des Romans, allen voran der Ich-Erzähler Pietro, auf archetypische Verhaltensweisen zurückgeworfen. Der italienische Erfolgsschriftsteller regt an, auch aus neuen Blickwinkeln über Grundfragen zwischenmenschlicher Beziehungen nachzudenken: Wann ist ein Mann attraktiv? Wenn er aussieht wie ein Filmstar oder wenn er sich kompromisslos auf seine Gesprächspartner und vor allem Partnerinnen einlässt? Wann - wenn überhaupt - ist Eifersucht gerechtfertigt? Was fasziniert Mädchen und junge oder sich jung fühlende Frauen an Pferden? Wie viel Anwesenheit braucht eine Beziehung? Wie viele fremdgängerische Tagträume verträgt sie?

Das komplizierte Beziehungsgeflecht, das Andrea De Carlo in den ersten zwei Dritteln des Buches um Durante und sein Pferd aufbaut und in der für ihn typischen, zwischen Sympathie und Distanz oszillierenden Erzählweise beschreibt, kippt leider gegen Ende, bei den freundschaftlich langen nächtlichen Dialogen zwischen Durante und Pietro, in den Stil eines seichten Lebensweisheitsbuchs nach dem Muster von Paulo Coelho. Doch nach fast vierhundert Seiten humorvoll tiefgründiger Menschenkunde ist das auszuhalten.

(Wolfgang Moser; 06/2010)


Andrea De Carlo: "Als Durante kam"
(Originaltitel "Durante")
Aus dem Italienischen von Maja Pflug.
Diogenes, 2010. 468 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Sie und Er"

Wahre Liebe gibt es nicht. Nur Beziehungen, die ein wenig Sicherheit geben - so sieht es Clare. Oder Affären - so Daniel. Bei einem Autounfall begegnen sich die beiden zum ersten Mal - nicht unbedingt der ideale Rahmen. Andererseits: Derart nüchtern beginnen nur die ganz großen Liebesgeschichten.
Daniel hat eine halbe Flasche Wodka intus und fährt viel zu schnell. In der Peripherie von Mailand kommt es zum Unfall - und zur ersten Begegnung mit Clare. Clare ist US-Amerikanerin und liiert mit einem Anwalt, der ihr die nötige Sicherheit gibt. Daniel ist Schriftsteller und Vater zweier halbwüchsiger Kinder. Die Literatur ödet ihn nur noch an, genauso wie die Frauen. Mit dem Unfall beginnt zwischen Clare und Daniel ein Wechselspiel von Anziehung und Abstoßung, von geschenkten und verpassten Momenten. Mailand, Ligurien, die Provence und Kanada sind nur die äußeren Stationen einer Suche nach Echtheit und Ehrlichkeit - in einer Liebe, die eigentlich kaum möglich scheint. (Diogenes)
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