Julio Cortázar: "Rayuela"


Himmel und Hölle

"Rayuela", Titel dieses bemerkenswerten Buches, ist die Bezeichnung für ein weltweit verbreitetes Kinderspiel, das im deutschsprachigen Raum zumeist unter "Himmel und Hölle" bekannt ist. Dabei werden rechteckige Felder auf den Boden gemalt und dann kleine Steinchen nach einem bestimmten System vom unteren Ende der Zeichnung zum oberen Ende bugsiert. Von der Hölle in den Himmel sozusagen. Zur Veranschaulichung für den Leser wird dem ersten Kapitel des Romans eine Illustration vorangestellt, die solch eine Kinderzeichnung zeigt. Ebenfalls vorangestellt hat der Autor seinem Roman einen Wegweiser, eine Art Gebrauchsanweisung für seine Leser. Darin betont Cortázar, dass es sich bei "Rayuela" nicht um ein Buch handelt, sondern um mehrere, vor allem aber um zwei Bücher. Cortázar erklärt das wie folgt: "Das erste Buch lässt sich in der üblichen Weise lesen. Es endet mit dem Kapitel 56, unter dem sich drei auffällige Sternchen befinden, die gleichbedeutend sind mit dem Wort Ende. Folglich kann der Leser auf das verzichten, was folgt. Das zweite Buch lässt sich so lesen, dass man mit dem Kapitel 73 anfängt und dann in der Reihenfolge weitermacht, die am Fuß eines jeden Kapitels angegeben wird." Entscheidet sich der Leser für diesen zweiten Weg, so lässt er sich auf das Sprunghafte eines Himmel-und-Hölle-Spiels ein, auf ein Hin- und Herblättern im Buch. Damit wird dem Leser viel abverlangt, denn die bruchstückhaft aneinandergereihten Kapitel wollen sich partout nicht zu einem Ganzen fügen. Ständig zündet Cortázar die Nebelkerzen des Surrealismus und verundeutlicht damit etwaige Zusammenhänge. Die Diskontinuität der Handlung tut ein Übriges, immer neue Themen jagen einander, die assoziativen Verknüpfungen sind derart locker, dass Zusammenhänge nur schwer auszumachen sind.

Trotzdem kann dieses Buch Suchtpotenzial entwickeln, es überzeugt auf ganzer Linie, egal für welche Variante des Lesens man sich entscheidet. Auf gar keinen Fall sollte man dem wohl eher ironisch gemeinten Rat des Autors folgen, (der auch wohl eher die Neugierde des Lesers anstacheln wird), und die Kapitel 57-155 "getrost beiseite lassen." Denn gerade hier finden sich immer wieder literarische Perlen, bedeutungsprall und sinngesättigt kommen viele dieser Kapitel daher und einige enthalten auf nur einer Seite mehr Substanz als ganze aufgeblasene Massenverkaufsschwarten auf tausend Seiten. Allerdings finden sich hin und wieder auch Kapitel, die mir eher als reine Ausstattungskomponenten erscheinen, die mehr Nippes als Substanz sind.

Cortázar hat seinen Roman in drei Teile gegliedert: "Vom anderen Ufer", "Vom hiesigen Ufer", "Von anderen Ufern". Also auch wieder drei Bücher, wenn man so will. "Vom anderen Ufer" meint unter Anderem vom Ufer der Seine, die Handlung spielt im Paris der frühen fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, wo sich eine Gruppe intellektueller Bohemiens zusammengefunden hat, sich als Schlangen-Club bezeichnet, um bei Alkohol und Jazz über Musik, Literatur und den Sinn des Lebens zu diskutieren. Hauptprotagonist ist ein gewisser Horacio Oliveira, ein intellektueller Zyniker, seine Freundin La Maga, deren richtiger Name allerdings Lucia lautet, verkörpert als Gegenpol die naive Unschuld. Als Horacio die Maga verliert und der Schlangen-Club sich auflöst, kehrt er nach Argentinien zurück "ans hiesige Ufer", wo sich die Handlung des zweiten Teils "Vom hiesigen Ufer" abspielt. Horacio trifft dort mit Traveler, einem alten Jugendfreund, zusammen. In dessen Frau Talita glaubt Horacio Oliveira die Maga wiederzuerkennen. Er halluziniert, verschanzt sich am Ende in einer Irrenanstalt und beobachtet von einem Fenster aus, wie die Patienten im Hof Himmel und Hölle spielen. Dieses Spiel wird im übertragenen Sinne von vielen der im Roman agierenden Personen teils bewusst, teils unbewusst gespielt.

Der dritte Teil des Buches "Von anderen Ufern" beinhaltet jene Kapitel, die nicht unbedingt gelesen werden müssen, wer sie allerdings auslässt, macht sich - wie bereits angesprochen - eines schweren Versäumnisses schuldig. Auch wenn sich hier zahlreiche Nebenhandlungen mit dem roten Erzählfaden aus Buch 1 verwickeln und es dem Leser schwer machen, diesem roten Faden im erzählerischen Labyrinth auf der Spur zu bleiben. Eine zentrale Rolle spielen hier die Aufzeichnungen eines gewissen Morelli, eines alternden Schriftstellers, der fast ein alter ego von Cortázar sein könnte. Vor allem Morellis Werke sind es auch, die im Schlangen-Club diskutiert werden. Morelli lebt gar im selben Haus, in welchem auch Horacio und die Maga wohnen, einem Treffpunkt für die Mitglieder des Schlangen-Clubs, ohne dass diese aber etwas von der Nähe des Schriftstellers ahnen. Erst als Morelli bei einem Verkehrsunfall verletzt wird, weil er auf einer Hundescheiße ausgerutscht ist, erfahren seine Jünger etwas davon. Sie besuchen den Schriftsteller im Krankenhaus. Im Buch heißt es unter Anderem von Morellis Werken: "Was Morelli anstrebt ist, die geistigen Gewohnheiten des Lesers aufzubrechen. Morelli ist ein Künstler, der eine bestimmte Vorstellung von der Kunst hat, und die besteht in erster Linie darin, dass die gebräuchlichen Formen zu verwerfen sind, etwas durchaus Übliches bei jedem guten Künstler. Was ihn zum Beispiel auf die Palme bringt, ist der Roman nach Art eines chinesischen Rollbilds. Ein Buch, das man von Anfang bis Ende liest, wie ein gehorsames Kind." Die Parallelen zu "Rayuela" sind unverkennbar. An anderer Stelle heißt es: "Die Erzähltechnik von Leuten wie Morelli ist nichts weiter als eine Aufforderung, das eingefahrene Gleis zu verlassen." Oder: "Las man das Buch, hatte man zuweilen den Eindruck, dass Morelli erwartet hatte, die Häufung von Fragmenten werde sich mit einemmal zu einer Gesamtrealität kristallisieren. Aber allzu sehr konnte man der Sache nicht trauen, denn Zusammenhang hieß ja im Grunde, Assimilation an Zeit und Raum, Anordnung nach den Wünschen des Leser-Weibchens. Morelli wäre nicht damit einverstanden gewesen." Das alles scheint auch irgendwie auf Cortázar und seinen Roman "Rayuela" zu passen. Ein entscheidender Hinweis findet sich noch auf der Seite 628. Oliveira sagt da: "Im ersten Band war eine Stelle schrecklich kompliziert, dieser Mensch hier und ich haben stundenlang diskutiert, ob beim Drucken der Texte ein Irrtum unterlaufen ist oder nicht." Das trifft haargenau auf das 34. Kapitel von "Rayuela" zu, wo man die Zeilen wie folgt lesen muss: eins, drei, fünf, sieben und so weiter und zwei, vier, sechs, acht ...

Cortázars Ironie kommt hier zum Ausdruck, wie eigentlich im gesamten Roman immer wieder. Eine sowohl wohlwollende als auch wohltuende Ironie, die niemals aufs Beleidigen oder Verletzen aus ist. Und mit sicherem Instinkt spürt Cortázar dem Absurden in der Verzweiflung nach, dem Komischen im allzu Ernsten. Sein Wortschatz gleicht einer schier unerschöpflichen Schatztruhe, und "Rayuela" ist wie eine sprachliche Wundertüte, die kuriose Wortschöpfungen gebiert: "Kilizpt er dir die Murte? Und lässt er dich die Plinien zwischen die Arbusen legen? Ja, und dann wabern wir uns die Porzien." Ein weiteres Beispiel: "Da sie des Klienten und seiner Klinozephalie überdrüssig waren, nahmen sie ihm die Klivie und den Klusil weg und ließen ihn eine Klobasse schlucken. Dann verpassten sie ihm ein klinisches Klistier auf der Kloake, obwohl er kleptophobisch klagte wegen des so klystronisch durch die Klüse jagenden Wassers, während die Klystonen in der Klimax wie auf einem Klavizitherium revoltierten." Daraus spricht eine unverhohlene Lust an sprachlicher Anarchie. Und die perfekt herausgearbeiteten sprachlichen Nuancen werfen denn auch ein anerkennendes Licht auf den Übersetzer.

Cortázars "Rayuela" kann man mit Fug und Recht als ein wichtiges, wenn nicht sogar als das wichtigste Werk in der Literatur Argentiniens bezeichnen. Christian Hansen schreibt in seinem Nachwort, dem er eine Widmung an den Übersetzer Fritz Rudolf Fries voranstellt: "Damit wird der Roman zu einem Ort der Vielstimmigkeit und utopischer Begegnungen, wo man als Leser Freundschaften fürs Leben schließt." Eine Aussage, die auch der Rezensent nur unterstreichen kann.

(Werner Fletcher; 09/2010)


Julio Cortázar: "Rayuela. Himmel und Hölle"
(Originaltitel "Rayuela")
Aus dem Spanischen von Fritz Rudolf Fries.
Mit einem Nachwort von Christian Hansen.
Suhrkamp, 2010. 656 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen

Julio Cortázar wurde am 26. August 1914 in Brüssel geboren. Mit seinen argentinischen Eltern zog er im Alter von vier Jahren in einen Vorort von Buenos Aires. Er absolvierte dort an einer sogenannten "Escuela Normal " eine Ausbildung zum Grundschullehrer und nahm ein Universitätsstudium auf, das er aber er aus finanziellen Schwierigkeiten frühzeitig abbrechen musste. Er arbeitete dann als Lehrer in verschiedenen Provinzschulen und begann in dieser Zeit, sich ernsthaft dem Schreiben zuzuwenden. 1938 erschien ein erster Gedichtband, und 1944 veröffentlichte er seine erste Erzählung in einer Zeitschrift. Im selben Jahr erhielt er an der Universität von Mendoza (Argentinien) eine Dozentur für französische Literatur, aber schon 1946, aus Protest gegen den Wahlsieg Peróns, legte er sein Lehramt nieder. Er veröffentlichte weiter in Zeitschriften, ließ sich zum Übersetzer für Englisch und Französisch ausbilden und erhielt 1951 ein Stipendium des französischen Staates. Er ging nach Paris, wo er bis 1974 als Übersetzer für die "UNESCO" tätig war. In Paris verfasste er 1963 auch den Roman "Rayuela" (dt. "Rayuela. Himmel und Hölle "), der in den 1960er-Jahren zum "Kultbuch" einer ganzen Generation von Intellektuellen und Studenten wurde. Seit Mitte der 1960er-Jahre erschienen erste Übersetzungen seiner Erzählungen ins Französische, Italienische, Deutsche und Englische, und sein internationaler Ruf begann stetig zu wachsen. Es sind vor allem seine Erzählungen (die deutsche Gesamtausgabe, "Die Erzählungen ", erschien 1998 bei Suhrkamp), die Cortázar bald zu einem der originellsten und kreativsten Autoren Lateinamerikas machten. Seit den 1960er-Jahren engagierte sich Cortázar, wie viele lateinamerikanische Intellektuelle, zunehmend politisch, unterstützte die kubanische Revolution, die Regierung Allendes und später auch die sandinistische Revolution in Nicaragua.
Sein Gesamtwerk umfasst außer Romanen und Erzählungen auch Theaterstücke, Lyrik und verschiedene Bände mit Kurzprosa; es weist ihn als einen der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts aus.
Julio Cortázar starb am 12. Februar 1984 in Paris.

Weitere Buchtipps:

Horacio Quiroga: "Die Wildnis des Lebens. Gesammelte Erzählungen"

In einer intensiven und mitreißenden Weise umkreisen Quirogas Erzählungen oft große, schwere Themen wie Tod, Wahnsinn oder unglückliche Liebe. Tatsächlich war Horacio Quirogas Leben derart geprägt von Tragödien und Verlust, dass es schwerfällt, Leben und Werk nicht miteinander kurzzuschließen. Quiroga erzählt vom Ringen des Einzelnen angesichts eines Daseins, das sich stets als größer als er selbst und letztlich unbezwingbar erweist. Dabei verliert dieses Ringen nie an Spannung - atmosphärisch dicht, psychologisch genau, im Ton bisweilen fast lakonisch entspinnt Quiroga fesselnde Geschichten vom Horror und Mysterium des Auf-der-Welt-Seins. Ein moderner Klassiker der Weltliteratur.
Horacio Quiroga wurde 1878 in der uruguayischen Stadt Salto als Sohn des argentinischen Konsuls geboren. Nach Kindheit und Jugend in Uruguay verbrachte er den Großteil seines Lebens in Argentinien - ein Leben voller Schicksalsschläge, Gewalt und Abenteuer. 1937 beging er nach einer Krebsdiagnose Selbstmord.
Quiroga gilt als einer der Begründer der modernen lateinamerikanischen Literatur und entfaltete seine Meisterschaft vor allem in kurzen Prosaformen. Poe, Maupassant und Kipling hat er selbst als seine wichtigsten Vorbilder benannt. (S. Fischer)
Buch bei amazon.de bestellen

Ariel Magnus: "Ein Chinese auf dem Fahrrad"

Ramiro, Zeuge bei der Gerichtsverhandlung gegen den vermeintlichen Brandstifter Li, wird in das chinesische Viertel von Buenos Aires entführt. Mehr Gast als Geisel lernt er eine völlig neue Kultur kennen und verliebt sich in die hübsche Chinesin Yintai, die ihm mit ihren Liebesspielen und ihren Reden für eine chinesische Vormachtstellung in der Welt die Sinne raubt.
Dieser ungezügelt komische Roman führt den Leser in die Wunderwelt chinesischer Miniläden, ins Chinesenviertel von Buenos Aires, und ist eine witzige Liebeskomödie.
Die ganze Stadt sucht einen mysteriösen Brandstifter, Fosforito (das Streichhölzchen) genannt, der, so das Gerücht, nach seinen Untaten immer auf einem Fahrrad flüchten soll - er ist ja ein Chinese. Li passt genau ins Bild, und so wird er verhaftet. Bei seiner Verurteilung nimmt er eine Geisel, den Computerfanatiker Ramiro. Er entführt ihn ins Chinesenviertel von Buenos Aires, und zwischen den beiden entwickelt sich eine Freundschaft. In einer merkwürdigen Abwandlung des Stockholm-Syndroms findet Ramiro immer mehr Gefallen an seinen Entführern und ihrer Welt, in der er zwar kein Wort versteht, aber immerhin den besten Sex seines Lebens hat. In dieser Welt steht alles Kopf: Sein Bewacher bittet ihn, bei einem großangelegten Einbruch mitzumachen, seine Liebhaberin will nur an der frischen Luft mit ihm schlafen, und Li gesteht, dass alles eine große Verwechslung war. Als Ramiro merkt, dass Li gar nicht Fahrrad fahren kann und die großen jüdischen Machtkämpfe doch chinesische sind, wird es Zeit für ihn, auch einmal selbst eine Entscheidung zu treffen.
Ariel Magnus wurde 1975 in Buenos Aires geboren. Er studierte in Deutschland, schrieb für verschiedene Medien in Lateinamerika und die "taz" in Berlin und lebt heute als Autor und literarischer Übersetzer in Buenos Aires. Im Jahr 2007 wurde er für seinen Roman "Ein Chinese auf dem Fahrrad" mit dem internationalen Literaturpreis "Premio La otra Orilla" ausgezeichnet. Das Buch wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. (Kiepenheuer & Witsch)
Buch bei amazon.de bestellen

Eduardo Sacheri: "Warten auf Perlassi"

Vom Bahnhof sind es noch sechs oder sieben Kilometer bis O'Connor, einem kleinen Dorf, das seit den 1990er-Jahren von der Landkarte Argentiniens verschwunden ist. Aráoz steigt als Einziger aus dem Zug, sieht sich verloren um. Der Bahnhofsvorsteher nimmt ihn in seinem Wagen mit zur alten Tankstelle, die auch Zimmer vermietet. Es ist die Tankstelle von Perlassi, seinem Fußballidol aus Kindertagen. Von ihm will Aráoz erfahren, was damals wirklich passiert ist, als Perlassis Mannschaft ein entscheidendes Spiel verlor und damit den Anfang ihres schmählichen Abstiegs einläutete - ein Abstieg, der in Aráoz' Erinnerung eng mit dem Fortgang des Vaters verknüpft ist. Doch statt seines Idols steht ein alter Mann an der Zapfsäule: Perlassi sei für ein paar Tage unterwegs, seine Rückkehr ungewiss. Aráoz lässt sich nicht abweisen, zu Hause erwarten ihn nur eine leere Wohnung und zu viele Gedanken. Während er in der schäbigen Pension ausharrt, kommt er der Wahrheit ein gutes Stück näher und lernt, sich mit der schlimmsten aller Niederlagen auszusöhnen.
Eduardo Sacheri wurde 1967 in Buenos Aires geboren. Er ist Professor für Geschichte und unterrichtet an Universitäten und Gymnasien. (Berlin Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Antje Hinz: "Argentinien hören"

Eine musikalisch illustrierte Reise durch die Kulturgeschichte Argentiniens von den Mythen der indigenen Ureinwohner bis in die Gegenwart.
Am 25. Mai 1810 setzten Kreolen den spanischen Vizekönig ab und erklärten ihre Unabhängigkeit vom spanischen Königreich.
Der 25. Mai ist heute der höchste Nationalfeiertag in Argentinien. (Silberfuchs)
Hörbuch-CD bei amazon.de bestellen

Barbara Potthast, Sandra Carreras: "Eine kleine Geschichte Argentiniens"
Seit seiner Unabhängigkeit von Spanien ist das Land, das Schriftsteller wie Borges, Tangosänger wie Carlos Gardel und Ikonen wie Evita Perón hervorgebracht hat, von einer wechselvollen Geschichte gezeichnet: Brutale Diktaturen folgten auf populistische Regierungen, und die Wirtschaftskrise von 2001 bedeutete für große Teile der Bevölkerung den Verlust ihres gesamten Hab und Guts. Daneben blüht das kulturelle Leben vor allem in der Hauptstadt Buenos Aires, die mit zahlreichen Buchhandlungen, Theatern und Kinos glänzt.
Der Band behandelt die politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen in Argentinien, angefangen bei der Kolonialzeit, über die Unabhängigkeit bis hin zu den heutigen Herausforderungen, denen das Land sich stellen muss. (Suhrkamp)
Buch bei amazon.de bestellen

Martín Caparrós: "Wir haben uns geirrt"

Caparrós hat einen provokanten Roman über ein längst nicht aufgearbeitetes Kapitel argentinischer Geschichte geschrieben. Der Erzähler Carlos - gebrochen, zweifelnd, einmal ätzend scharf, dann wieder melancholisch im Ton - ist ein faszinierender, vielschichtiger Antiheld. Seine Geschichte ist die einer (nicht nur argentinischen) Generation, die daran glaubte, die Welt zu verändern, am Anfang eines gerechten Zeitalters zu stehen, und kläglich gescheitert ist. Carlos' Kampf fand 1977 jäh ein Ende, als seine Frau verhaftet wurde. Ihr Schicksal ist seitdem ungeklärt. Resigniert sieht er zurück, zweifelt an den alten Idealen. Richtet er seinen Blick auf das heutige Argentinien, packt ihn ohnmächtige Wut. Die Frage nach dem Sinn politischer Militanz und Utopien, nach Aussöhnung oder Vergeltung lassen ihn nicht los. Er trifft sich mit den Tätern von damals - vermeintliche Sieger, die dennoch nicht unbeschadet aus dem Krieg hervorgegangen sind. Dann stößt er auf die Geschichte eines Pfarrers, der den Folterern allabendlich den Segen erteilte ...
Eine mutige Auseinandersetzung mit Argentinien und ein furioses Stück Literatur.
Martín Caparrós wurde 1957 in Buenos Aires geboren. Er ging 1976 ins Exil, studierte in Paris an der Sorbonne Geschichte, lebte in Madrid und New York, leitete Literaturzeitungen, übersetzte Voltaire, Shakespeare und Quevedo, erhielt 1992 den "Premio Rey de España", 1994 ein "Guggenheim-Stipendium" und 2004 den "Premio Planeta Latinoamérica" für seinen Roman "Valfierno", war in der Jury des "Premio Cervantes" und schrieb mehrere Bücher. Heute lebt er als Schriftsteller und Journalist in Buenos Aires. Er zählt zu den führenden Intellektuellen seines Landes. (Berlin Verlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Rodolfo Walsh: "Das Massaker von San Martín"

Am 9. Juni 1956 wird im Stadtteil Florida in Buenos Aires eine Gruppe Männer verhaftet und abtransportiert. Sie stehen im Verdacht, in einen Aufstand gegen die Regierung verwickelt zu sein, der zu der Zeit gerade stattfindet. Nur wenige in der Gruppe haben überhaupt eine Ahnung, worum es geht und wessen man sie bezichtigt. Aber die Angelegenheit nimmt ihren Lauf, und in dem Ort San Martín kommt es zum Massaker. Doch es gibt Überlebende.
Walsh ist der Sache mit den Mitteln des investigativen Journalismus nachgegangen, hat die Überlebenden gefunden, befragt, hat ihre Aussagen überprüft und verglichen, und was er hier vorlegt, ist die spannende Geschichte eines ungeheuerlichen Vorgangs in der Nach-Perón-Zeit, eine "wahre Geschichte", geschrieben wie ein Krimi. Sie ist heute ein Klassiker der argentinischen Literatur und eines der frühen Beispiele für das, was man als nichtfiktionalen oder dokumentarischen Roman bezeichnet hat.
Rodolfo Walsh wurde 1927 in der Provinz Río Negro geboren. Er war der Abkömmling von irischen Einwanderern. 1977, während der Militärdiktatur in Buenos Aires, wurde er von Sicherheitskräften entführt und getötet, nachdem er in einem Offenen Brief die Militärjunta gegeißelt hatte. Rodolfo Walsh war Journalist und Schriftsteller. Er gilt heute als Klassiker der modernen argentinischen Literatur. (Rotpunktverlag)
Buch bei amazon.de bestellen

Norma Huidobro: "Der verlorene Ort"

María ist die einzige junge Frau, die noch in ihrem Dorf geblieben ist. Umso gieriger liest sie die vor Leben übersprudelnden Briefe ihrer Freundin aus Buenos Aires. Doch plötzlich reißt der Briefkontakt ab, und ein Fremder erscheint, der Marías Welt aus den Fugen geraten lässt.
Es ist ein heißer, trockener Tag in dem verlassenen Ort Villa del Carmen weitab von Buenos Aires. Die junge María steht hinter dem Tresen des einzigen Restaurants, als ein Fremder auftaucht. Ferroni, so stellt sich heraus, ist aus der Hauptstadt gekommen, weil er auf der Suche nach Marías Freundin Matilde ist, die als vermisst gemeldet wurde. Einmal schmeichelnd, dann wieder einschüchternd versucht er, María auszuhorchen. Die traut Ferroni nicht über den Weg und hält sich bedeckt. Marías unheilvolle Ahnung, dass die Freundin in Schwierigkeiten sein könnte, verdichtet sich immer mehr, und die Atmosphäre wird zunehmend bedrohlich.
Norma Huidobro, geboren 1949 in der Provinz Buenos Aires, ist Professorin für Literatur und leitete ein Schreibinstitut. Sie hat bisher zahlreiche Kinder- und Jugendbücher geschrieben. 2007 erschien ihr Romandebüt "Der verlorene Ort", der mit dem renommierten "Premio Clarín" ausgezeichnet wurde. Die Autorin lebt in Buenos Aires. (Hoffmann und Campe)
Buch bei amazon.de bestellen

Pola Oloixarac: "Wilde Theorien"
zur Rezension ...