Hektor Haarkötter: "Der Bücherwurm"

Vergnügliches für den besonderen Leser


Vom Bücherwurm zum Computervirus

"Vergnügliches für den besonderen Leser". So untertitelt Hektor Haarkötter seinen "Bücherwurm", ein schmales handliches Büchlein, in dem sich der Leser in der Tat bestens unterhalten fühlt. Auf relativ knapp bemessenem Raum erfährt man Wesentliches über tierische sowie menschliche Bücherwürmer, der Autor kann auf den circa 140 Seiten mit einem Staunen erregenden Reichtum an Details und Fakten aufwarten, um so dem Leser ein recht ausdifferenziertes Bild eines an sich nur schwer auslotbaren Wesens zu liefern.

Was sowohl menschlichen als auch tierischen Bücherwürmern zu eigen ist, ist ihre Angewohnheit, Bücher zu verschlingen, die einen auf metaphorische, die anderen auf eher buchstäbliche Art und Weise. Bücherwürmer sind in gewisser Hinsicht Besessene, Süchtige. Bezeichnend ist der Fakt, dass noch im 18. Jahrhundert vor übermäßigem Lesen gewarnt wurde, so wie heutzutage vor dem stundenlangen Glotzen auf einen Bildschirm gewarnt wird. Das galt damals selbstverständlich in erster Linie für die literarischen Ergüsse der lasziven Art. Aber wie ausschweifend die sexuellen Praktiken in der erotischen Literatur oder gar in gewissen pornografischen Machwerken auch immer gewesen sein mögen, das ist alles relativ harmlos gegen das bizarre Sexualverhalten der doch eher als bieder einzustufenden Bücherwürmer. Hektor Haarkötter liefert uns da einige staunenswerte Beispiele. Eines davon greife ich an dieser Stelle einmal auf, es handelt sich um die hinlänglich bekannte und verrufene Bettwanze (ja, auch sie marodiert in unseren Büchern und Bibliotheken). Erstaunlich ist zunächst einmal die Tatsache, dass ein Bettwanzenpärchen pro Tag bis zu 200 Geschlechtsakte zustande bringt. Dabei ejakuliert das Männchen solche Mengen an Sperma, dass es, auf menschliche Größenverhältnisse übertragen, etwa 30 Litern entsprechen würde. Und Sado-Masochismus ist dabei auch noch im Spiel. Da das Weibchen nämlich über keine Geschlechtsöffnung verfügt, ist das Männchen mit einem Bohr-Penis ausgestattet, der gleich einem Degen oder Bohrer die Körperhülle des Weibchens durchbohrt. Trotzdem liegt die Erfolgsquote der männlichen Bettwanze bei seinem Bemühen, den Fortbestand der Bettwanzen-Spezies zu sichern, nur bei etwa 30 Prozent. Das liegt daran, dass der Kerl einfach alles anbohrt, was ihm über den Weg läuft: Bettwanzenweibchen, arteigene Geschlechtsgenossen und sogar weibliche wie männliche Individuen anderer Arten.

Hektor Haarkötter gibt uns weitere haarsträubende Beispiele davon, was ein Bücherwurm zwischen zwei Buchdeckeln so alles anstellen kann. Aber was ist überhaupt ein Bücherwurm? Wie definiert beispielsweise der Autor den Bücherwurm? Bücherwurm, so klärt uns Hektor Haarkötter auf, ist eine Sammelbezeichnung für Schädlinge verschiedenster Art, die sich zwischen zwei Buchdeckeln heimisch gemacht haben und dort ihr Unwesen treiben. Zumeist handelt es sich dabei um Insekten wie Käfer oder Motten. Und da die meisten dieser Tiere eine Metamorphose durchmachen und den größten Teil ihres Lebens im wurmähnlichen Larvenstadium verbringen, taufte man sie logischerweise auf den Namen Bücherwurm. Am Anfang war es gar nicht so leicht, diesen destruktiven Gesellen auf die Schliche zu kommen, wie Hektor Haarkötter auf unterhaltsame und amüsante Art und Weise dokumentiert. Kennen Sie beispielsweise die Hamburger Gerichtstermite, ein schlaues kleines Biest, das sogar seine eigenen Spuren beseitigen konnte? Nein, vermutlich nicht. Geläufiger sind da schon die unheimliche Totenuhr, ein kleiner Käfer, der durch Klopfgeräusche nach einem altem Volksglauben dem Menschen die herannahende Todesstunde ankündigt, oder das gemeinhin als harmlos geltende Silberfischchen. Aber auch diese beiden Vertreter der großen Insektensippschaft frönen einer geradezu perversen Lust zur Zerstörung. Und das ausgerechnet in unseren Büchern.

Wer aber nun stellt wohl die größte Bedrohung für den Buchbestand in unseren Bibliotheken dar? Richtig, es ist der menschliche Bücherwurm, der übrigens von Gotthold Ephraim Lessing aus der Taufe gehoben wurde. Spitzweg hat ihm dann in seinem Gemälde "Der Bücherwurm" Gestalt verliehen. Neben diesem Buchliebhaber, der seinen Vandalismus im Buch auf Anstreichungen, geknickte Seiten und ähnliche, eher kosmetisch zu nennende Verfehlungen beschränkt, existieren aber noch andere Arten von menschlichen Bücherwürmern, und das sind die wirklich gefährlichen Schädlinge. Da gibt es beispielsweise die Bestandskontrolleure der Bibliotheken, die Millionen und Abermillionen von Büchern aussortieren und dann auf der Mülldeponie entsorgen. Allein an der katholischen Universität Eichstätt wurden im Jahre 2007 mehr als 80 Tonnen alte Bücher in den Müllcontainer geworfen. Man denke aber auch an die Aussortierung alter Schulbücher im Anschluss an die unsägliche Rechtschreibreform. Und nicht zu vergessen die Bücherverbrennungen im Dritten Reich, und auch in der ehemaligen DDR wurden systematisch Bücher vernichtet. Aber wie vergleichsweise gnädig zeigten sich doch die Nazis gegenüber ihnen unliebsamen Autoren, indem sie deren Werke verbrannten. In früheren Zeiten wurden Bücher nicht nur verbrannt, nein, sie mussten zur Strafe verspeist werden. Der Mensch wurde unfreiwillig zum Bücherwurm. Zurück zur Gegenwart! Kosteneffektive Verbreitung von Informationen lässt sich natürlich durch die neuen Medien besser bewerkstelligen als durch Bücher. Doch auch hier sind die Bücherwürmer bereits auf dem Vormarsch und schicken sich an, den Computerviren Konkurrenz zu machen. Der Ansturm auf Monitore und Computer hat eingesetzt, Zikaden und Thripse (Gewittertierchen) erweisen sich als Vorreiter des insektoiden Invasionsheeres und haben bereits für etliche Störfälle gesorgt.

Das alles und noch viel mehr erfahren wir in Hektor Haarkötters ungemein lesenswertem Buch. Der Leser bekommt vom Autor für den Kaufpreis ein erfrischendes literarisches Potpourri aus Kulturgeschichte, Entomologie und anderen Bereichen geliefert. Alles ist zuverlässig recherchiert. Nüchterne Fakten werden pointenspitz formuliert und fesseln so die Aufmerksamkeit des Lesers. Eine bemerkenswerte Informationsdichte lässt den Leser kaum zu Atem kommen. Dass das Buch trotzdem alles Andere als trocken und lehrbuchhaft wirkt, ist nur eines der zahlreichen Verdienste des Autors. Und ein reiches Anschauungsmaterial in Form von originellen Illustrationen rundet das Ganze ab.

Das Fazit, das Hektor Haarkötter aus seinen Recherchen im Milieu der Bücherwürmer zieht, lautet: Der Bücherwurm hat Zukunft, sowohl als Lebewesen wie auch als Metapher. Das Fazit des Rezensenten lautet: Ein jeder, der sich den besonderen Lesern zugehörig fühlt, (und welcher Leser fühlt sich damit nicht angesprochen?) sollte die paar Euro erübrigen können, um sich dieses Buch zuzulegen.

(Werner Fletcher; 02/2010)


Hektor Haarkötter: "Der Bücherwurm. Vergnügliches für den besonderen Leser"
Primus Verlag, 2010. 144 Seiten.
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