Andrea Bajani: "Mit herzlichen Grüßen"


Ein Briefroman der modernen Unternehmenskultur

Carlo Simoni, Verkaufschef eines großen italienischen Unternehmens, wird entlassen. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, Kündigungsschreiben zu verfassen. Doch nach seiner "Freisetzung" geht dieser Auftrag an einen jüngeren Kollegen, an den Ich-Erzähler. Sein Name wird an keiner Stelle im Buch erwähnt. Anonym agiert er jedoch keinesfalls. Seine Kündigungsschreiben sind lange und wohl formulierte persönliche Briefe, raffinierte sprachliche Kunstwerke, deren amikale Einleitungen nie eine abschließende und überraschende Wendung hin zur Kündigung vermuten lassen.

Eines Tages lädt Carlo den Briefschreiber - "Killer" genannt - zum Abendessen nach Hause ein. Dort entdeckt er die schwierige persönliche Situation seines früheren Kollegen, der nicht nur seine Arbeit verloren hat, sondern auch an Leberzirrhose leidet, ohne jemals Alkohol getrunken zu haben, und dessen Frau ihn verlassen hat. Carlo muss sich allein um die beiden Kinder kümmern, um Martina und Federico, mit denen sich der Kündigungsbriefschreiber rasch anfreundet und deren Betreuung er übernimmt, während Carlo im Spital ist, um eine Lebertransplantation vornehmen zu lassen.

Die Zeit vergeht, doch Carlos Gesundheitszustand verbessert sich nicht; er stirbt. Der Ich-Erzähler als enger Vertrauter begleitet sie durch die schwierige Zeit und übergibt die beiden schließlich der Mutter. Gleichzeitig muss er im Auftrag des Personalchefs die Trauerrede für den verstorbenen Kollegen schreiben. Dies erledigt er mit derselben stilistischen Brillanz wie die Briefe. Und wiederum verbirgt sich ein überraschendes Ende. Während der Personalchef die Rede vor der Trauergemeinde hält, setzt sich der "Killer" ab ...

Diese gelungene, weil gleichzeitig bissige und elegante Satire auf die moderne Unternehmenskultur ist das bislang einzige übersetzte Buch des italienischen Erfolgsautors, dessen Name im deutschen Sprachraum derzeit noch recht unbekannt sein dürfte. Auch in den anderen fünf Romanen des Turiners stehen großteils Themen der jüngeren Generation und ihrer Schul- und Arbeitswelt im Mittelpunkt.

Die kafkaesk im Fluss nach unten verlaufende Handlung dieses "Kündigungsbrief-Romans" gefällt durch die zahlreichen theatralischen Elemente, insbesondere in den kurzen und kurzweiligen Dialogen, die in ihrer Spontaneität mit den berechnenden "Killer"schreiben kontrastieren. Nie wird eine Reaktion auf die Briefe, die Keimzellen der Romanhandlung, bekannt. Dass ihnen nichts entgegengestellt wird, ja dass sie prinzipiell unwidersprochen und unangefochten bleiben, ist der Motor dieser Personalpolitik. Die Kündigungen sind auch Angelpunkte zwischen Beruflichem und der privaten Sphäre, die auch im Leben des Protagonisten immer mehr abnimmt. Erst mit dem finalen Brief beziehungsweise der Trauerrede überträgt die Firma das Leben der Angestellten wiederum der privaten Verantwortung - und nimmt gleichzeitig deren ökonomische Basis. Die Sprache wird bei Andrea Bajani zum einzig wirksamen gesellschaftlichen Werkzeug und zur erfolgreichsten Waffe des Profits.

Die Handlung ist im Jetzt der Gegenwart angesiedelt, sprachlich häufig im Präsens, nur die Eigennamen verweisen auf Italien. Ohne Kontextualisierung durch geografische oder historische Details wird daraus eine immer und überall gültige Aussage über den Zustand der heutigen Arbeitswelt. Nur der norddeutsche Ton der Übersetzerin stört bisweilen dieses Gefüge durch Regionalismen.

Ein lesenswertes Werk, das nicht nur literarisch, sondern auch gesellschaftspolitisch erhellend ist!

(Wolfgang Moser; 07/2010)


Andrea Bajani: "Mit herzlichen Grüßen"
Aus dem Italienischen von Pieke Biermann.
dtv premium, 2010. 140 Seiten.
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Andrea Bajani, am 16. August 1975 in Rom geboren, weiß, worüber er schreibt: "Ich habe siebenmal die Arbeitsstelle gewechselt, zeitweise habe ich fünf Jobs auf einmal gehabt und bis zu 12 Stunden am Tag gearbeitet."
Nach dem Erfolg seines dritten Romans "Mit herzlichen Grüßen" beschließt er 2005, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist er auch für das Theater und das Radio tätig und veröffentlicht in den Tageszeitungen "La Stampa", "L'Unità" und "Il Sole 24 ore". 2008 wurde er für seinen Roman "Se consideri le colpe" ("Bedenke die Schuld") mit dem "Premio Super Mondello", dem "Premio Recanati" und dem "Premio Brancati" ausgezeichnet. Andrea Bajani lebt in Turin.

Ein weiteres Buch des Autors:

"Lorenzos Reise"

Eigentlich will Lorenzo sich nur rasch seiner Sohnespflicht entledigen: Er ist nach Bukarest gereist, um an der Beerdigung seiner Mutter teilzunehmen. Angesteckt von der Goldgräberstimmung der 1990er-Jahre hatte sie auf der Suche nach dem schnellen Geld ihren kleinen Sohn in Rom zurückgelassen, um in Rumänien mit ihrem Liebhaber eine Firma aufzubauen. Als Lorenzo erfährt, dass sie beruflich wie privat gescheitert war, will er mehr über ihr Leben erfahren. Er bleibt und stellt sich endlich seiner Vergangenheit.
Virtuos erzählt Andrea Bajani vom Verlassenwerden und davon, wie man trotzdem erwachsen wird - und er lässt fassbar werden, was geschieht, wenn man sich auf der Suche nach Freiheit dem Diktat des Geldes unterwirft. (dtv premium)
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Weitere Buchtipps:

Ingo Schulze: "Orangen und Engel. Italienische Skizzen"

Mit 48 Farbfotografien von Matthias Hoch.
Schon bevor Ingo Schulze 2007 für ein Jahr mit seiner Familie in die Villa Massimo nach Rom zog, finden sich italienische Spuren in seinen Büchern. Die vorliegenden neun Erzählungen sind nun alle Italien gewidmet.
Der Ich-Erzähler, der offenbar Wert darauf legt, einem deutschen Stipendiaten der Villa Massimo ähnlich zu sein, berichtet von Rom, von den Ausflügen und Reisen nach Neapel, Apulien und Sizilien. Doch man kann nicht von Tempeln, Kirchen, Fresken und Bildern schwärmen, ohne dass illegale Einwanderer, Prostituierte und Touristen mit in den Blick geraten.
Vor dem Hintergrund mythischer Landschaften und antiker Ruinen gewinnen die alltäglich-unalltäglichen Erlebnisse, die Ingo Schulze in diesen Geschichten beschreibt, etwas Exemplarisches und bleiben zugleich vage und ambivalent. Das Heute wird durchlässig für die Schichten der Vergangenheit, auf denen wir uns bewegen. Diese Verknüpfungen gelingen so großartig, dass uns die "AS-Roma"-Hose, die für eine bessere Behandlung im Krankenhaus sorgt, ebenso in Erinnerung bleiben wird wie ein in Liebe zum Erzähler geratener Oktopus, ein rumänischer Gelegenheitsarbeiter vor dem Supermarkt, der wie in tausendundeiner Nacht fabuliert und doch zum Richter für den Erzähler wird, oder der gegen das Vergessen kämpfende Signor Candy Man, den die Liebe zu einer Frau einst in den Osten geführt hatte.
"Italienische Skizzen" sind auch die Fotografien von Matthias Hoch, der 2003 Stipendiat der Villa Massimo war. Sein Blick auf Italien ist genau und überraschend, doch nie distanziert. Unabhängig voneinander entstanden, führen hier Bild und Text ein Zwiegespräch von spröder Poesie. (Berlin Verlag)
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Claretta Cerio: "Mein Capri"
Wer heute nach Capri reist, dem kann vieles von dem alten Zauber, der den legendären Ruf der Insel begründet hat, entgehen. Claretta Cerio aber hat jene Zeit selbst erlebt: Als Tochter eines Deutschen und einer Italienerin auf Sylt und Capri aufgewachsen, verbrachte sie ihre intensivsten Jahre auf der Insel im Tyrrhenischen Meer, wo sie 1953 den Schriftsteller Edwin Cerio heiratete und zahlreichen Künstlerpersönlichkeiten begegnete. Jetzt erzählt sie die Geschichte der Capreser Villen und ihrer Bewohner: Sie weiß, in welcher Gesellschaft Wladimir Iljitsch Uljanow in der Villa Rossa feierte, bevor er als Lenin bekannt wurde, weshalb Alfred Krupp sich von den Capresen verstanden fühlte und warum Brecht die Insel eine "verdammte blaue Limonade" nannte. Sie berichtet von der parabelhaften Feindschaft zwischen dem Küstenstädtchen Capri und dem Bergdorf Anacapri, von der Schrulligkeit der deutschen Pensionsgäste der 1930er-Jahre und von Göttern und Naturgeistern, die der einsame Wanderer noch heute trifft, wenn er sich fern von allem Massentourismus auf die steilen Pfade des Monte Solaro wagt.
Auf unwiderstehlich charmante Weise lässt Claretta Cerio den Glanz vergangener Zeiten lebendig werden. Zugleich zeichnet sie klarsichtig und mit feinem Humor ein differenziertes Bild der Insel jenseits aller Klischees, die uns von Postkarten und Schlagern bekannt sind, und bringt uns so ihr Capri nahe. (Mare)
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Gaetano Cappelli: "Ferne Verwandte"
Carlino, einziger männlicher Nachkomme einer Olivenöl-Dynastie, wächst unter dem herrischen Regiment seiner Großmutter auf. Doch spätestens seit er erlebt, wie die Aufbruchstimmung der 1960er-Jahre bis in die süditalienische Provinz vordringt, hat Carlino eigene Vorlieben: die Popmusik, die erste heimliche Zigarette, das erste mehr oder weniger geglückte Liebesabenteuer. Und dann gibt es noch den Onkel aus Amerika, der ihm in schillernden Farben von einer Stadt namens New York vorschwärmt. Voller Beschreibungswitz, Einfallsreichtum und überbordend-sinnlicher Erzählfreude entwirft Gaetano Cappelli das unvergessliche Panorama einer italienischen Großfamilie.
Gaetano Cappelli, 1954 im süditalienischen Potenza geboren, gehört zu den renommiertesten Autoren Italiens und hat bereits mehrere preisgekrönte Romane geschrieben. "Ferne Verwandte" wurde vom italienischen Feuilleton gefeiert und gilt als sein Hauptwerk. (C. Bertelsmann)
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