Jürgen Osterhammel: "Die Entzauberung Asiens"

Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert


Früchte der Aufklärung

Die Beziehung und gegenseitige Einschätzung zwischen Europäern und Asiaten hat sich im Verlauf der Geschichte häufig gravierend gewandelt. Von Angst und feindseliger Befremdung über Dünkel bis hin zur Tolerierung der Andersartigkeit, aber auch Bewunderung waren alle Nuancen bereits vorhanden.

Das hier besprochene Buch liegt als Taschenbuchausgabe und Neuauflage mit aktuellem Nachwort vor. Jürgen Osterhammel befasst sich darin vor allem mit der europäischen Sicht auf die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, hauptsächlich der Befreiung dieser Sicht von mystischen Elementen (so ist die titelgebende Entzauberung gemeint) aufgrund wissenschaftlich motivierter Entdeckungsreisen und Berichte, und stellt diese den völlig veränderten Verhältnissen im 19. Jahrhundert entgegen. Bereits in der Einleitung weist er auf diese Diskontinuität hin und auf die fatalen Auswirkungen der Sichtweise des nationalistisch geprägten 19. Jahrhunderts mit dem europäischen Expansions- beziehungsweise Kolonialisierungsbestreben.

Die beiden Hauptteile des Buchs mit den Titeln "Wege des Wissens" und "Zeitgenossenschaft und Geschichte" sind in Kapitel und Unterkapitel gegliedert, die dem komplexen Thema einen roten Faden verleihen. Im ersten Teil geht es vor allem um das Asienbild in Europa während unterschiedlicher Epochen, insbesondere aber in der frühen Aufklärung, und um die Quellen, aus denen die Europäer ihr Wissen über Asien bezogen, oder mittels derer sie aktiv das Asienbild prägten - über zwangsläufige, unmittelbare Kontakte an den Grenzen, etwa zum Osmanischen Reich, Reisen zu wissenschaftlichen oder Handelszwecken zum Beispiel; Osterhammel zeigt auch auf, wie Hörensagen in Quellen einfloss oder diese nach Gutdünken uminterpretiert wurden.

Im zweiten Teil werden die europäisch-asiatischen Kontakte zunächst aus historischer Sicht untersucht. Es zeigt sich auch hier, dass vor allem führende Köpfe der Aufklärung wie Anquetil-Duperron dazu beitrugen, das Asienbild von düsteren und meist überzogenen oder völlig fiktiven Elementen wie einer typisch orientalischen, bestialischen Despotie in den asiatischen Reichen zu befreien. Auch geht der Autor differenziert auf die einzelnen Reiche oder kulturellen Großräume ein und weist darauf hin, dass etwa das viel geschmähte indische Kastensystem im Europa des 19. Jahrhunderts vergleichbar, wenn nicht schärfer ausgeprägt, existierte. Ein Kapitel befasst sich mit Frauen und bezieht natürlich auch die damalige Situation der europäischen Frau mit ein. Im abschließenden Kapitel betrachtet der Autor den durch die brutale Kolonialisierung vorangetriebenen Niedergang Asiens und den damit verbundenen völligen Respektsverlust der Europäer hinsichtlich der Asiaten samt dem zwanghaften Bedürfnis, Asien einen europäischen Stempel aufzudrücken.

Gerade in der heutigen Zeit, in der Europa stagniert und Asien zunehmend ein sehr ernst zu nehmender Mitspieler in der weltweiten Wirtschaft wird, kommen im Westen wieder Ängste auf, als bedrohten uns die Horden Dschingis Khans. Wie Osterhammel in seinem Buch aufzeigt, sind diese Ängste nichts Neues und können doch durch eine rationale, differenzierte Sichtweise beseitigt werden, wie es in der Aufklärung geschah, als man mit Interesse und gewissermaßen auf Augenhöhe nach Asien blickte. Zwischen den Zeilen zeigt sich sehr deutlich, dass der Autor diesen Zustand jenseits eines so unangebrachten wie schädlichen Eurozentrismus für ausgesprochen wünschenswert hält.

Osterhammel greift, wie aus dem Inhaltsabriss hervorgeht, die unterschiedlichsten Aspekte auf, sei es die allgemeine Historie, seien es kulturell oder wirtschaftlich bedingte Besonderheiten in den einzelnen asiatischen Reichen. Immer wieder nennt und zitiert er bedeutende Persönlichkeiten, die das europäische Asienbild geprägt haben, in welchem Sinne auch immer - wobei in diesem Buch die großen Aufklärer dominieren.

Es gelingt dem Autor, das höchst komplexe Thema sachlich und nachvollziehbar aufzuarbeiten; wenngleich der Anspruch hoch ist, sind zum Verständnis keine speziellen Vorkenntnisse außer einer guten geschichtlichen Allgemeinbildung vonnöten, und das Buch lässt sich auch von Laien gut lesen.

Ein interessantes und gerade hinsichtlich einer enger zusammenrückenden Welt sehr wichtiges Buch, das aufzeigt, welch großes Potenzial ein aufgeschlossener, wahrlich aufgeklärter Umgang Europas mit Asien birgt.

(Regina Károlyi; 06/2010)


Jürgen Osterhammel: "Die Entzauberung Asiens.
Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert"

C.H. Beck, 2010. 574 Seiten.
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