Egon Fabian: "Anatomie der Angst"
Ängste annehmen und an ihnen wachsen
Ein Buch, das die Angst
vor der Angst nimmt
Angst gehört seit Urzeiten zum Menschsein, denn ohne angemessene Ängste
kann der Mensch nicht überleben. In früheren Zeiten galt dies
beispielsweise für die Angst vor großen Raubtieren, heute, um ein banal
wirkendes Beispiel zu wählen, für die Angst vor einem Stromschlag, die
den Griff in die Steckdose verhindert.
Während gerade in unserem Kulturkreis viele fundamentale menschliche
Ängste, etwa jene vor dem Verhungern oder dem schutzlosen
Ausgeliefertsein an Unbilden
der
Natur - Erdbeben,
Blitzschlag, Vulkanausbrüche,
schwere Wirbelstürme - allenfalls noch am Rande eine Rolle spielen,
nimmt die Zahl der von Angststörungen Betroffenen massiv zu. Vielfach
wird die Angst, die einer psychischen Erkrankung zugrunde liegt, jedoch
auch in der Therapie gar nicht erkannt.
Das vorliegende Buch befasst sich mit der Natur, Ursache und Auswirkung
verschiedener Ängste sowie mit der Therapie, wie sie im Allgemeinen
durchgeführt wird, und wie sie idealerweise vorgenommen werden sollte.
Zunächst zeigt der Autor auf, was Angst ist, nämlich ein völlig "normales"
Phänomen; Menschen mit Angststörungen unterscheiden sich innerhalb
einer Gesellschaft von jenen "ohne" vor allem durch die Weise, in der
sie mit Angst umgehen. Insgesamt können gesellschaftliche oder
kulturelle, insbesondere auch religiöse Vorgaben jedoch Grundängste
bündeln, etwa zur Angst vor der Hölle,
und somit fassbar und beherrschbar machen - was natürlich nicht heißt,
dass der Autor behauptet, ein engmaschiges soziales Netz oder strenge
Religiosität führten zwangsläufig zu einem von Angststörungen freien
Leben.
Einzelne Kapitel widmen sich unter anderem verschiedenen Aspekten der
Angst und ihnen zugeordneten Störungen sowie Bewältigungs- und
Abwehrformen, professioneller Angst und dem Einfluss des familiären und
schulischen Umfelds einschließlich der Erziehung.
Ausführlich geht der Autor zudem auf das Zusammenspiel von Angst und
Aggression und auf die verschiedenen Therapiearten ein.
Der Untertitel wird bei vielen potenziellen Lesern zu der Annahme
führen, es handle sich bei "Anatomie der Angst" um einen klassischen
Ratgeber, der Probleme benennt, diese womöglich anhand von
Fallbeispielen konkretisiert und Lösungen aufzeigt; doch in die
klassische Rubrik "Ratgeber" passt Egon Fabians Buch nicht, dafür geht
es an das Thema zu wissenschaftlich heran und bietet zu wenig praktische
Lösungsansätze. Das Buch wendet sich nicht so sehr an unmittelbar
Betroffene, sondern vor allem an Therapeuten und an Menschen, die sich
generell für das Thema interessieren oder viel mit von Angststörungen
Betroffenen zu tun haben, wie zum Beispiel Lehrer und Sozialarbeiter.
Fallbeispiele führt der Autor ebenfalls an, aber sein Ansatz dient eher
dazu, die notwendigen und Erfolg versprechenden Therapien für bestimmte
Ausprägungen von Angststörungen zu benennen und zu erläutern, als
jemandem, der am Borderline-Syndrom leidet - das eng mit
Angststörungen gekoppelt ist -, unmittelbare Lebenshilfen zu
präsentieren.
Das bedeutet nicht, dass dieses Buch für Patienten unnütz wäre: Wer
entsprechende Ängste kennt und an ihnen verzweifelt, wird anhand der
Lektüre erkennen, welcher Therapieansatz ihm helfen könnte. Obwohl das
Buch, wie erwähnt, auf Wissenschaftlichkeit basiert, sind keine
Vorkenntnisse zum Thema für das Verständnis vonnöten.
Der Autor bemängelt, dass die Welle neurologischer Erkenntnisse der
letzten Jahre die Psychotherapie weg von der Psychoanalyse und hin zu
einer auf der Neurologie basierenden Behandlung geführt habe, und setzt
sich für eine die Psychoanalyse angemessen berücksichtigende (und
gegebenenfalls durch Medikamente unterstützte, aber nicht allein auf
ihnen beruhende) Therapie ein, die nicht zuletzt die Bindung zwischen
Patient und Therapeut einbezieht.
"Anatomie der Angst" hilft somit Therapeuten und anderen mit Ängsten und
Angststörungen befassten Menschen, darunter nicht zuletzt allen
Erziehenden, diese rational zu erkennen, herzuleiten und zu verstehen
und nachzuvollziehen, wie sie sich optimal beheben lassen.
(Regina Károlyi; 03/2010)
Egon Fabian: "Anatomie der Angst. Ängste
annehmen und an ihnen wachsen"
Mit einem Vorwort von Raymond Battegay.
Klett-Cotta, 2010. 349 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen
Egon Fabian, Dr. med., Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker und Lehranalytiker, ist Chefarzt der Dynamisch-Psychiatrischen Klinik Menterschwaige in München.