Zhang Jie: "Abschied von der Mutter"
Über
die Unfähigkeit, Abschied zu nehmen
Zhang Jies Mutter brachte ihre Tochter durch die Wirren und
Entbehrungen eines großen Teils der chinesischen Geschichte
und übte dabei in ihrem langen Leben sehr oft Verzicht und
arbeitete viel. So hat sie ihrer Tochter zwei Ehen ebenso wie den
Einstieg in eine Karriere als Schriftstellerin ermöglicht
sowie ihrer Enkelin das Studium in den USA, wo sie sie auch
gelegentlich besucht. Als sie älter wurde, hielt sie sich sehr
im Hintergrund, um "ihren beiden" Töchtern eine freie
Entfaltung ihrer jeweiligen Potenziale zu gewähren. Doch als
ihr Augenlicht über einen Zeitraum von immerhin zehn Jahren
schwächer wird, muss sie sich doch auf ihre ältere
Tochter stützen.
Diese versucht zunächst, die Betreuung ihrer Mutter zwischen
Schreiben und gelegentlichen Reisen im In-und Ausland unterzubringen,
doch als ein neuer Arzt feststellt, dass der Verlust der
Sehfähigkeit nicht auf einen grauen Star sondern auf einen
Tumor zurückzuführen ist, tritt die Behandlung und
Betreuung der Mutter in den Vordergrund von Zhang Jies Leben. Und dies
wird nicht einfach, denn ihre Mutter ist eine Person, die Anderen nicht
zur Last fallen möchte und deren Zurückhaltung ihre
Tochter darum auch
zunehmend auf die Palme treibt.
Zhang Jie betreibt mit diesem Buch Trauerarbeit, was sicherlich ein Weg
ist, dies zu tun. Dabei stellt sich unwillkürlich die Frage,
ob es wirklich eine gute Idee ist, diese Trauerarbeit - einen sehr
intimen psychologischen Prozess - unreflektiert in die
Öffentlichkeit zu bringen. Umso mehr stellt sich diese Frage
dann, wenn die trauernde Person ihre "Arbeit" noch nicht einmal in
Ansätzen abgeschlossen hat. Und das scheint hier wirklich der
Fall zu sein.
Zhang Jie trauert, und sie fühlt sich schuldig. Sie
fühlt sich schuldig, sich nicht mehr um ihre Mutter
gekümmert und sie mit ihrer Sorge dann am Ende
eingeschränkt zu haben. Sie fühlt sich schuldig, dass
sie die Irrtümer verschiedener Ärzte nicht aufgedeckt
hat und so ihrer Mutter nicht das Leben gerettet hat - falls das
überhaupt möglich gewesen wäre. "Abschied
von der Mutter" ist zunächst einmal eine Darstellung der
Unmöglichkeit, das Geschehene zu akzeptieren, sich neu zu
orientieren und weiterzumachen. Ein großer Teil des Buches
steht im Konjunktiv, und in den zahllosen "hätte" und
"wäre" geht der eigentliche Prozess der Sterbebegleitung ganz
unter.
Einige Literaturkritiker haben behauptet, das Buch gebe Einblicke in
das Leben in China, was der Rezensent nicht nachvollziehen kann. Es
gibt ein paar
verstreute Hinweise auf die bürokratischen Probleme innerhalb
des Krankenwesens in der Volksrepublik in den 1990er-Jahren (und in
China läuft seit einigen Jahren eine umfassende Reform dieses
Systems), und auf die Gleichgültigkeit mancher Ärzte,
die jedoch nicht weiter hinterfragt wird und auch in anderen Systemen
vorkommen kann. Die Problematik der Zuweisungen von Wohnungen steht im
Hintergrund der Geschichte, ist allerdings nicht sonderlich erhellend
ausgeführt. Was im Vordergrund steht - und der Autorin wichtig
ist -, ist ihre Auseinandersetzung mit ihren eigenen
Schuldgefühlen gegenüber ihrer Mutter und
gegenüber vielen anderen Menschen, was eigentlich nicht nur
typisch chinesisch ist. Die irisch-katholische Literatur beispielsweise
ist voll davon.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2009)
Zhang
Jie: "Abschied von der Mutter"
(Originaltitel "Shijieshang zui teng wo de nageren qule")
Aus dem Chinesischen von Eva Müller.
Unionsverlag, 2009. 252 Seiten.
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Zhang
Jie, geboren 1937 in Peking, studierte Volkswirtschaft und arbeitete
zwanzig Jahre lang in einem Industrieministerium. Nach der
Kulturrevolution veröffentlichte sie mit 39 Jahren ihre ersten
Erzählungen, mit denen sie sogleich Aufsehen erregte. Sie
schreibt über die Umwälzungen der Modernisierung und
über das
Schicksal
der Frauen, wobei sie auch ironische
Töne anschlägt. Zhang Jie gehört zu den
bekanntesten Schriftstellerinnen Chinas.
Noch drei Buchtipps:
Rainer Reitzler: "Wenn
Eltern Pflege brauchen"
-
dann ist das für Angehörige meist ein
großer Schock. "Irgendwie" kamen Mutter und Vater doch immer
zurecht - und nun muss von heute auf morgen eine
menschenwürdige und bezahlbare Betreuung gefunden werden.
Wenn die eigenen Eltern älter werden, verdrängen die
erwachsenen
Kinder häufig den Gedanken an die bevorstehende Pflege.
Häufig kommt
der Ernstfall dann durch eine schwere Erkrankung plötzlich und
unerwartet. Dieser Ratgeber erklärt, wie Kinder die Pflege
ihrer Eltern
liebevoll und sachkundig organisieren können, ohne ihr
selbstbestimmtes
Leben zu verlieren.
Besonders wertvoll macht den Band, dass er mit zahlreichen
Erfahrungsberichten von Betroffenen und Angehörigen bereichert
wurde.
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Georg Diez: "Der Tod meiner Mutter"
Die Mutter stirbt. Der Sohn erzählt. Ein bewegendes Buch
über das Leben, zu
dem auch der Tod gehört.
Wenn das Sterben und der Tod ins Leben eines Menschen treten, besteht
die
Reaktion oft in Schweigen und Sprachlosigkeit. Für den
unwiederbringlichen
Abschied eines geliebten Menschen fehlen uns die Worte, die das Leiden
und den
Schmerz angemessen fassen. Der Autor und Journalist Georg Diez aber hat
nach dem
Krebstod seiner Mutter den Mut zu erzählen, wie sich ein
solcher langer
Abschied vollzieht. Mit größter Genauigkeit und
Schonungslosigkeit beschreibt
er, wie er als Sohn den Tod in sein Leben hereinlassen musste,
während er
zugleich seine Hochzeit feierte und darauf wartete, zum ersten Mal
Vater zu
werden. Mit liebevollem, aber präzisem Blick begleitet er den
langen Weg einer
Frau, deren Leben vom Kampf um Selbstständigkeit und von
leidenschaftlichem
sozialen und beruflichen Engagement geprägt war, bis in die
Einsamkeit der
Krankheit und der Schmerzen. Die langsamen Verschiebungen in den
Beziehungen zu
Freunden und Kollegen, die letzten Reisen, die letzten
Spaziergänge, die
letzten Feste, die vielen kleinen und großen Abschiede,
die
wiederkehrenden
Hoffnungen, die praktischen Nöte bei der Organisation des
Alltags: All das
schildert Georg Diez so intensiv wie die Erschütterungen, die
das Sterben
seiner Mutter für sein eigenes Leben bedeuten.
So ist ein Buch entstanden, das im Angesicht des Todes auch das
Porträt zweier
Generationen auf eine ganz neue Weise zeichnet: die Generation, die von
den
Befreiungsideen von 1968 geprägt war, und ihre Kinder, die in der Zeit des
Wohlstands und der Sorglosigkeit aufwuchsen und nun mit Krankheit und
Tod der
Eltern konfrontiert werden.
Georg Diez ist ein kleines Wunder gelungen: Er hat ein Buch voller
Traurigkeit
und Abschied geschrieben, das durch seine erzählerische
Brillanz für den Leser
eine befreiende Kraft entfaltet. (Kiepenheuer & Witsch)
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Martina Rosenberg: "Mutter, wann stirbst du endlich? Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird"
Martina Rosenberg erzählt die authentische Geschichte einer ganz normalen Familie, für die das Leben durch die Extrembelastung der Pflege der schwer kranken Eltern zum Albtraum wurde. Es ist die Geschichte ihrer eigenen Familie. Die Mutter erkrankt an Demenz, der Vater erleidet einen Schlaganfall, und Schritt für Schritt muss die Tochter die Verantwortung und Organisation des elterlichen Lebens übernehmen. Verzweifelt versucht sie, allen Anforderungen gerecht zu werden - und scheitert, bis nach neun Jahren nur noch der Wunsch übrig bleibt: Mutter, wann stirbst du endlich?
Auf eindrückliche Weise gibt dieser zuweilen erschreckend ehrliche Bericht all jenen eine Stimme, die ungewollt zu den Eltern ihrer Eltern werden, und dokumentiert die Verzweiflung derer, die von Politik und Gesellschaft mit dieser Verantwortung allein gelassen werden. (Blanvalet)
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