Michael J. Neufeld: "Wernher von Braun"
Visionär des Weltraums - Ingenieur des Krieges
Der
faustische Pakt mit dem Teufel
Wernher von Braun, Vater der Rakete V2 und der Startraketen "Saturn"
für die Apollo-Missionen, war jahrzehntelang eine regelrechte
Kultfigur in den USA und in Deutschland. Zu seinen Lebzeiten vermochte
er die Schatten seiner NS-Vergangenheit stets aufzuhellen oder ganz
wegzuretuschieren; nach seinem Tod wurden entsprechende Fragen neu und
intensiver gestellt.
Wernher von Braun, aus einer ostelbischen Junkerfamilie stammend, ward
wohl nicht an der Wiege gesungen, dass er einmal zu Deutschlands
berühmtestem Raketenbauer und später zu einem
bedeutenden Mann im Weltraumprogramm der USA werden würde.
Michael J. Neufeld betrachtet in seiner Biografie zunächst das
familiäre Umfeld von Brauns, dessen Kindheit und Schulzeit
sowie die erste Konfrontation mit und Faszination durch Raketen,
damals, in der Weimarer Republik, noch ein echtes Kuriosum. Der Leser
verfolgt von Brauns Studium, die sich anschließende
Einbindung in Wehrmachtprogramme - Möglichkeiten, Raketen
für zivile Aufgaben zu nutzen, gab es damals nicht - und sein
Hineingleiten in den Pakt mit dem Teufel nach der
Machtübernahme der Nazis.
Sehr detailliert und anschaulich beschreibt der Autor, wie von Braun
das Raketenwerk in Peenemünde aufbaute und darin eine leitende
Position im technischen Bereich einnahm, eine Aufgabe, die für
ihn ideal war. Der zunehmende Druck, in die SS einzutreten, dem sich
von Braun letztlich und offensichtlich ohne große
Gewissensbisse beugte, und die Wendungen in den Kriegsjahren, die
schließlich nach Hitlers Ansicht die Produktion
möglichst vieler V2 erforderten und zum massiven und
verlustreichen, menschenunwürdigen Einsatz von zahllosen
KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern in Peenemünde und
nach dessen Zerstörung in unterirdischen Bergwerken
führten. Dem Autor ist es ein Anliegen, zu untersuchen, wie
viel von Braun von diesen Gräueln gewusst haben
könnte, und wie viel er zumindest gewusst haben muss.
Von Brauns rasches Überlaufen zu den US-Amerikanern und die
Startschwierigkeiten dort, bis er sich schließlich etablieren
konnte und Huntsville berühmt machte, stellen einen
gleichfalls sehr spannenden Abschnitt der Biografie dar. Den
Höhepunkt dürfte das Hinarbeiten auf die
schließlich erfolgreiche Apollo-11-Mission bilden. Ebenso
detailliert erlebt der Leser mit, wie von Brauns Stern
schließlich zu sinken begann, noch ehe eine schwere
Erkrankung ihren Tribut forderte.
Michael J. Neufelds Biografie erzählt nicht nur das Leben
dieses außergewöhnlichen Mannes nach, sondern
befasst sich auch mit von Brauns dunkler Seite: dem Bedürfnis,
seinen Lebenstraum, die bemannte Raumfahrt, um jeden Preis umzusetzen,
und sei dieser Preis ein Pakt mit dem Teufel, der nun freilich in von
Brauns Fall nicht Mephisto, sondern Hitler hieß. Dieses
Element zieht sich durch die gesamte Biografie, so, wie auch von Braun
mehrfach damit konfrontiert wurde.
Der Leser erhält einen klaren Eindruck von den
Stärken und Schwächen des Wernher von Braun. Zu den
Stärken gehörten seine Willenskraft und Ausdauer -
die den Pakt mit dem Teufel freilich hervorriefen -, seine
Fähigkeit, ein großes Kollektiv von Menschen bei
technischen Entwicklungen höchst effektiv zu führen,
obwohl er selbst kein außergewöhnlich begnadeter
Ingenieur war, und seine Überzeugungskraft, die manches
Projekt ermöglichte, das Erfolg zeitigte, ohne von Brauns
Fürsprache jedoch frühzeitig unter den Tisch gefallen
wäre.
Zugleich werden auch zahlreiche interessante Personen aus von Brauns
Umfeld vorgestellt, und nicht zuletzt enthält die Biografie
ein spannendes Stück Technik- und Raumfahrtgeschichte. Details
zu den sowjetischen Projekten; technische Entwicklungen aus Deutschland
und den USA, die mit von Braun in Zusammenhang stehen, werden stets
umrissen.
Drei Fotoblöcke präsentieren von Brauns Leben in
Bildern, beginnend mit der frühen Kindheit und bis hin zu
einem Foto, das den Protagonisten wenige Monate vor seinem Krebstod
zeigt.
Wernher von Braun - ein moderner Faust. Die vom Autor betonte Parallele
lässt sich gut nachvollziehen, wenn man die selten
thematisierten Zustände im unterirdischen Raketenwerk
betrachtet. Dass von Brauns Träume einer zivilen Raumfahrt nur
über den militärischen Umweg erreicht werden konnten
und der Forscher das billigend in Kauf nahm, zeigt sehr klar die im
Buch mehrfach zitierte Pointe eines Kabarettisten auf, der den Titel
eines Films über von Brauns Leben aufs Korn nimmt: "Ich
ziele auf die Sterne, aber manchmal treffe ich London." Die
V2 war einer der erfüllten Träume von Brauns gewesen.
Als gewissenhafter Historiker erlaubt es sich der Autor trotz
deutlicher Missbilligung der NS-Vorgeschichte des us-amerikanischen
Raumfahrthelden von Braun nicht, offene Antipathie zu zeigen, im
Gegenteil, er zeichnet die einzelnen Facetten von dessen
Persönlichkeit sehr einfühlsam nach. Das Urteil
über Wernher von Braun muss sich der Leser selbst bilden.
(Regina Károlyi; 07/2009)
Michael
J. Neufeld: "Wernher von Braun. Visionär des
Weltraums - Ingenieur des Krieges"
(Originaltitel "Von Braun: Dreamer of Space, Engineer of War")
Übersetzt von Ilse Strasmann.
Siedler, 2009. 685 Seiten.
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Michael
J. Neufeld, 1951 in Kanada geboren, ist Chef der Abteilung für
Geschichte der Raumfahrt im "National Air and Space Museum"
der "Smithonian Institution" in Washington. Er hat
bereits ein Buch über die Raketenversuchsstation
Peenemünde veröffentlicht und ist einer der besten
Kenner der internationalen Raumfahrtgeschichte.
Weitere Buchtipps:
Stefan Brauburger: "Wernher von Braun. Ein deutsches Genie zwischen
Untergangswahn und Raketenträumen"
Faust, Mephisto oder Zauberlehrling - Wernher von Braun, der
bekannteste
Raketenbauer des 20. Jahrhunderts, hatte viele Gesichter. In Hitlers
Vernichtungskrieg konstruierte der begnadete Techniker
"Vergeltungswaffen"
- 1969 brachte seine legendäre "Saturn-V"-Rakete den
ersten
Menschen auf den Mond. Auch in Liebesdingen war er sich selbst der
Nächste, so
fiel seine französische Geliebte seiner Karriere zum Opfer.
Stefan Brauburger
zeigt Licht und Schatten im Leben des genialen Konstrukteurs, der
jenseits aller
Heroisierung und Kritik vor allem eines war: ein Verführter
und Verführer auf
dem ersehnten Weg ins Weltall.
War er eher treibende Kraft oder Getriebener? Setzte er sich skrupellos
über
Moral hinweg oder war er Produkt einer Zeit, die keine Moral kannte?
Wernher von
Braun ist vor allem als Vater der Mondlandung bekannt - doch er hatte
auch eine
andere Seite. Beim Bau und dem Einsatz der von ihm konstruierten
"Vergeltungswaffe"
V2 starben während des Zweiten Weltkriegs Tausende von
Menschen. Später
rechtfertigte er sich damit, er habe eigentlich immer den
Mond
im Blick gehabt,
die Rakete sei nur "am falschen Ort gelandet". Doch
auch nach
dem Krieg baute Wernher von Braun zunächst Waffen: Atomraketen
für die USA.
Seine Technik war ebenso Triebkraft für das All wie
für die Rüstungsspirale
des Kalten Krieges. Während er zum Spurt auf den Mond
ansetzte, führte die
Kubakrise 1962 die Welt an den nuklearen Abgrund - ein weiterer Beleg
für die
Doppelgesichtigkeit seiner Errungenschaften. Erst sehr spät
richtete sich der
kritische Blick der Biografen und Historiker auf Wernher von Braun als
Waffenbauer und Mitverantwortlichen am Tod von Tausenden
Zwangsarbeitern währen
der NS-Zeit. Wie Stefan Brauburger in seinem Buch zeigt, spiegelt die
Karriere
des "Raketenmanns" geradezu beispielhaft die problematische
Wechselwirkung von Wissen und Macht, von Technik und Moral, Kosten und
Nutzen
des Fortschritts. (Pendo Verlag)
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Guido
Knopp: "Hitlers Manager. Hjalmar Schacht, Gustav Krupp, Fritz
Thyssen, Albert Speer, Alfred Jodl, Wernher von Braun, Ferdinand
Porsche"
Die erste große Dokumentation über kometenhafte
Managerkarrieren unter Hitler
- Lehrbeispiele für die Verführung zur Macht und
schuldhafte Verstrickung.
Aufstieg im Schatten des Hakenkreuzes:
Profiteure, Handlanger,
Steigbügelhalter
und Duckmäuser. Guido Knopp porträtiert Hitlers
effektivste Zuarbeiter, die
legendären Drahtzieher in Wirtschaft, Technik, Finanzwesen und
Militär, und
protokolliert ihre persönliche Verantwortung und Verstrickung
während der
NS-Diktatur. (C. Bertelsmann Verlag)
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Wilfried Ley, Klaus
Wittmann, Willi Hallmann (Hrsg.): "Handbuch
der Raumfahrttechnik"
Ein Standardwerk. Das komplett vierfarbig gedruckte Handbuch bietet
Studierenden, Ingenieuren und Wissenschaftlern sowie ambitionierten
Raumfahrtinteressierten detaillierte Einblicke in die faszinierende
Welt der
Raumfahrt.
Ausgehend von den Grundlagen, werden in den Hauptkapiteln:
- Einleitung (Historischer Überblick, Raumfahrtmissionen)
- Grundlagen (u. a. Bahnmechanik, Aerothermodynamik / Wiedereintritt,
Space Debris)
- Trägersysteme (u. a. Stufentechnologien, Antriebssysteme,
Startinfrastruktur)
- Raumfahrt-Subsysteme (u. a. Struktur, Energieversorgung,
Thermalkontrolle,
Lageregelung, Kommunikation)
- Aspekte bemannter Missionen (u. a.
Der Mensch im Weltraum,
Lebenserhaltungssysteme, Rendezvous und Docking)
- Missionsbetrieb (u. a. Satellitenbetrieb, Kontrollzentrum,
Bodenstationsnetzwerk)
- Raumfahrtnutzung (u. a. Erdbeobachtung, Kommunikation, Navigation,
Weltraumastronomie, Materialwissenschaften, Weltraummedizin, Robotik)
- Konfiguration / Entwurf eines Raumflugkörpers (u. a.
Missionskonzept,
Systementwurf, Umweltsimulation, Systemdesign, Galileo-Satelliten)
- Management von Raumfahrtprojekten (u. a. Projektmanagement,
Qualitätsmanagement,
Kostenmanagement, Raumfahrtrecht)
in 42 Unterkapiteln vor allem die Abläufe und Methoden
für die Entwicklung,
den Bau, den Betrieb und die Nutzung von Raumfahrtsystemen beschrieben.
(Hanser
Technik)
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Christian Pinter: "Helden des
Himmels. Geschichten vom Kosmos und seinen Entdeckern"
Wie kamen Löwe, Jungfrau und Waage an den Himmel? Wieso
verheimlichen
Klosterchroniken die unübersehbaren Supernovae des 11. und 12.
Jahrhunderts?
Und was haben die "Hundstage" mit der römischen Astronomie zu
tun?
Wissenschaftspublizist Christian Pinter erzählt faszinierende
Geschichten aus
der Welt der Astronomie: Etwa, wie eine Mondfinsternis
Columbus das Leben
rettete und ihn in seinem Irrglauben bestärkte, Indien
erreicht zu haben. Oder
wie eine Wette in einem Londoner Wirtshaus Isaac Newton veranlasste,
gleich eine
ganz neue Physik zu entwickeln. Christian Pinter erzählt von
den Geschichten,
mit denen die Menschen die Himmelslichter umrankten - vor allem aber
die
Geschichte jener, die den Aufbau des Alls ergründeten.
(Kremayr & Scheriau)
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