Jan Costin Wagner: "Im Winter der Löwen"

Ein Kimmo-Joentaa-Roman


Ein wenig enttäuschend

Da ich Jan Costin Wagners Roman "Das Schweigen" mit einiger Begeisterung gelesen hatte, war meine Erwartungshaltung bezüglich des Nachfolgeromans eine relativ hohe, wobei man sich natürlich darüber im Klaren sein muss, dass dies einer unvoreingenommenen Betrachtungsweise auch im Wege stehen kann. Mag sein, dass diese vielleicht überzogene Erwartung in meine Rezeption des Romans mit eingeflossen ist, jedenfalls fand ich den neuen Kimmo-Joentaa-Roman "Im Winter der Löwen" längst nicht so gelungen wie seinen Vorgänger "Das Schweigen". Und dies aus mehreren Gründen. Zum Einen erscheint mir die Handlung etwas zu konstruiert, eingezwängt in ein Gerüst aus wackeligen Stützen, die einer Überprüfung nach logischen Kriterien oft nicht standhalten. Da liegt beispielsweise ein durch ein Messerattentat schwer verletzter Fernsehmoderator an zahllose Schläuche angeschlossen auf der Intensivstation eines Krankenhauses, darf sich weder nach links noch nach rechts bewegen, um zwei Tage später mopsfidel und noch dazu im Laufschritt (!) das Krankenhaus zu verlassen und noch am selben Tag eine Fernseh-Live-Sendung zu moderieren. Und weitere wenig glaubwürdige Details könnten hier noch aufgeführt werden, vor allem scheint mir auch die Person der Tatverdächtigen und der ganze Tathergang als wenig realistisch und glaubhaft. Man hat bei diesem neuen Roman Jan Costin Wagners nicht das Gefühl, dass jede Nuance, jedes Detail zwingend wäre, ein Gefühl, das sich bei Wagners Roman "Das Schweigen" bisweilen eingestellt hat.

Im "Winter der Löwen" geht es um eine mysteriöse Mordserie. Die Morde erfolgen im kurzen Zeitabstand unmittelbar aufeinander, und nichts verbindet die Opfer, als dass sie gemeinsam in einer Fernseh-Talkshow aufgetreten sind. Einen Zusammenhang, aus dem sich ein Tatmotiv herleiten könnte, scheint es nicht zu geben. Zwischen Turku und Helsinki pendeln die Ermittler hin und her, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, und der Leser folgt ihnen, aber nicht mehr mit der atemverschlingenden Spannung wie noch in "Das Schweigen", obwohl es auch "Im Winter der Löwen" recht spannend zugeht. Wirkliche Langeweile kommt auch hier nie auf. Der Leser wird im Unklaren gelassen wie die Ermittler im Roman, deren Ermittlungsansätze sich zunächst in Sackgassen oder auf Holzwegen verlaufen, bevor Kimmo Joentaa endlich die richtige Fährte erschnuppert.

Neben der eigentlichen Handlung hat Jan Costin Wagner einen zweiten Handlungsstrang in sein Spannungsnetz eingefädelt. Dieser zweite Handlungsstrang besteht zu Anfang nur aus fetzenhaften Momentaufnahmen, der Autor verrät nur wenig, doch lassen sich die Zusammenhänge recht schnell erahnen. Im letzten Drittel des Buches fließen dann beide Handlungsstränge zusammen und vereinigen sich zu dem Strom, der die Handlung dem Höhepunkt und das Rätsel der Auflösung entgegen treibt.

Kriminalromane der gehobenen, anspruchsvolleren Kategorie, und hier ist sicher auch der vorliegende Roman einzustufen, sind - genau besehen - eigentlich eine recht fade Literaturgattung. Das ideale Lesefutter für den durchschnittlichen Leser, der sich nur mit einem guten Buch entspannen und unterhalten werden möchte. Kein reißerischer Groschenheft-Stil, aber auch keine Literatur im Sinne von Kunst. Eher etwas Handwerkliches. Dass Wagner sein Handwerk beherrscht, steht außer Zweifel. Er liefert uns gute Unterhaltung, ohne pseudointellektuellen Anstrich, ohne all den mystischen Nebel, der heutzutage durch so viele Elaborate des Krimi-Genres wabert. Auch die Kürze des Romans ist positiv zu bewerten, so vermeidet es der Autor, ins Fahrwasser der Langeweile zu geraten.

Beinahe mustergültig ist auch die Beherrschung der Sprache. Wagner erzählt in einem unaffektierten Sprachgestus, sein Stil ist von einer wohltuenden, entschlackten Simplizität. Jan Costin Wagner hat es nicht nötig, seine Sprache durch an den Haaren herbeigezogene und sinnentleerte Metaphern aufzumotzen, wie man das beispielsweise häufig bei Heinrich Steinfest findet (den ich aber trotz dieses Mankos sehr schätze).

Alles in allem gesehen bietet uns Jan Costin Wagner hier literarische Kleinkunst auf relativ hohem Niveau, ohne dass ihm hier der große Wurf gelungen wäre, auf den ich vielleicht insgeheim gehofft hatte, nachdem ich Wagners Roman "Das Schweigen" gelesen hatte.

(Werner Fletcher)


Jan Costin Wagner: "Im Winter der Löwen. Ein Kimmo-Joentaa-Roman"
Goldmann, 2011. 288 Seiten.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Tage des letzten Schnees"

Eine hochspannende und zutiefst intensive Elegie auf den Tod in einer aus den Fugen geratenen Welt.
Anfang Mai, im finnischen Turku fällt der letzte Schnee. Kimmo Joentaa wird gleich zwei Mal gerufen: an einen Unfallort, an dem eine Elfjährige durch einen Unbekannten ums Leben gekommen ist, und an einen Tatort, an dem zwei unbekannte Tote auf einer Parkbank liegen, als würden sie schlafen. Für den Vater des bei dem Unfall verstorbenen Mädchens wird Kimmo Joentaa zum Begleiter in der Trauer, während er gleichzeitig daran arbeitet, die Unfallflucht und den Doppelmord aufzuklären. Die Ermittlung führt Joentaa in ein fatales Beziehungsgeflecht, das Menschen, die ursprünglich nichts verband, schicksalhaft zusammengeführt hat: einen Architekten, der den festen Glauben an die Symmetrie des Lebens verliert, einen Schüler, der unaufhaltsam auf einen Amoklauf zusteuert, eine junge Frau, die versucht, der Armut zu entkommen, und einen Investmentbanker, der sich im Dickicht seines Doppellebens verliert. Als Kimmo Joentaa die Linien, die diese Menschen verbinden, schließlich zu erkennen beginnt, ist es fast zu spät. Und erst dann begreift er, dass seine große Aufgabe nicht die Suche nach einem Doppelmörder ist, sondern eine, die ihm noch bevorsteht ... (Galiani)
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