Dieter Thomä: "Väter"
Eine moderne Heldengeschichte
Hätten
Sie gedacht, dass die Ermordung des Königs während
der Französischen Revolution mit der seit längerem
aktuellen Debatte um die "neuen Väter", die fehlenden
Väter, die zu starken oder die zu schwachen, je nachdem, wer
da spricht und analysiert, etwas zu tun hat?
Der in St. Gallen lehrende Philosoph Dieter Thomä hat wohl
auch aus eigener Betroffenheit ein wunderbares kulturhistorisches Buch
geschrieben, eine "Heldengeschichte" die er all denjenigen gewidmet
hat, "die wissen, dass sie gemeint sind."
Der Rezensent, spät gewordener Vater eines mittlerweile
fünfjährigen Sohnes, jedenfalls fühlte sich
angesprochen bei der Lektüre dieses Buches und nicht nur
hervorragend unterhalten, sondern auch vielfältig
herausgefordert und in Frage gestellt. Und ich habe eine Menge
beim Lesen gelernt, nicht
zuletzt, dass es sinnvoll ist, als Vater seine eigene Rolle sehr
pragmatisch anzugehen, sich von der ganzen
Debatte um die schlechten oder guten Väter nicht
dermaßen verunsichern zu lassen, dass man gar nicht mehr
handlungsfähig ist. Denn seit jener am Anfang
erwähnten Tat, der sich später dann durch den "Tod
Gottes" (Nietzsche) noch ein Vatermord der transzendenten Kategorie
anschloss, hat sich eine schmerzliche Lücke ergeben, welche
die heutigen willigen Männer nur mühsam
füllen können. Sich dabei klar zu machen, dass man
sich auch aus Schlachten heraushalten kann, die schon der eigene
Großvater und Vater geschlagen haben, kann für die
Männer eine große Entlastung sein.
Ich kann das Buch allen betroffenen Vätern, aber auch ihren
Frauen, nur empfehlen. Es vermittelt dem Leser in einer Situation, die
er wahrscheinlich als sehr vereinzelnd empfindet, einen historischen
Überblick, eine Einordnung und einen Sinnzusammenhang. Was man
tut und auch lässt in der Vaterrolle, hat alles einen Sinn; es
lohnt sich, darüber zu reflektieren, ohne sich gleich
freiwillig klein zu machen.
(Winfried Stanzick; 03/2009)
Dieter Thomä: "Väter. Eine moderne Heldengeschichte"
Gebundene Ausgabe:
Hanser, 2008. 366 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2011. 368 Seiten.
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Leseprobe:
Die zwei Formen der Krise der Vaterschaft
Die Krise der Vaterschaft hat zwei Gesichter. Sie gehört in
das Revier, in dem über "Lob der Disziplin" oder "Missbrauch
der Disziplin", über die alte väterliche
Domäne der Autorität, gestritten wird. Sie zeigt sich
aber auch bei den Männern, die lieber kinderlos bleiben
wollen, sowie bei denjenigen, die sich aus dem Staub machen, kaum dass
sie Väter geworden sind.
Wie man die Rolle als Vater ausfüllt, wie
die Väter von der heranwachsenden Generation angenommen,
angegriffen oder ausgebootet werden - das ist die eine Frage. Ob
man diese Rolle überhaupt spielen will - das ist die andere
Frage. An die Debatte um den "Mut zur
Erziehung" schließt sich die Debatte um die
"schrumpfende Gesellschaft" an. In der Regel laufen diese Diskussionen
nebeneinander her, als bewegten sie sich auf entfernten Umlaufbahnen.
Dabei gehören sie als zwei Hälften derselben Sache
zusammen.
In der ersten Debatte geht es um den Vater als
traditionellen Repräsentanten der Autorität, als
Machthaber in der Familie. Mit dieser Vaterfigur muss hadern, wer dem
modernen Projekt der Emanzipation verpflichtet ist. Das traditionelle
Bild des Familienoberhaupts soll abgeschüttelt oder zumindest
von Grund auf verändert werden. Da ich meinen Blick auf den
Generationengang richte, geht es mir in diesem Buch weniger um das
Verhältnis von Mann und Frau als vor allem um die Spannungen
zwischen Alt und Jung. Man ist geneigt zu sagen, dass diese Spannungen
zum Salz des Lebens gehören. Das stimmt auch, aber es sagt
sich zu leicht. Man kann etwas auch versalzen. Soll ich mich beim
Rückblick auf mein eigenes Leben mit der Auskunft abfinden,
dass die verzweifelte Ratlosigkeit, die mich als Vater und vielleicht
auch als Sohn immer wieder einmal um den Schlaf gebracht hat, einfach
Teil eines unvermeidlichen, natürlichen Spiels gewesen ist? Es
war ja doch nie ein Spiel. Und hätte es
nicht anders, leichter laufen können?
Wenig spielerisch wirken die Wechselfälle der Geschichte, die
einem in den Sinn kommen. Man denke etwa an die Kette von
Schülerselbstmorden im Berlin des späten 19.
Jahrhunderts, die eine heftige Debatte auslösten und auf Angst
vor väterlicher Züchtigung und Leistungsdruck
zurückgeführt wurden. Es war eine solche
Atmosphäre erdrückender Enge, in der Franz Kafka
seinen bitteren
"Brief an den Vater" schrieb, der seinen Adressaten
bezeichnenderweise nie erreichte. Oder man denke - um ein
entgegengesetztes Beispiel zu wählen - an die Experimente, die
die Sozialistischen Kinderläden Ende der 1960er Jahre
anzettelten. Damals meinte man, sich für eine Erziehung frei
von väterlicher Macht auf Anna Freuds Forschungen
über Kinder im KZ stützen zu können, und man
erkor diese verwaisten Opfer zum Vorbild eines "Kinderkollektivs", dem
schon in den ersten Lebensjahren die "Ablösung" von den Eltern
gelungen sei: eine perverse Umdeutung.
Einerseits finden sich in der Moderne zuhauf Symptome für die
Allergie gegen den Vater, andererseits schafft die Abschaffung des
Vaters oft gar keine befreite Stimmung und löst
übelste Nebenwirkungen aus. Auf die väterliche
Autorität folgt der Kampf gegen Autorität, doch im
Schatten des Vatersturzes lauert wieder die Sehnsucht nach ihm oder
nach irgendwelchen anderen, zum Teil obskuren Ersatzfiguren. Diese
Pendelbewegung vom Autoritären zum Antiautoritären
und wieder zurück läuft durch die Geschichte der
letzten dreihundert Jahre, ohne dass sie je zur Ruhe gekommen
wäre und ohne dass man sich mit ihr, als wäre sie ein
Naturgesetz, abfinden könnte.
Diese Pendelbewegung verläuft nie allein im privaten Raum,
vielmehr gehören zu ihr auch die Auf- und Abwertungen von
Vaterfiguren in der Politik. Wenn etwa Nicolas Sarkozy mit der Idee
hausieren geht, Vater aller Franzosen zu sein, so bietet er nur einen
fast schon kuriosen Epilog zu einer - wie sich zeigen wird - langen
Geschichte, in der politische und private Vaterfiguren miteinander
vermischt wurden. (...)