John Updike: "Erinnerungen an die Zeit unter Ford"
Immer
wieder kommt es vor, dass
die vielleicht besten Werke großer Künstler nicht
unbedingt die bekanntesten
Werke dieser Künstler sind. John Updikes reiches Schaffen, von
unzähligen Erzählungen
bis zum durch die hochkarätige Verfilmung (mit Jack Nicholson,
Susan Sarandon,
Michelle Pfeiffer und Cher) bekannt gewordenen Roman "Die Hexen von
Eastwick", dem er vor seinem Tod noch einen Nachfolger "Die Witwen von
Eastwick" nachgeschickt hat, ist gespickt mit großartigen
Romanen und
unvergesslichen Figuren (Harry "Rabbit" Angstrom, Henry Bech u.v.A.).
John Updike ist also bekannt als der Autor, der die
(gehobene) Mittelschicht der Vereinigten Staaten von Amerika der
1970er-, 1980er-
und 1990er-Jahre am treffendsten zu porträtieren wusste.
Ehebrüche,
Liebschaften, die Tristesse der Vororte.
Doch in John Updikes Schaffen schlummern auch fast unbekannte Juwelen,
die die
bekannteren Meisterwerke teilweise sogar noch übertreffen.
Interessanterweise
sind die meisten dieser literarischen Updike-Sternstunden die
moderneren,
komplexeren, originelleren Werke, die sich mühelos in die
innovative Ecke der
Postmoderne einordnen lassen, auch wenn dieser Begriff zum Zeitpunkt
ihrer
Entstehung vielleicht noch eher unbekannt war.
Zu diesen Werken zähle ich z.B. den grandiosen Briefroman
"S.", den
politischen Roman "Der Coup", den wunderbaren erotischen Roman
"Brasilien"
und den vielleicht witzigsten Updike-Roman "Der Sonntagsmonat".
"Erinnerungen an die Zeit unter Ford" ist ein Roman der
Selbsttäuschung,
der Schuld und ein Spiel mit Erinnerung.
Alfred L. Clayton, Professor an einem eher unbedeutenden College,
erhält
den Auftrag, einen Bericht über seine Erinnerungen an die Zeit
der Präsidentschaft
Gerald Fords (1974-77) zu schreiben. Dieser am Abend der
tränenreichen
Abdankung Richard Nixons einsetzende Bericht ist quasi der Roman im
Roman, da
John Updike ab dem ersten Moment eigentlich immer abschweift und
eigentlich zwei
Geschichten erzählt, die mit Gerald Ford nur peripher zu tun
haben.
Einerseits lässt John Updike Alfred L. Clayton über
seine Liebschaften und
sexuellen Abschweifungen erzählen, andererseits lässt
er den Protagonisten
seine nie veröffentlichten Skizzen zu einem Buch über
den ungeliebten Präsidenten
James Buchanan (1857-1861) in die Erzählung
einfließen.
Amouröse Abenteuer finden sich bei Updike immer wieder, sie
sind auch (wie in
diesem Fall) schön zu lesen; und obwohl man die Thematik des
sexuell fixierten
Professors kennt, wird einem nicht langweilig. Updikes Helden haben
nebenbei
bemerkt mit
Philip
Roths Helden nur wenige Gemeinsamkeiten, bis auf die
Begierden und die Zweifel an der Richtigkeit des Handelns ...
Richtig gut ist "Erinnerungen an die Zeit unter Ford" aber dank der
Geschichte James Buchanans. Denn Updike verleiht dem ungeliebten
Präsidenten
eine überzeugende und sympathische Stimme. Er zeichnet
Buchanans Leben frei,
basierend auf den Fakten, lässt Vermutungen und Fiktives
einfließen. Großartig,
wie John Updike hier eine adäquate Prosa findet, die es ihm
erlaubt, zwischen
den Jahrhunderten frei hin und her zu springen.
Mit Verlauf des Romans lässt er die
Erzählstränge ineinanderfließen und
erzielt dadurch eine immense Tiefenperspektive. Die beiden Geschichten
bekommen
so eine neue Perspektive, die Logik der Kombination ist gegeben.
Großartig, wie Updike James Buchanan und Nathaniel Hawthorne
in London
zusammenkommen lässt (und u.A. über die Unterschiede
zwischen britischen und
us-amerikanischen Damen sinnieren lässt), wie er Buchanans
Zeit in St.
Petersburg zeichnet und auch Buchanans letzte Tage als
Präsident.
James Buchanan und Alfred L. Clayton, zwei Figuren (eine fiktiv, die
andere
historisch), die durch Mittelmäßigkeit
glänzen, die dem Autor aber so
sympathisch waren, dass er es geschafft hat, strahlende literarische
Sieger aus
ihnen zu machen. Protagonisten, die in den Händen eines
geringeren Autors mit
größter Wahrscheinlichkeit staubtrocken und
langweilig gewesen wären. Dieser
Roman ist berauschend und fesselnd, leuchtend in seinen differenzierten
und
delikaten Farbtönen, kurz; ein literarisches Meisterwerk und
einer der besten
Romane von John Updike.
(Roland Freisitzer; 08/2009)
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