Stendhal: "Die Kartause von Parma"
Der
schönste aller Romane?
Willkommen zu einem Lesemarathon von circa 1000 Seiten, in welchem es
allerdings zu einem dichterischen Olymp hinaufgeht. Als "schönsten
aller Romane" apostrophierte Rolf Vollmann in der "Zeit" gar
Stendhals Roman "Die Kartause von Parma". Endlos viel ist bereits
diskutiert und geschrieben worden über Stendhals Meisterwerk.
Die Jubelarien der Kollegen und Kritiker wollen einfach nicht
verstummen. Von Stendhals Zeitgenossen
Balzac über
Julien Gracq bis hin zu
Urs Widmer, der den Roman in der "FAZ" als "Geschenk
der Götter" bezeichnete, erschallen die Lobeshymnen
auf einen Roman, der in nur 53 Tagen geschrieben bzw. diktiert wurde
und der noch heute die Leser in seinen Bann zieht. Und beileibe nicht
nur die geistig-kulturelle Elite, nicht "nur die
hervorragendsten Künstler, die zwölf oder
fünfzehnhundert Menschen, die an der Spitze Europas stehen",
wie Balzac meinte.
Henri Beyle (1783-1842), bekannter unter seinem Pseudonym Stendhal
(nicht sein einziges), fühlte sich ebenso wie sein deutscher
Dichterkollege Goethe stark dem Lande Italien verbunden. Die
italienische Kunst wie auch die Mentalität der Italiener
spielen eine tragende Rolle in seinen Schriften. Den
künstlerischen Glanz- und Höhepunkt seiner
Beschäftigung mit der italienischen Lebensart bildet aber wohl
der hier als dtv-Ausgabe vorliegende Roman "Die Kartause von Parma".
Neben italienischer Lebensart geht es in der "Kartause" vor allem um
die Liebe, die ja auch irgendwie dazugehört zur italienischen
Lebensart. Es wird hier berichtet von der tragischen Liebe zwischen
Fabrizio del Dongo, einem glühenden Verehrer
Napoleons, den er
auch in seine letzte Schlacht begleitet, und der jungen Clelia Conti.
Nur seltsam: während Stendhal seine beeindruckenden
Kriegsschilderungen zu Beginn des Buches in exzessiver Deutlichkeit zu
Papier bringt, spart er die sinnliche, erotische Seite der Liebe
komplett aus. Den Krieg beschreibt er so wie er ist, in seiner ganzen
unmenschlichen und abstoßenden Brutalität,
über die Liebe entfährt ihm nicht eine einzige
Anspielung auf das Sexuelle, da ist sein Roman in
äußerster puritanischer Strenge gehalten.
Insgesamt hat der Roman etwas Leichtes, Schwebendes, was ihn so gut
lesbar macht. Er ist frei von allem schwerfälligen Bombast.
Man gerät schon bald in einen Lesefluss, von dem man sich nur
zu gern tragen lässt. Die Handlung ist vielschichtig, die
Figuren haben Tiefe und Prägnanz. Stendhal war vielleicht das
erste Exemplar, sozusagen der Prototyp jener Gattung, die man
heutzutage als Kultautor bezeichnet. Und der Kult um diesen
Schriftsteller hält teilweise bis in die Gegenwart an.
Begründet wurde er unter anderem durch Balzacs Rezension des
Werkes, die dieser kurz nach Erscheinen des Romans
veröffentlichte. "Monsieur Beyle hat ein Buch
geschrieben, in dem das Erhabene aus jedem Kapitel spricht",
schreibt Balzac, und weiter: "Dieses große Werk
konnte nur von einem Fünfzigjährigen in der Vollkraft
seines Alters und in der Reife all seiner Talente erdacht und
ausgeführt werden. Die Vollkommenheit merkt man in allem."
Nur am Stil des Autors hatte Balzac etwas auszusetzen, eine Kritik, die
allerdings sonst von kaum jemandem geteilt wurde. Julien Gracq nahm wie
folgt dazu Stellung: "Nichts oder fast nichts hat Balzac von
dem erfasst, was für uns den wahren Zauber des Buches
ausmacht: eine leichte, prickelnde, berauschende
Gefühlstrunkenheit steigt aus diesen Seiten auf wie aus einem
jener von Natur aus perlenden Weine, die der Materie weniger fest
verhaftet scheinen als andere." Und Stendhal selber
rechtfertigte seinen Stil so: "Für mich gibt es nur
eine Regel: klar sein. Wenn ich nicht klar bin, ist meine ganze Welt
zerstört. Mir graut vor der Geschraubtheit. Den Stil haben die
gedanklich Armen erfunden."
Nun möchte ich aber auf die Vorzüge der vorliegenden
Ausgabe zu sprechen kommen, und das sind nicht wenige. Das Buch ist mit
einem Anhang ausgestattet, der nichts zu wünschen
übrig lässt. Da haben wir zunächst einmal
ein sehr ausführliches, hervorragendes Nachwort der
Herausgeberin und Übersetzerin Elisabeth Edl von mehr als 50
Seiten, worin sie uns unter anderem auch interessante Einblicke in ihre
Übersetzerwerkstatt gewährt. Und es ist ja
tatsächlich so, wie Frau Edl es anklingen lässt, dass
in der Übersetzung nicht nur etwas verloren geht, sondern auch
etwas Neues entsteht, was durchaus Gewinn sein kann. Der Anhang
beinhaltet dann noch die komplette, bereits erwähnte Rezension
Balzacs über fast 60 Seiten, einen Briefwechsel zwischen
Balzac und Stendhal, Entwürfe des Autors für eine
Neuausgabe, eine Zeittafel zu Stendhals Biografie,
ausführliche Anmerkungen und vieles Andere mehr. Der Deutsche
Taschenbuch Verlag hat hiermit eine in jeder Hinsicht gelungene Ausgabe
eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur vorgelegt.
(Werner Fletcher; 06/2009)
Stendhal:
"Die Kartause von Parma"
Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl.
dtv, 2009. 1008 Seiten.
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