Michael Stavarič: "Böse Spiele"
"...
sie trägt ihr Herz links, wo es hingehört, und ich
trage es viel zu weit oben, zu nahe am Kopf, und immer habe ich dieses
Gefühl, es müsste besser sitzen ..."
Der namenlose Ich-Erzähler liebt eine Frau.
Diese Frau liebt ihn auch, wenn man das so bezeichnen will; liebt aber
auf ähnliche Weise einen anderen Mann, von dem sie auch ein
Kind hat.
Dieser andere Mann heißt Robert.
Eine weitere namenlose Frau liebt den Ich-Erzähler.
So weit der Ausgangspunkt für dieses Endspiel. Endspiel
deshalb, weil Michael Stavaričs Figuren wie in der Schlusssequenz eines
Schachspiels umeinander kreisen, weil sie wie in einem verworrenen
Schachspiel versuchen, aus einer aussichtslosen Situation zu punkten,
eine Art Schachmatt im taktischen Spiel "Geschlechterkampf" zu
erreichen.
Vorweg, Michael Stavarič, dessen "stillborn" und "Terminifera"
mich überzeugt hatten, ist ein literarischer Virtuose.
Wie er in "Böse Spiele" mit Wiederholung und Variation umgeht,
ist schlichtweg nur als virtuos zu bezeichnen. Wie er diesen vorerst
reinen Geschlechterkampf
unmerklich in eine Art mythologisch angehauchtes Ritterspiel kippen
lässt, ist beeindruckend. Man staunt beim Lesen über
die formelle Lösung dieses Romans und bewundert das
Gerüst und die feine Instrumentierung dieser 155 Seiten.
Leider bleiben bei dieser fast zu perfekten literarischen
Glanzinszenierung die Figuren auf der Strecke. Michael Stavaričs
Figuren entwickeln sich nämlich nicht, bis auf den namenlosen
Erzähler, der im Schlussteil den Hut zieht und in Manier eines
aufgebenden Schachspielers aufgibt. Die vier Protagonisten winden sich
fast 150 Seiten lang in einem Netz aus sexueller Unterwerfung, zu der
man keinen wirklichen Bezug herstellen kann bzw. will, und bleiben auch
seltsam farblos.
Die Figuren handeln und agieren leider auch zu klischeehaft; die beiden
Frauen sind einerseits fast dominahaft fordernd, andererseits
unterwerfend bis zur Übelkeit.
"Sie hat reichlich Wein getrunken, verträgt aber
einiges, und ohne Wein würde sie zu Hause sitzen und die Welt
hassen. Dass sie mich in den Mund nimmt, sie will schlucken und
schlucken und später noch mehr Wein nachtrinken."
Sexuelle Handlungen werden drastisch und geschmacklos dargebracht, die
Grundstimmung dieses Buches ist so perversionsfixiert, dass das
Fertiglesen dieses Romans ab ca. Seite 50 nur mehr durch die
Instrumentation der "Bösen Spiele", und nicht durch das
Material selbst getragen wird.
"Dass sie nach der Party ihre Wohnung aufräumte, dass
sie über Scherben stieg und getrockneten Samen, dass es hoch
herging, als das Kind zu Bett musste, dass sie Robert nehmen wollte,
dass sie aber nicht alleine waren und die Freundin ertappten, wie sie
im Stiegenhaus einem der Freunde einen blies ..."
Dazwischen immer wieder das Leitmotiv "denn sie
trägt ihr
Herz links, und ich trage es viel zu weit oben ..."
mit immer variierender Weiterführung. Nach ungefähr
dem ersten Drittel beginnt ein zweites Leitmotiv die Struktur zu
beherrschen, nämlich die Forderung der Frau an den
Ich-Erzähler: "töte
Robert".
Palmen und Briefe von Gott an den Ich-Erzähler sind weitere
Leitmotive, die wie Modulationen zwischen den einzelnen Variationen
anmuten.
Das Kippen in das mythologische Schlachtszenarium als Metapher
für den ewigen Geschlechterkampf ist zwar eine willkommene
Abwechslung, reicht jedoch als Würzung des fahlen Geschmacks
nicht wirklich aus, da die Phallus- und Sexfixierung weiterhin bestehen
bleibt.
"Und ich sah die Frauen die Flanken der Männer
belauern, wo doch diese der Versuchung trotzten; dass sich die Frauen
zurückzogen und die Männer glotzten, dass beide
Seiten Verluste erlitten, aber kein Toter war von Belang. Dass manche
Frauen in Ermangelung anderer Gesten weiterhin ihre Brüste
entblößten und die Männer in Ermangelung
anderer Gesten weiterhin ihre Schwänze zum Himmel reckten,
dass sie einander zuriefen: Es schmerzt! Wo beginnt das Unrecht und wo
endet die Notwendigkeit."
Die Notwendigkeit endete für mich auf Seite 155,
bezeichnenderweise mit den Worten "Sie sagte: Nichts, was
Worte sagen mögen".
"Böse Spiele" ... ob sie wirklich "böse" sind? Das
ewige Thema - Mann und Frau, eine andere Frau, ein anderer Mann - Sex,
Liebe, Ehebruch, Seitensprung; das ist das Thema, das die Literatur,
die Musik, die Kunst generell versorgt, ja auch die Oper lebt davon.
"Böse Spiele" ist der Versuch, diesem Thema eine neue
Färbung zu geben, der aber leider trotz Allradantriebs im
Sumpf der Klischees hängengeblieben ist.
(Roland Freisitzer; 02/2009)
Michael
Stavarič: "Böse Spiele"
Gebundene Ausgabe:
C.H. Beck, 2009. 155 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2011. 160 Seiten.
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