Peter Stamm: "Sieben Jahre"
"Alles ist anders. Alles ist neu. Alles ist schön."
Dieser Spruch stammt aus dem Mund von Charles-Edouard Jeanneret
(1887-1965), der
sich selbst den Künstlernamen Le Corbusier gab. Er baute die
"Porsches" unter den Häusern. Behausungen für Menschen, denen
das Herz beim Anblick eines
richtig proportionierten Treppenhauses aufgeht, so wie dem
"Porsche"-Fahrer beim Klang des Boxer-Sechszylinders. Und noch ein Satz steht
stellvertretend für den bedeutendsten wie auch umstrittensten Architekten des 20.
Jahrhunderts: "Unsere Augen sind geschaffen, die Formen unter dem Licht zu sehen: Lichter und
Schatten enthüllen die Formen." Und eben dieses Spiel von
Licht und Schatten ist der rote Faden durch Peter Stamms Roman "Sieben Jahre".
Le Corbusier wird von der begabten Architekturstudentin Sonja, der
schönen, gescheiten jungen Frau aus wohlhabendem Haus, die mit ihrer
Attraktivität und ihrer natürlichen Sicherheit stets die Blicke vieler auf sich
zieht, heiß und innig verehrt. Sie verkörpert den
architektonisch-kühlen Charme der Bauwerke
des Schweizer Visionärs. Bereits die ersten Worte des Romans
weisen ihr die Rolle zu, die sie im Lauf der gesamten Handlung einnehmen wird: "Sonja
stand in der Mitte des hellerleuchteten Raumes, im Zentrum wie immer.
Sie hielt den Kopf etwas gesenkt und die Arme nah am Körper, ihr Mund
lächelte, aber ihre Augen waren zusammengekniffen, als blende sie das Licht oder als
habe sie Schmerzen."
Den Schatten zeichnet Peter Stamm in Gestalt der Polin Iwona. Sie ist
in jeder Beziehung das Gegenteil der schönen beherrschten Sonja. Eine
reiz- und anspruchslose Erscheinung, spröde, grau, unattraktiv,
ärmlich gekleidet, und ihr enges Zimmer ist mit religiösem Kitsch vollgestopft. Sie
hält sich illegal in Deutschland auf und mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser.
Zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, und
doch zirkulieren sie beide um Alex, die Zentralfigur des Romans. Er, ein
mittelmäßiger Architekt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, ist
nicht dem fortschrittsgläubigen Schweizer Konstrukteur verfallen, sondern verehrt den Postmodernisten
und Melancholiker Aldo Rossi. Nicht die Idee der lichtdurchfluteten
Moderne, sondern Rossis Aussage, "dass es in jedem Zimmer einen Abgrund gebe",
ist in Alex' Innerstem präsent.
Egal, ob Le Corbusiers Visionen von Licht und Schatten oder Rossis
dunkle Zimmerfluchten, sie beherrschen Stamms Helden latent metaphorisch. Die
eine - Sonja - wird seine Ehefrau, die andere - Iwona - seine Obsession. "Es
war nicht Lust, die mich an sie band, es war ein Gefühl, das
ich seit meiner Kindheit nicht mehr empfunden hatte, eine Mischung aus Geborgenheit und
Freiheit. Es war, als vergehe die Zeit nicht, wenn ich mir ihr zusammen
war, aber gerade dadurch bekamen diese Momente ihr Gewicht. Mit Sonja baute
ich mir etwas auf, das nie ganz fertig wurde. (...) Kaum hatten wir ein Ziel
erreicht, zeichnete sich schon das nächste ab, wir kamen nie zur Ruhe.
(...) Es war, als sei Iwona der einzige Mensch, der mich ernst nahm, dem ich wirklich
etwas bedeutete. Sie war die einzige Frau, die in mir mehr sah als den netten
Jungen oder den vielversprechenden Architekten."
Peter Stamm erzählt eine
Dreiecksgeschichte in einem Liebesroman. Aber nicht
derart, wie man es von einer solchen erwarten würde. Seine
Sprache ist klar, nüchtern,
distanziert, eher schmuck- und teilnahmslos als romantisch und
verklärt. Nicht das Herausarbeiten von romantisierten Glückmomenten
zählt zu den Stärken des
Buches, sondern das Ausloten menschlicher Unzulänglichkeiten.
Dies jedoch mit einer kühlen Zärtlichkeit und Empathie.
Als Rahmenhandlung fungiert ein Gespräch von Alex mit der
befreundeten Malerin Antje, in deren Marseiller Wohnung vor 18 Jahren die Beziehung zu Sonja
begann. In Rückblenden setzt er Stück für
stück sein vergangenes Leben zusammen, schonungslos, offen und ehrlich - eine Lebensbeichte.
Fazit:
Le Corbusiers Kunstwerke zu bewohnen ist anstrengend. Denn um der
Schönheit
Willen muss man auf Eigenschaften wie Gemütlichkeit,
Heimeligkeit oder Kuscheligkeit verzichten. Ähnlich verhält es sich mit
Peter Stamms "Sieben Jahre". Auch hier sucht man diese Charakteristika vergeblich.
Der Autor seziert die Liebe in all ihre Einzelteile, bis auf den
letzten freigelegten Nerv, da, wo es richtig weh tut. Aber wie er das schafft,
zeichnet hervorragende Literatur aus.
"Du bist, was du liebst, nicht wer dich liebt." (Aus "Sieben Jahre")
(Heike Geilen)
Peter Stamm: "Sieben Jahre"
Fischer, 2011. 304 Seiten.
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Peter
Stamm, geboren 1963, wohnhaft in Winterthur, studierte einige Semester
Psychologie
und Psychopathologie sowie Anglistik. Er arbeitete in verschiedenen Berufen, unter Anderem in Paris und New
York. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor und Journalist.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Wir fliegen. Erzählungen"
Heidi zeichnet das junge Mädchen, das sie nie gewesen ist. Vor
Jahren wollte
sie Künstlerin werden,
in
Wien studieren an der Akademie, aber die Reise ging
nur bis Innsbruck. Jetzt hat sie Mann und Kind, die sie nie gewollt
hat. Erst durch Carmen, die hübsche Lehrtochter aus der
Bäckerei, fängt sie wieder an
zu träumen.
Bruno arbeitet seit dreißig gleichmäßigen
Jahren als Portier in einem Hotel.
Er war beim Arzt,
ein schlimmes Ergebnis könnte ihn erwarten. Noch
weiß er nichts Endgültiges, es ist seine letzte Nacht vor dem
Resultat. Aber es wird nichts sein, bestimmt nicht. Für einen Moment ist er ganz
glücklich.
Es sind diese Momente, in denen sich etwas verändert im Leben,
in denen etwas
geschieht, man merkt es kaum. Momente, die der Zeit
enthoben scheinen. Eine neue Welt tut sich auf, man erkennt die Sackgasse, in die man vor langer
Zeit geraten ist. Und plötzlich herrscht ein anderes Licht. (Fischer)
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"Weit über das Land"
Ist es ein neuer Anfang, wenn man alles hinter sich lässt?
Ein Mann steht auf und geht. Einen Augenblick zögert Thomas, dann verlässt er
das Haus, seine Frau und seine Kinder. Mit einem erstaunten Lächeln geht er
einfach weiter und verschwindet. Astrid, seine Frau, fragt sich zunächst, wohin
er gegangen ist, dann, wann er wiederkommt, schließlich, ob er noch lebt.
Jeder kennt ihn: den Wunsch zu fliehen, den Gedanken, das alte Leben abzulegen,
ein Anderer sein zu können, vielleicht man selbst.
Peter Stamm ist ein Meister im Erzählen jener Träume, die zugleich locken und
erschrecken, die zugleich die schönste Möglichkeit und den furchtbarsten Verlust
bedeuten. "Weit über das Land" ist ein Roman, der die alltäglichste aller Fragen
stellt: die nach dem eigenen Leben. (S. Fischer)
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"Agnes"
Im überheizten Lesesaal der öffentlichen Bibliothek
in Chicago wechseln sie die ersten Blicke, bei einem Kaffee die ersten Worte. Eines Tages
fordert Agnes ihn auf, ein Porträt über sie zu schreiben, sie will
wissen, was er von ihr hält. Schnell zeigt sich, dass Bilder und Wirklichkeit einander nicht
entsprechen - und dass die Fantasie immer mehr Macht über ihre
Liebesbeziehung erhält. (Fischer)
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"Wenn es dunkel wird" zur Rezension ...
"An einem Tag wie diesem"
An einem Tag wie diesem ändert Andreas sein Leben. Ihn packt
eine Sehnsucht,
die zwischen Heimweh und Fernweh nicht mehr unterscheidet. Er wirft
alles hin, verkauft seine Wohnung und kündigt seine Stelle in Paris, um
nach einem halben Leben zu der Frau zurückzukehren, die er einmal geliebt hat.
Die Gleichheit der Tage war sein einziger Halt, jetzt hofft er auf ein Wunder und darauf,
dass alles neu beginnt. Seine Reise führt ihn in die Provinz seiner
Jugend und wieder weg bis ans Ufer des Atlantiks, in die Arme einer Frau, deren
Liebe er beinah verspielt hatte. (Fischer)
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