Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: "Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch"

(Hörspielrezension)


Eine pikareske Odyssee während des Dreißigjährigen Krieges

Wohl jeder hat schon einmal von der kuriosen literarischen Figur der Barockzeit, dem Simplicissimus, gehört. Und auch sein Verfasser, der 1622 in Gelnhausen geborene und am 17. August 1676 in Renchen gestorbene bedeutendste deutsche Erzähler des 17. Jahrhunderts, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, ist kein Unbekannter.

In seinem Hauptwerk, dem fünfbändigen Roman "Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch" (im selben Jahr kam noch ein sechster Fortsetzungsband mit dem Titel "Continuatio des abentheuerlichen Simplicissimi" hinzu) beschreibt er das Leben "eines seltzamen Vaganten / genant Melchior Sternfels von Fuchshaim / wo und welcher gestalt Er nemlich in diese Welt kommen / was er darinn gesehen / gelernet / erfahren und außgestanden / auch warumb er solche wieder freywillig quittiert." Und dies "überauß lustig / und männiglich nutzlich zu lesen / An Tag geben von German Schleifheim von Sulsfort".
"Melchior Sternfels von Fuchshaim" und "German Schleifheim von Sulsfort" waren übrigens nichts Anderes als Anagramme des Namens "Christoffel von Grimmelshausen", derer sich der Autor gern bediente.

Das vorliegende historische Hörspiel in der 1963 vom "Westdeutschen Rundfunk" produzierten Fassung kommt jedoch keineswegs derart verrätselt, monströs und als Wortungetüm daher, wie die Originalausgabe aus dem Jahr 1669. Die Umsetzung des Stoffes mit dem großartigen - im August 2005 verstorbenen - Hans Clarin zeichnet sich durch hervorragende akustische und inhaltliche Qualität aus. Regisseur Ludwig Clemer verzichtete auf moralisierende Umdeutungen sowie inhaltliche Verbiegungen und blieb wohltuend nah am Original.

"Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch" berichtet von den Abenteuern eines einfältigen Jünglings, eines "tumben Toren", der zum Soldaten, Narren, Bauern, Räuber, Sklaven, Pilger und Einsiedler wird. Der Hörer verfolgt - dem Gattungsmuster des Schelmenromans gemäß - aus der Ich-Perspektive die Entwicklung und das Sichzurechtfinden eines Einfältigen, naiv-unschuldigen Protagonisten - der "jedem die Wahrheit so ungescheut sagt" - in einer verderbten Welt.

Simplicius' Leben ist eine unaufhörliche Wanderschaft. Er erfährt am eigenen Leib, dass nichts von Dauer ist, denn weder Glück noch Erfolg bleiben ihm treu. Kaum hat er sich durch List oder Gewalt ein Vermögen erworben, steht er wieder mit leeren Händen da.
Gleichzeitig zeichnet Grimmelshausen ein realistisches Bild der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der verkommenen feudalen Gesellschaftsstrukturen während des Dreißigjährigen Krieges.

Besonders hervorzuheben ist die musikalische "Untermalung" dieser Hörspielfassung, für die der Komponist Hans-Martin Majewski verantwortlich zeichnet. Majewski, einer der vielseitigsten und schaffensreichsten musikalischen Nestoren der Nachkriegszeit (er komponierte die Musik zu mehr als 200 Filmen und über 100 Hörspielen - u. a. "Die Brücke" von Bernhard Wicki), prägt diesem Hörspiel einen besonders wertvollen Stempel auf. Gitarren- und Lautenmusik (gespielt von Prof. Siegfried Behrend), Flötentöne und natürlich die Sackpfeife verleihen dem gesprochenen Wort zusätzliche Authentizität und sind harmonisch verbindendes Glied zwischen dem ausgezeichneten Sprecherensemble.

Der großartig aufgelegte Hans Clarin, der die Titelrolle des Simplicius markant und absolut glaubwürdig - einmal schelmisch, dann wieder ironisch - spricht, ja geradezu hervorzaubert und ihr eine ideale Gestalt gibt, rundet schließlich das vollkommen stimmige Bild der hervorragenden Inszenierung ab.

Fazit:
Beinahe sieben Stunden allerfeinste und vergnügliche Unterhaltung sind dem Hörer dieser historischen Aufnahme aus dem Jahr 1963 gewiss. "Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch" lässt viel über das Leben und die Anschauungen der Menschen während des Dreißigjährigen Krieges erfahren und hat auch mehr als 300 Jahre nach seinem Entstehen - dank dieser hervorragenden akustischen Fassung - nichts von seinem Reiz verloren.

(Heike Geilen; 01/2009)


Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: "Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch"
Random House Audio, 2008. 6 Audio-CDs; Spieldauer ca. 406 Minuten.
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Einige Buchtipps:

Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: "Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch"

Vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges entwickelt sich die abenteuerliche Lebensgeschichte eines nur scheinbar einfältigen Knaben aus dem Spessart in bunten Episoden: Bei einem Eremiten, als Hausnarr des Stadtkommandanten von Hanau und als Knecht eines Dragoners wächst der Junge heran, stellt sich in den Dienst kaiserlicher Truppen und besteht als "Jäger von Soest" vielfältige Abenteuer. Sein Weg führt ihn nach Paris und Wien und zurück in den Schwarzwald, wo er sich als Bauer niederlässt. Von dort bricht er nach Moskau auf und landet schließlich nach einem Schiffbruch auf einer paradiesischen Insel im Indischen Ozean, wo die Lebensbeschreibung in einer beschaulichen Robinsonade ausklingt.
Der bedeutendste barocke Schelmenroman in deutscher Sprache erschien 1668 und gilt als ebenbürtiger Bruder von Cervantes' "Don Quijote".
"Es hat mir so wollen behagen, mit Lachen die Wahrheit zu sagen", schrieb der Dichter zu seinem berühmten Werk, das er als humorvolle autobiografische Ich-Erzählung seines Helden präsentiert. Kein anderes Werk des Barock hat dieses Zeitalter zwischen derber Sinnenfreude und vom Krieg gezeichneter Jenseitssehnsucht so plastisch einzufangen vermocht und in unsere Zeit vermittelt.
Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen wurde um 1622 im hessischen Gelnhausen geboren. Der protestantische Gastwirt- und Bäckerssohn geriet 1639 in den Strudel des Dreißigjährigen Krieges, der ihn als Soldat in die verschiedensten Gegenden Deutschlands führte; zuletzt diente er als Konvertit bei den bayerischen Truppen. 1665 ließ er sich als Wirt in Gaisbach nieder und begann seine meist autobiografisch gefärbten Texte zu schreiben. Er starb am 17. August 1676 als bischöflich-strassburgischer Schultheiß im rheinischen Rechen. (dtv)
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Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: "Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch"
Aus dem Deutsch des 17. Jahrhunderts von Reinhard Kaiser.
Der großartigste deutsche Roman, der noch zu entdecken bleibt.
Ein Roman über den Krieg und das Geld, über das Leben und Lieben, das Hauen und Stechen in einer verkehrten Welt, in der es drunter und drüber geht - ein Weltbuch und Zeitbild, das nichts auslässt und auf der literarischen Klaviatur alle Register zum Klingen bringt.
Ein "Literatur- und Lebensdenkmal der seltensten Art" nannte Thomas Mann diesen ersten großen Roman in deutscher Sprache, in dem es "bunt, wild, roh, amüsant, verliebt und verlumpt" zugehe, "kochend von Leben, mit Tod und Teufel auf Du und Du". Die Titelfigur und den Namen des Dichters kennt jeder - nur gelesen hat das gewaltige Buch so gut wie niemand, denn das barocke Deutsch des Autors ist vielen Zeitgenossen inzwischen fast unzugänglich geworden.
Reinhard Kaiser hat das Wagnis unternommen, dieses erste große Volksbuch der Deutschen wieder unters Volk zu bringen: in einer Sprache, die uns nahe ist. Ihm ist das Kunststück geglückt, Rhythmus, Ton und Geist des ursprünglichen Textes, seine Tiefe und seinen übersprudelnden Witz wieder präsent werden zu lassen. Man darf von einem literarischen Wunder sprechen. (Eichborn)
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Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: "Courasche, Springsinsfeld, Wunderbarliches Vogelnest I-II, Rathstübel Plutonis. Text und Kommentar"
Grimmelshausen selbst hat seine erzählerischen Hauptwerke als einen Zyklus von zehn Büchern verstanden. Simplicissimus ist die verbindende Gestalt dieser Werke, im "Springinsfeld" und im "Vogelnest I" nicht mehr Eremit, sondern sozial engagierter, satirischer Schriftsteller. Am stärksten hat die Figur der "Erzbetrügerin" Courasche seine Einbildungskraft beschäftigt: eine Existenz jenseits der traditionellen religiösen und moralischen Normen, eine Frau, die ihre Identität nicht aufzugeben bereit ist. Im Wechsel der Perspektiven führt der Zyklus jedoch auch die Wahnbefangenheit seiner Ich-Figuren vor. Die Erzähler der Vogelnest-Romane erweitern diese Perspektivenvielfalt um die Sichtweisen von Normallesern der Zeit auf die zeitgenössische "verkehrte Welt". Als Zugabe angefügt ist das "Rathstübel Plutonis", in dem Grimmelshausen seine Gestalten, ergänzt um Angehörige aller Stände, zu einem herrschaftsfreien, freimütigen Diskurs über das Thema Geld zusammenführt.
Dieser Band bietet kritisch revidierte Texte mit den für das heutige Verständnis nötigen sprachlichen Erläuterungen und Kommentaren. (Deutscher Klassiker Verlag)
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Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): "Grimmelshausen"
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen wird wie kaum ein anderer deutscher Autor des Barock auch heute noch gelesen und produktiv künstlerisch aufgenommen - es entstanden unzählige Simpliziaden, Hörspiele und sogar Fernsehfilme. Das Interesse gilt besonders seinem berühmten "Simplicissimus"-Roman und seiner "Continuatio". Vor allem aber auch die weiteren Werke Grimmelshausens zeugen von der stupenden Belesenheit des Autors, von seiner Lust an vertrackten gelehrten Anspielungen und Querverweisen, von großer Freude am anschaulichen Erzählen, vom fantasievollen Einsatz schöpferischer Fabulierungskunst und vom Reiz des satirischen Rundumschlags gegen alle Stände und Gesellschaftsschichten. Deshalb finden auch der "Keusche Joseph", der "Ewig-währende Calender", "Trutz Simplex", "Der Seltzame Springinsfeld", "Dietwald und Amelinde", "Die verkehrte Welt", "Proximus und Lympida" und "Simplicissimi Galgenmännlin" ausführliche Berücksichtigung. Ebenso gewürdigt werden die vielschichtigen ikonografischen, wissenschafts- und geistesgeschichtlichen Bezüge des Werks und Aspekte seiner Rezeption. Eine biografische Skizze über den rätselhaften Autor leitet den Band ein, eine detaillierte Chronik und eine Auswahl der wichtigsten Literatur über Grimmelshausen und sein Werk beschließen ihn. (edition text+kritik)
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Misia Sophia Doms: "'Alkühmisten' und 'Decoctores'. Grimmelshausen und die Medizin seiner Zeit"
Wer sich auf die Suche nach der Darstellung medizinischen Denkens und Handelns in der Literatur des 17. Jahrhunderts begibt, wird im breit gefächerten Werk Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausens vielfach fündig werden. Diese Studie bietet eine ausführliche Kommentierung, medizingeschichtliche Kontextualisierung und literarhistorische wie auch wissenschaftshistorische Interpretationen jener Passagen des Werks, die sich mit der Heilkunde, mit Heilern und mit Krankheiten befassen. Dabei wird zum Einen die Fragestellung nach den Quellen(gattungen) erörtert, die dem polyhistorisch arbeitenden Autor einen Zugang zum heilkundlichen Wissen eröffnet haben könnten, und untersucht, ob beziehungsweise mit welchen Modifizierungen er medizinisches Wissen seiner Zeit in seine literarische Produktion einbrachte. Zum Anderen analysiert die Autorin innerhalb einzelner Textabschnitte direkt und indirekt vorgenommene Bewertungen bestimmter Behandlungsverfahren, Heilergestalten und medizinischer Konzepte sowie die Reichweite und die Funktionen dieser "Medizinkritik".
Aus dem Inhalt: Die Ordnung der Dinge und die Polypharmazie: Grimmelshausen und die galenistische Medizin - Die "Alkühmisten" und das "Saccharum saturni": Grimmelshausens Einstellung zu Paracelsus und zur alchemia medica - Waffensalbe und böse Blicke: Grimmelshausen und die Iatromagie - Medizin zwischen Gott und Teufel: Grimmelshausen und die Iatrotheologie und Iatrodämonologie - Aurum potabile oder Aconit? Heiler- und Ärztegestalten in den Werken Grimmelshausens. (Peter Lang)
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Italo Michele Battafarano, Hildegard Eilert: "Courage. Die starke Frau der deutschen Literatur. Von Grimmelshausen erfunden, von Brecht und Grass variiert"
Eine außergewöhnliche Frauengestalt der deutschen Literatur, die 1670 von Grimmelshausen erfunden, 1941 von Brecht und 1979 von Grass variiert wurde, ist Objekt dieser Studie. Analysiert wird, wie Grimmelshausen durch das unstete Leben einer Frau den Dreißigjährigen Krieg zum Objekt seiner Kritik macht; ferner, wie diese Kritik am Krieg durch Brechts Maternisierung der Courage im epischen Theater eine Veränderung erfährt und schließlich wie in Grass' Erzählung "Das Treffen in Telgte" der Blick auf den Zweiten Weltkrieg durch die Perspektive des Dreißigjährigen Krieges gebrochen wird. Besondere Aufmerksamkeit erhält Grimmelshausens Romankonstruktion der fiktiven Autobiografie der reuelosen Courage, welche als Ich-Person bewusst auftritt, um sich gegen all diejenigen Männer erzählerisch zu behaupten, die sie verleumdet und verkannt haben. Dieser Roman dient Grimmelshausen sowohl zur Kritik am Krieg als auch zur Widerlegung der Hexenlehre und zur Relativierung der Hexenobsession seiner Zeit. In der antimartialischen Tradition von Grimmelshausens Roman stehen sowohl Brechts Dramatisierung des Krieges als Niederlage der kleinen Leute als auch die Thematisierung der Macht des Wortes und der Ohnmacht der Dichter im Krieg durch Günter Grass. Zusammen schufen alle Drei eine faszinierende starke Frau, die ein unicum in der deutschen Literatur ist. (Peter Lang)
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