Kamila Shamsie: "Verglühte Schatten"


Ein weißer Blitz, drei Kraniche und zwei Türme

An einem schönen Augusttag 1945 steht die blutjunge Deutschlehrerin Hiroko Tanaka in einem Seidenkimono ihrer verstorbenen Mutter auf dem Balkon ihres Hauses in Nagasaki. Sie freut sich auf die Hochzeit mit ihrem deutschen Liebsten, Konrad Weiss, der gerade auf dem Weg ins Stadtzentrum ist. Dann sieht sie einen schrecklichen weißen Blitz - die Atombombe. Konrad verglüht zu einem schwarzen Schatten auf einem Stein. Hirokos Vater stirbt elendiglich, von Schuppen bedeckt wie eine Echse. Und die drei Kraniche auf dem Seidenkimono brennen sich für immer als hässliche narbige Schatten auf den einstmals schönen Rücken von Hiroko.

Zwei Jahre später flieht Hiroko vor dieser schrecklichen Vergangenheit nach Delhi, wo sie Konrads Halbschwester Ilse Burton und deren Mann, einen typischen Vertreter der britischen Oberschicht, weiß. Sie verliebt sich in einen Bediensteten der Familie, den Konrad dort seinerzeit eingeführt hat: Sajjad Ashraf. Und dieser heiratet sie, obwohl sie ihm die abscheulichen vogelförmigen Wunden auf ihrem Rücken gezeigt hat.

Die Familien Ashraf-Tanaka und Burton-Weiss bleiben einander auch in den nachfolgenden Jahrzehnten verbunden. Konrads Schwester nimmt sich an der forschen Hiroko ein Beispiel und wagt sich mutig in ein neues Leben - ohne ihren Mann. Eng sind auch die Schicksale der einzigen Söhne aus den beiden Ehen verknüpft, denn der junge Harry Burton besucht die Ashrafs in Pakistan, wohin sie schließlich als muslimische Familie emigrieren müssen, und er ist mittlerweile ein CIA-Agent. Hirokos und Sajjads Sohn Raza lässt sich von Harry später in einer der kritischen Phasen, die junge Menschen durchmachen, für einen US-Söldnerdienst anwerben. Seine Mutter, die Ilse nach dem Tod ihres Mannes in die USA gefolgt ist, weiß nichts davon, dass Harry und Raza in Afghanistan gegen die Taliban kämpfen. Und dann gerät Kim, Harrys Tochter, völlig zwischen die kulturellen Fronten und scheitert an einer Verantwortung, die für eine Zeugin des 11. September 2001 ganz einfach zu gewaltig ist.

Die pakistanische Autorin Kamila Shamsie deckt mit ihrem Romanepos eine gewaltige Zeitspanne ab, innerhalb derer sich die Welt enorm verändert hat. Die Atombombe auf Nagasaki macht den Anfang, der Terroranschlag auf das World Trade Center 2001 und die daraus resultierende panische Angst vor Muslimen bildet den Abschluss.

Hiroko Tanaka als Protagonistin erlebt alle Stadien dieser mehr als fünf Jahrzehnte. Sie verliert den Verlobten und ihren Vater und wird indirekt mit ihrer neuen Liebe ein Opfer der Teilung der englischen Kronkolonie in Indien und Pakistan. Ihr Sohn gerät eher zufällig in die Spannungen zwischen Afghanen und Sowjets, später zwischen Taliban und US-Amerikanern, und dies wird ihm schließlich zum Verhängnis. Und Hiroko muss erleben, dass der Abstand zwischen Nagasaki und Guantánamo sehr gering ist.

Auf manchen Leser mag die Nähe der beiden porträtierten Familien zu den großen kritischen Ereignissen und Fragestellungen der Zeitgeschichte ein wenig konstruiert wirken. Unmissverständlich präsentiert sich jedoch die Aussage: Zwischen der pauschalen Ansicht, nach Hiroshima sei auch noch Nagasaki "zur Rettung amerikanischer Leben" notwendig gewesen - "nur" 75.000 Todesopfer in dieser Stadt gegenüber den Millionen Weltkriegstoten - und der ebenso pauschalen Aburteilung von Muslimen als potenziellen Feinden der Vereinigten Staaten von Amerika, die keine Chance auf einen gerechten Prozess haben, selbst wenn sie womöglich jahrelang im Dienst der USA standen, besteht eine bedrohliche Nähe. Dieser Aussage kann sich der westliche Leser kaum verweigern. Doch Kamila Shamsie, Autorin großer, gefühlsstarker Romane, beschränkt sich selbstverständlich nicht auf eine ausgeschmückte Version eines historischen Abrisses. Ihre mächtige Familiensaga zeigt die Chancen und Schwierigkeiten einer Bindung zwischen Ost und West auf menschlicher wie politischer Ebene auf, eingebettet in einen kraftvollen Roman um menschliches Versagen, um Liebe und Sehnsucht und die Suche von "Mischlingen" nach einer Identität, um die Balance zwischen der Verpflichtung, Geheimnisse innerhalb von Familien zu teilen, und dem Bewusstsein um den Schmerz, den eine solche Offenbarung erzeugen kann.

Die Erzählerin Shamsie vermag diesem tiefgründigen Roman immer wieder eine bezaubernde erotische Färbung zu verleihen, bar jeder oberflächlichen Pornografie. Ihre Liebenden finden sich über kulturelle Grenzen hinweg letztlich ohne Worte in der körperlichen Vereinigung, die alle Zweifel tilgt.

Feinfühlig und nur behutsam als Anwältin jener Millionen Muslime, die ohne jeglichen Fanatismus einfach nur ihr Leben leben möchten, schildert Kamila Shamsie den Gang der Weltgeschichte seit dem Sommer 1945. Und sie lässt den Leser teilhaben an ihrem Zweifel daran, ob die Menschen aus der Geschichte gelernt haben.

(Regina Károlyi)


Kamila Shamsie: "Verglühte Schatten"
Übersetzt von Ulrike Thiesmeyer.
Bloomsbury Berlin, 2009. 480 Seiten.
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Ein weiteres Buch der Autorin:

"Die Straße der Geschichtenerzähler"

Ein reicher, sinnlicher Roman über eine junge Engländerin, die 1914 zu Ausgrabungen nach Labraunda reist und dort dem Archäologen Tahsin Bey begegnet. Ein Roman voller Exotik, eine Liebesgeschichte, die sich vor dem Hintergrund antiker Ausgrabungen und den Wirren des Ersten Weltkriegs entfaltet.
Juli 1914. Vivian Rose Spencer hastet über die antiken Pflastersteine den Hang hinauf, unter Feigen und Zypressen hindurch, und stolpert fast unversehens in ihre erste Entdeckung. Der Türke Tahsin Bey, ein Freund ihres Vaters, hat sie eingeladen, an den Ausgrabungen von Labraunda teilzunehmen. An diesem sagenhaften Ort, in dem strahlenden Licht Kariens lässt sie die strengen Konventionen ihrer Heimat weit hinter sich und wird auch Tahsin Bey auf ganz neue Weise begegnen.
Juli 1915. Der junge Paschtune Qayyum Gul kehrt verwundet aus dem Krieg zurück; Vivian folgt einer Spur ihres verschwundenen Geliebten. In einem Zug nach Peschawar treffen die beiden aufeinander, nicht ahnend, dass ihre Geschicke sich auf immer verbinden und sie eines Tages, in der Straße der Geschichtenerzähler, wieder zusammenführen werden.
Kamila Shamsie hat einen fesselnden Roman über Liebe und Verrat, über Unterdrückung und das Streben nach Freiheit geschrieben. Voll sinnlicher Details - die blühenden Gärten Peschawars, der Geruch nach Tabak, Erde und Feigen - ist "Die Straße der Geschichtenerzähler" ein Stück erfahrbare Geschichte, ein leidenschaftlicher, dringlicher Roman. (Berlin)
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