Eva Illouz: "Die Errettung der modernen Seele"
Therapien, Gefühle und die Kultur der Selbsthilfe
Ein
verheißungsvoller Titel,
aber kein populärwissenschaftliches Buch
"Die Errettung der modernen Seele." Ein Titel wie ein Köder,
der
verheißungsvoll die Neugier des Lesers anstachelt. Drehen wir
das Buch um, so
lesen wir auf der Rückseite des Buchumschlages den folgenden
Text: "Ohne
Freud wäre Woody Allen nur ein Trottel und Tony Soprano nichts
weiter als ein
Gangster, gäbe es zwar einen Ödipus, aber keinen
Ödipuskomplex." Das
alles erweckt schon irgendwie den Eindruck, als handle es sich hier um
ein populärwissenschaftliches
Buch, das einen weiten Leserkreis anspricht. Dass dies keineswegs der
Fall ist,
dürfte dem Leser schon nach wenigen Seiten klar werden. Der
Inhalt des Buches,
oder besser gesagt, die Art und Weise, wie er den Lesern dargebracht
wird,
bleibt gegenüber seinem verheißungsvollen Titel
deutlich zurück. Ich habe
mich schon oft gefragt, warum sich gerade Soziologen (die Autorin ist
Professorin für
Soziologie) so schwer tun,
allgemeinverständlich zu
formulieren, um sich statt dessen ihres soziologischen Fachjargons zu
bedienen.
Dieses Phänomen finden wir auch bei Eva Illouz, deren Sprache
zwar nicht überkandidelt
ist wie bei einigen ihrer Kolleginnen und Kollegen, aber doch stets dem
soziologischen Fachjargon verhaftet bleibt. Vom Thema her
dürfte ihr Buch wohl
von allgemeinem Interesse sein, eine Lektüre für Otto
Normalverbraucher ist es
aber gewiss nicht. Das ganze Buch wirkte auf mich irgendwie
angestrengt, mühsam
konstruiert. Und viel Neues erfährt man hier auch nicht, der
Leser bekommt
recht dürftige, allgemein bekannte, durch soziologischen
Fachjargon aufgepeppte
Informationen. Auch die für Soziologen typischen, eigenen
Wortkompositionen
fehlen hier nicht. Beispiel: "durkheimischer Synergismus"
auf
Seite 358. Nur wenige Zeilen später, auf der selben Seite
prägt dann die
Autorin (oder ist hier der Übersetzer verantwortlich?) das
Wort "durkeimianisch".
Zum Inhalt: Es geht in diesem Band vornehmlich um die Kultur der
psychologischen
Selbsthilfe mit einem Schwerpunkt auf den Verhältnissen in den
Vereinigten
Staaten von Amerika. In den Jahren 1968 bis 1983 verdreifachte sich in
den USA
die Anzahl der klinischen Psychologen, wie wir von Eva Illouz erfahren.
Da gab
es dann mehr Psychologen als Feuerwehrleute und sogar doppelt so viele
wie Zahnärzte
oder Apotheker! Und fast die Hälfte der us-amerikanischen
Bevölkerung hat
schon einmal die Dienste eines Psychotherapeuten in Anspruch genommen.
Beinahe sämtliche
Lebensbereiche sind von Psychologie durchdrungen oder gar von ihr
vereinnahmt
worden. In diesem ungeheuren Einfluss der Psychologie bzw.
Psychotherapie auf
unsere Kultur sieht Eva Illouz etwas Beunruhigendes, womit sie
zweifellos Recht
hat. Die Art und Weise sowie das Zustandekommen dieses bedenklichen
Einflusses
werden in ihrem Buch dann eingehend erörtert.
Nach dem einleitenden ersten Kapitel gibt die Autorin zunächst
einen kurzen
Abriss über Freuds Psychoanalyse, zeigt die Gründe
für deren weltweiten
Erfolg, vor allem für ihre schnelle und umfassende Akzeptanz
in den USA auf und
erörtert die Folgen, die daraus für das
Selbstverständnis des modernen
Menschen erwachsen sind. "Wir sind heute durch und durch
freudianisiert",
konstatiert Eva Illouz. Durch den Erfolg und die
weite Verbreitung der
Lehre
Sigmund Freuds auch unter psychologischen Laien war dem Siegeszug der
Psychowissenschaften in der us-amerikanischen Populärkultur
der Weg bereitet,
und es etablierte sich in weiten Kreisen der Gesellschaft ein
Autoritätsanspruch
der Psychologen auf zahlreichen Gebieten.
Das dritte Kapitel "Vom Homo oeconomicus zum Homo communicans"
behandelt dann den Einfluss der Psychologen auf die us-amerikanische
Unternehmenskultur. Auf diesem Sektor sollte es der Psychologie
zufallen,
Testverfahren zu entwickeln, die es den Unternehmen
ermöglichen, besonders
produktive Mitarbeiter einzustellen. Neben einer ausgeprägten
Fähigkeit zur
Kommunikation, wie es in der Überschrift anklingt, war vor
allem
Selbstkontrolle als wertvolle Charaktereigenschaft gefragt. Eva Illouz:
"Die
Psychologen machten
emotionale Kompetenz zum neuen moralischen
Eignungskriterium
der Führungskraft." Als Quintessenz des dritten
Kapitels nun ein
weiteres Zitat der Autorin: "So haben die Psychologen in
einer
ironischen Wendung der Kulturgeschichte Adam Smith'
eigennützigen Homo
oeconomicus in einen Homo communicans verwandelt, der die Welt und
seine Gefühle
reflexiv überwacht, sein Selbstbild kontrolliert und den
Perspektiven der
anderen Anerkennung zollt." Inwieweit diese
Einschätzung jedoch den
Realitäten in den Betrieben gerecht werden kann, mag
dahingestellt bleiben.
Zweifel scheinen hier auf jeden Fall angebracht.
Kapitel vier ist überschrieben mit "Die Tyrannei der
Intimität".
Hier geht es unter Anderem um die vielfältigen und
widersprüchlichen
Beziehungen zwischen der Psychoanalyse und der feministischen Bewegung.
Zunächst
von den Feministinnen begeistert aufgenommen, da sie eine sexuelle
Befreiung der
Frau mit sich zu bringen schien, geriet die Freudsche Psychoanalyse
schon bald
in Verruf, um letztlich doch gemeinsam mit dem Feminismus "zu
einer
einzigen mächtigen kulturellen und kognitiven Matrix zu
verschmelzen."
Seit Freud betrachteten die Psychologen das mit Tabus behaftete Thema
Sexualität
als Schlüssel zur geistigen Gesundheit, was natürlich
nach Orientierungshilfe
verlangte, welches Bedürfnis von der Psychologie dann
natürlich auch geschürt
wurde. Auch die Ehe wurde von den Psychologen verkompliziert und
problematisiert, um sich und ihr
Konfliktmanagement auch auf diesem
Terrain
menschlichen Zusammenlebens unverzichtbar zu machen. Die
Intimbeziehungen wurden
rationalisiert und mussten gelernt werden. Eva Illouz: "Unter
der Ägide
von Psychologie und Feminismus sind Intimbeziehungen zunehmend zu
Dingen
geworden, die man nach einem metrischen System bewertet und
quantifiziert."
Im fünften Kapitel geht es um die Selbsthilfeindustrie, die
sich vor allem in
einer Flut von
Ratgebern und Kursen, aber auch TV-Sendungen
manifestiert hat.
Seelisches Leiden wird öffentlich in Fernsehsendungen zur
Schau gestellt. Das
ist dann der "Triumph des Leidens", so auch die Überschrift
des
Kapitels. Es geht dabei auch um die Art und Weise, wie sich diese
Entwicklung
der Selbsthilfe-Bewegung mit der Freudschen Lehre arrangiert hat. Die
Autorin übt
in diesem Zusammenhang Kritik an der Pharmaindustrie sowie auch an den
Analytikern und Psychologen selbst, die fast alle menschlichen
Verhaltensweisen,
die nur ein wenig vom Durchschnitt abwichen, als pathologisch
abstempelten und
die psychische Gesundheit zu einer Art Ware machten. Um eine
Rechtfertigung zur
Therapie zu haben, mussten Leiden als solche benannt und etikettiert
werden.
Das sechste und vorletzte Kapitel "Eine neue Achse sozialer Schichtung"
stellt den Begriff "Emotionale Intelligenz", abgekürzt EI,
vor, eine
Alternative zum Konzept des IQ. Beide Konzepte dienen der sozialen
Schichtenbildung, nur dass die EI durch eigene Anstrengung verbessert
werden
kann im Gegensatz zum mehr oder weniger festzementierten IQ. Emotionale
Kompetenzen rangieren also bei der EI vor kognitiven. Und wie die
Verfasserin
dieses Buches uns versichert, ergaben Studien in Lateinamerika,
Deutschland und
Japan übereinstimmend, dass eine hohe Emotionale Intelligenz
mehr über eine
Qualifikation für einen bestimmten Beruf aussagt als ein hoher
Intelligenzquotient.
Am Ende ihres kurzen Schlusskapitels spricht die Autorin die Hoffnung
aus, mit
ihrem Buch einige wichtige kulturelle und soziale Prozesse freigelegt
zu haben.
Dies kann man ihr bestätigen, allerdings hat sie das in einer
für den
Nichtsoziologen ziemlich vertrackten Weise getan.
(Werner Fletcher; 05/2009)
Eva
Illouz: "Die Errettung der modernen Seele. Therapien, Gefühle
und die Kultur der Selbsthilfe"
Übersetzt von Michael Adrian.
Suhrkamp, 2009. 412 Seiten.
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Eva
Illouz, geboren 1961
in Marokko, ist Professorin für
Soziologie an der Hebrew University in Jerusalem.
Weitere Buchtipps:
Katja Crone, Robert Schnepf und Jürgen Stolzenberg (Hrsg.):
"Über
die Seele"
Die philosophische Frage nach der Seele gehört zu den
ältesten und
zugleich aktuellsten Themen der Philosophie. Bis heute ist keineswegs
geklärt,
was das Seelische bzw. Geistige ausmacht und wie es sich zum Physischen
verhält.
Dies belegen die gegenwärtigen Kontroversen zwischen
Neurowissenschaft und
Philosophie über menschliche Willensfreiheit.
Der Band präsentiert die wirkungsmächtigsten
Positionen zum Begriff der Seele
von der Antike bis zur Neuzeit und diskutiert darüber hinaus
aktuelle
Problemlagen der Bewusstseinsphilosophie. Alle Beiträge
stammen von
international renommierten Spezialisten, richten sich aber dezidiert an
ein
breiteres Publikum. So bietet der Band zugleich einen Beitrag zur
aktuellen
Debatte um Geist und Gehirn und eine fundierte Einführung in
das Thema.
(Suhrkamp)
Buch
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Hermann
Hesse, Josef Bernhard
Lang: "Die dunkle und wilde Seite der Seele"
Briefwechsel mit seinem Psychoanalytiker Josef Bernhard Lang 1916-1945
Herausgegeben von Thomas Feitknecht
Eine der ungewöhnlichsten Gestalten aus Hesses Freundeskreis
ist der
Psychoanalytiker Josef Bernhard Lang (1881-1945). Ohne diesen,
C.G.
Jung
nahestehenden, Arzt wäre es dem Dichter wohl kaum
geglückt, die tiefe
Depression zu überwinden, in die ihn der Erste Weltkrieg
gebracht hatte. Die Zäsur
in Hesses Werk, die mit dem Demian einsetzte, sein Weg vom
traditionsverbundenen
Erzähler zum experimentierfreudigen Visionär
künftiger Entwicklungen, nahm
damals ihren Anfang. Durch J.B. Lang, der u.a. ein Buch unter dem Titel
"Hat
ein Gott die Welt erschaffen?" publizierte, lernte
Hesse das Weltbild der
Gnostiker und deren Abraxas-Symbolik kennen, die lange vor
Nietzsche
das
traditionelle Denken in Frage stellte.
"Andre Leute mögen dies und jenes von Kunst verstehen",
schrieb Hesse an Lang, "aber die dunkle und wilde Seite der
Seele
versteht niemand so gut wie du." Die sich schon bald zur
Freundschaft
entwickelnde Beziehung zeigt Lang als Hesses Agenten bei der
Bewältigung seiner
familiären Probleme, zugleich aber auch, wie sich die Rolle
von Arzt und
Patient allmählich umkehrte. Von Schicksalsschlägen
getroffen, war Lang schließlich
selbst auf Hesses Hilfe angewiesen.
Lang war es auch, der Hesse den Anstoß zur Aquarellmalerei
gab. Im Verlauf
ihrer Gesprächstherapie forderte er ihn auf, seine
Träume nicht nur mündlich,
sondern auch bildnerisch darzustellen. Dabei entdeckte Hesse sein
Talent zum
Malen und Zeichnen.
Lange Zeit galt diese Korrespondenz als verschollen.
Überraschend ist sie
aufgetaucht und wird hier erstmals vollständig publiziert. Der
Briefwechsel
gibt einen faszinierenden Einblick in eine Beziehung, die im April 1916
beginnt
und 1945 mit dem Tod Langs als Patient jener psychiatrischen Klinik
endet, in
der seine ärztliche Laufbahn begann.
(Suhrkamp)
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