Bernd Jürgen Warneken: "Schubart"
Der unbürgerliche Bürger
Ein
begnadeter Künstler und Vorläufer des politischen
Wandels
Der Autor Bernd Jürgen Warneken lehrt Empirische
Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen, ist
also ein Mann mit dem Blick für Strömungen und
Epochen und somit ein idealer Biograf, möchte man meinen.
Gerade Christian Friedrich Daniel Schubart ist gleichermaßen
Produkt und Opfer seiner Zeit und ihrer Strömungen, zwischen
Feudalismus und
Revolution, und hätte zu einer anderen Zeit
oder an einem anderen Ort eine völlig andere Vita hinterlassen
- dieser Schubart, der virtuose Organist und Pianist, der geniale
Stegreifdichter und vor allem der große Journalist. Aber wir
würden ihn heute vermutlich dennoch kennen.
Schubart, mit Talent für zehn, wie der Autor Schubarts Vater
zitiert, unterrichtete als junger Mann in den 1760er-Jahren den
Nachwuchs des schwäbischen Städtchens Geislingen.
Eine ganze Reihe seiner vom Autor treffend als "polyphon" bezeichneten
Diktate ist erhalten geblieben, und drei fanden gar Einzug in das
vorliegende Buch. Darin bewies Schubart Witz und Sprachkunst, wohl
ahnend, dass kaum einer seiner Schützlinge begreifen werde,
was ihnen da in die Finger diktiert wurde. Doch "respice finem!"
möchte man ausrufen angesichts des folgenden
Neujahrsgedichtes, das von Schülerhand geschrieben Anfang 1769
auftauchte:
Drum wünsch ich, daß du Glücke
in diesem Jahr erlangst.
Daß du an keinem Stricke
Dies Jahr am Galgen prangst.
Friß nicht wie Schaf und Rinder
Gras, Stroh und dürres Heu,
es hau dir auch der Schinder
den Schädel nicht entzwei,
kein bloßer Hintern fahre,
dir in das Angesicht,
es hol in diesem Jahre
dich auch der Teufel nicht.
1769 erreichte ihn der Ruf als städtischer Organist und
Musikdirektor Ludwigsburgs, der Residenzstadt des
württembergischen Herzogs Karl Eugen. Dieser Karl Eugen war
eine bedeutende Figur des deutschen Rokoko. Denn wer spräche
heute noch von dem Regimentsarzt
Friedrich
Schiller, wenn nicht dieser Despot in Schiller den
Kampfgeist gegen Absolutismus freigelegt und so indirekt Weltliteratur
verursacht hätte. Schubarts Parabel "Zur Geschichte des
menschlichen Herzens" inspirierte Schiller
zu
seinen "Räubern"
und der Flucht aus Karl Eugens Württemberg.
Aus Württemberg verjagt, begann Schubart eine Wanderung, die
ihn durch halb Süddeutschland führte und
in
München kurz verweilen ließ. Doch auch da
holte ihn
seine Reputation ein, und er flüchtete nach Augsburg, von wo
aus er die "Teutsche Chronik" herausgab, die als erstes deutsches
politisches Periodikum gelten kann, so Warneken. Darin publizierte er -
an zwei Vormittagen je Ausgabe im Wirtshaus diktiert - moderne
politische Ideen, die sich zwischen Freiheit, Patriotismus und
ständischer Ordnung bewegen. Er betrieb keine prinzipielle
Fürstenschelte, aber er verlangte gute Potentaten und drosch
auf die schlechten ein, die "ihre" Soldaten ins Ausland verkauften, um
den Hof zu finanzieren. Und dieser Anklage begegnete man
später auch in "Kabale und Liebe". Hier Schubart, der
Poltergeist des Bürgertums, dort Schiller, der Theoretiker der
Freiheit. Wie viel Schubart steckte eigentlich in Schiller?
Ein Karl Eugen ließ sich so etwas natürlich nicht
bieten und lockte Schubart unter einem Vorwand auf das Territorium
Württembergs, wo er prompt verhaftet wurde und für
zehn Jahre auf dem Hohenasperg verschwand. Überaus interessant
gestaltete sich das Verhältnis von Schubart zu seinem
Gastgeber Karl Eugen. Man sollte meinen, die Rollen seien in diesem
Schauspiel klar verteilt. Doch nach einem Jahr in dem so genannten
Schubart-Loch stieg die Lebensqualität des immer
berühmter werdenden Häftlings merklich. Auch wenn
Karl Eugen sich von dem Chor der Fürsprecher unbeeindruckt
zeigte, teilten sich beide die Erlöse aus Schubarts wieder
aufgenommenen Publikationen. Und nach mehr als zehn Jahren Haft bot
Karl Eugen seinem Ex-Häftling den Posten eines Musik- und
Theaterdirektor in Stuttgart an - Schubart nahm an und verlebte seine
letzten vier Jahre in Stuttgart, wo er 1791 im Alter von 62 Jahren
verstarb.
Am Ende des Buches steht kein akribisch und trocken biografierter
Schubart vor dem Auge des Lesers. Warneken präsentiert
vielmehr einen lebendigen Schubart, mit all seinen
Widersprüchen innerhalb einer komplizierten Zeit und einer
komplizierten Welt. Exakte biografische Daten verblassen mit der Zeit
ohnehin, doch ein stimmiges Bild einer Person bleibt für lange
Zeit im Gedächtnis. Der Autor flocht in dieses herausragende
Werk sehr geschickt doch einige Schubartiaden
im
Originalwortlaut ein.
Das ist besonders dankenswert, weil das Angebot
Schubart'scher Werke nicht gerade als umwerfend bezeichnet werden kann.
So möchte man mit
Hölderlin einstimmen: "O
es wär eine Freude, so eines Mannes Freund zu sein."
Und es war eine pure Freude, diese Biografie zu lesen.
Man erhält ein hübsches Buch, gebunden, ohne
Schutzumschlag im reihenüblichen Schuber, mit 50
schwarz-weißen Abbildungen, einem eingeklebten farbigen
Gemäldefoto, Anmerkungen, Literaturverzeichnis, Bildnachweis,
bedauerlicherweise ohne Personenregister. Ein Lesebändchen
rundet das Buch ab.
(Klaus Prinz; 06/2009)
Bernd
Jürgen Warneken: "Schubart. Der
unbürgerliche Bürger"
Eichborn - Die Andere Bibliothek, 2009. 419 Seiten.
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