Reinhard Mehring: "Carl Schmitt. Aufstieg und Fall"

Eine Biografie


Der weiße Rabe, der auf keiner schwarzen Liste fehlt

Der Autor, ausgebildeter Theologe und Historiker, ist Direktor am Forschungsbereich "Religion und Politik" ("FRP") an der Humboldt-Universität zu Berlin. Carl Schmitt beschäftigt ihn seit seiner Dissertation.

Carl Schmitt war ein 1888 geborener deutscher Staatsrechtler, dessen Wirken von Kaiserreich und Erstem Weltkrieg über Weimarer Republik und vor allem Nationalsozialismus bis zur Bundesrepublik und ihrer wachsenden europäischen Integration reichte, die er bis zum Alter von nahezu 97 Jahren beobachten konnte. Insbesondere für einen Staatsrechtler sind das Epochen und Sprünge, die geeignet sind, selbst den flexibelsten Geist zu überfordern. Zwischen 1921 und 1945 lehrte er an den Universitäten Greifswald, Bonn, Berlin, Köln und wieder Berlin. Daneben publizierte er ausgiebig und wirkte als Gutachter und Berater für Wirtschaft und Politik. Doch insbesondere seine aktiven Verstrickungen in den Nationalsozialismus bewirkten, dass er nach 1945 im universitären Bereich nicht mehr Fuß fassen konnte.

Trotz vielfältiger Kontakte zu Juden wurde er nach 1933 ein glühender Antisemit, ein Nationalist und Antiliberaler war er Zeit seines langen Lebens, der im römischen Katholizismus eine Art Staatsideal sah. Keine freiheitliche Rechtegesellschaft, sondern eine dekretale Organisation mit übermächtigem Kopf schwebte ihm vor. Schmitt schrieb beispielsweise in seiner Schrift "Begriff des Politischen" von 1927: "Durch den Liberalismus des letzten Jahrhunderts sind alle staatlichen und politischen Vorstellungen in einer eigenartigen und systematischen Weise verändert und denaturiert worden." Einen aufrechten Anhänger einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratie graut es vor Mensch und Gedanken gleichermaßen. Im Übrigen frönte Schmitt der Heuchelei, denn der heimliche Libertin, der die Libertinage aber öffentlich anklagt, trennte privatim sexus und caritas voneinander und betrieb neben seiner Ehe häufig eine oder mehrere Nebenverhältnisse.

Schmitt charakterisierte sich nach 45 selbst als weißen Raben, der auf keiner schwarzen Liste fehle. Eine Entnazifizierung führte er nicht durch, da er nicht nazifiziert gewesen sei, in diesem Nachkriegsdeutschland, das er Persilien nannte. Dennoch ist es erstaunlich, wie weit und vielfältig seine Kontakte sich nach 1945 ausbildeten. Einige Namen in diesem fakten- und namenreichen Werk überraschen denn doch, denn man vermutet unter seinen zeitweiligen Anhängern keine bundesdeutschen Verfassungsrichter, oder doch?

Die Bewertung des Buches ist keine leichte Aufgabe. Es muss betont werden, dass dieses Buch einen außergewöhnlichen Fleiß des Autors bezeugt und auch in seiner enzyklopädischen Form eine vorzügliche Informationsquelle zu Carl Schmitt darstellt, die wohl in dieser Form eine aktuelle Lücke schließt. Doch drei Kritikpunkte bedürfen der Erwähnung. Der erste ist stilistischer Natur. Themenwechsel oder neue biografische Abschnitte werden gelegentlich durch wahre Hagel von kurzen, unzusammenhängenden Sätzen eingeleitet, wie das folgende Beispiel illustriert: "[...] Es geht nur noch ums Überleben. Berlin erlebt am 3. Februar einen schweren Luftangriff, Dresden geht Mitte Februar unter. Die Fronten brechen nun überall zusammen. Die Amerikaner überschreiten bei Remagen den Rhein. Anfang März wird Berlin in drei konzentrische Verteidigungsringe eingeteilt. Hitler fordert 'verbrannte Erde' und gibt Durchhalteparolen aus. Das Todesinferno setzt Endzeitstimmung frei. Churchill dringt bei Roosevelt auf eine Besetzung Berlins. Roosevelt verstirbt aber und Hitler glaubt an ein zweites Mirakel Brandenburg. Ostpreußen ist abgeschnitten." In diesem Falle entfaltet dieses Stilelement seine volle Wirkung und stimmt den Leser perfekt auf die Kurzatmigkeit des Kriegsendes ein. Das Stilelement sollte allerdings auf Szenarien beschränkt bleiben, die man bei Lesern als bekannt voraussetzen kann. Das folgende Stakkato hingegen erzeugte bei dem Rezensenten nur Verwirrung, weil er den Zusammenhang vergeblich suchte: "Schmitt datiert seine erste Bekanntschaft mit dem vormärzlichen Autor Max Stirner auf Unterprima. Er erwähnt den disziplinarischen Zwischenfall, dass er bei der Lektüre von David Friedrich Strauß erwischt wurde. Am Beginn der Oberprima, am 3. August 1906, wird er zusammen mit zwölf anderen Oberprimanern 'wegen unerlaubten Wirtshausbesuches mit einer Stunde Schularrest' bestraft." Das ist eines von vielen Beispielen.

Der häufig verwendete Schrägstrich wie beispielsweise im Ortsbegriff "Bussingen/Lothringen" verlagert die Formulierung des Satzes hin zu dem Leser, denn ob der Schrägstrich nun "und", "oder" bzw. in diesem Falle "in" bedeutet, muss sich der Leser selbst erarbeiten. Und spätestens beim Vorlesen muss man ihn aktiv durch einen der genannten Begriffe ersetzen oder gar umformulieren.

Der dritte Kritikpunkt betrifft die Intimsphäre Carl Schmitts. Dass dieser ein Libertin war, soll der Leser erfahren. Doch selbst aus autorisierten Tagebüchern, die dem Autor zur Verfügung standen, müssen keine Erektionen und Ejakulationen von Staatsrechtlern ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden. Und dass Schmitt "recht eng stehende Mandelkernaugen" besaß, die im nächsten Satz zu großen Augen werden, befremdet selbst in einer Biografie ein wenig.

Fazit:
Das Buch stellt eine ausgezeichnete Informationsquelle zu Leben und Werk des Carl Schmitt dar, auch wenn das eine oder andere Faktum vielleicht im Anhang besser aufgehoben wäre. Die Werke werden ausführlich vorgestellt und auch für Nichtjuristen verständlich präsentiert.
Eine etwas gründlichere Ahnung des 20. Jahrhundert jedenfalls setzt Kenntnis von Person und Werk des Carl Schmitt gewissermaßen voraus, und insofern kommt diesem Buch eine wichtige Aufgabe zu. Trotz kleinerer Mängel kann man eine klare Kaufempfehlung aussprechen.

(Klaus Prinz; 10/2009)


Reinhard Mehring: "Carl Schmitt. Aufstieg und Fall"
C.H. Beck, 2009. 750 Seiten mit Abbildungen.
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