Zyta Rudzka: "Doktor Josefs Schönste"


Drastisch-behutsame Schicksalsschilderung

Dieser bewegende und mutige Roman der 1964 geborenen polnischen Schriftstellerin Zyta Rudzka, die als Psychotherapeutin und Autorin arbeitet, spielt in einem Altersheim in Warschau. Es ist eine besondere Seniorenresidenz, die vielen Menschen, welche die Vernichtungslager der Nazis überlebt haben, ein letzter, trauriger Wohn- und Lebensort geworden ist.

Da begegnen wir Herrn Henoch, Frau Benia und Herrn Leon, alle miteinander eingeschlossen in ihren zerfallenden und hinfälligen Körpern und einer Lebensgeschichte, die sie permanent zu wiederholen glauben. In dieser Residenz, deren Direktor krampfhaft versucht, mit Hilfe seines Pflegepersonals Ordnung und System in den Laden zu bekommen, damit aber immer nur wieder die Projektionen der grausamen Erinnerungen der ehemaligen Lagerinsassen auf sich zieht, leben auch Frau Leokadia und ihre Schwester Czechna.

"Frau Czechna war zarter. Zerbrechlich. Ihr Gesicht ein zartes Oval. Umschattete, stets halb geschlossene Augen, sei es, weil das Licht ihr zusetzte, sei es wegen einer Überempfindlichkeit ihrer Lider. Noch immer hatte sie das Profil, das Doktor Josef einst so bewundert hatte. Manchmal hatte er sie berührt. Er strich über ihr langes Haar, legte es nach hinten, so dass es einen üppigen Umhang bildete. Er streichelte ihre spitzen Brüste. Er ertastete die Stelle, in die sein Assistent gleich eine bräunliche Flüssigkeit spritzen würde, die er dem geschwürigen Unterarm entnommen hatte.
Diesen Unterarm hat Frau Czechna nicht mehr."


Nachdem ihr Vater die beiden Mädchen , wohl von Josefs Mengeles Zwillingsversuchen wissend, an der Selektionsrampe in Auschwitz als Zwillingsschwestern ausgegeben hatte, wurde Czechna zu "Doktor Josefs Schönster". -
" Man hatte sie wöchentlich fotografiert. In der Spitalsbaracke. Bei der Blutabnahme aus dem Ohr. Auf der Bahre im Tageslicht. Doktor Josef war stolz auf diese Fotosammlung, Sie dokumentierte seine monatelange Arbeit und war der Beweis dafür, dass das Menschenmaterial nicht einfach verschwendet wurde."

In ihren letzten Monaten im Heim bewahrt sich Czechna etwas von diesem Stolz, für Josef Mengele offenbar so wichtig gewesen zu sein. Als ein männlicher Mitbewohner ihr zarte Avancen macht, entgegnet sie ihm entrüstet: "Wissen Sie denn nicht, wen Sie vor sich haben? Vor Ihnen steht Miss Auschwitz!"

Damit schockiert sie immer wieder nicht nur ihre Schwester Leokadia, die versucht, die grausamen Erfahrungen zu verdrängen und zu vergessen, sondern auch Mitbewohner und Pflegepersonal.
Doch nicht nur für Frau Czechna sind die Parallelen zum Lager offensichtlich. Wieder haben sie alles, was sie hatten, zurückgelassen, um zu einem Ort zu gehen, wo ihnen der Tod bestimmt ist. Wieder sind sie als fast namenlose Geschöpfe der Willkür und der Gnade von Menschen ausgesetzt, die Macht über sie haben.

Frau Czechna und die anderen Heimbewohner kämpfen gegen das oft arrogante und wohl teilweise auch hoffnungslos überforderte Pflegepersonal und die seelenlosen Anweisungen des Direktors um nichts Weniger als um ihre Würde, die ihnen schon einmal genommen wurde und derer sie sich auch an diesem Ort beraubt sehen.

Bewundernswert sind sie geschildert in ihrem Eigensinn, diese alten Menschen, viele von ihnen Überlebende des Holocaust. Zyta Rudzka, die in diesem Buch wohl Erfahrungen verarbeitet, die sie als Psychotherapeutin gemacht hat, beschreibt diese um ihre Würde und mit ihren grausamen Erinnerungen kämpfenden Menschen mit ebenso liebevoller wie achtsamer Sprache. Ihr gelingt es, mit Hilfe von Poesie das Hässliche schön werden zu lassen, so seltsam das auch klingen mag. Die Autorin hat mit diesem Roman ein bewegendes Werk nicht nur über Überlebende des Holocaust, sondern auch über das Alter und die Erinnerungen, das Leben und das Überleben und vor allen Dingen über Menschenwürde bis zum letzten Atemzug, geschaffen.

(Winfried Stanzick; 03/2009)


Zyta Rudzka: "Doktor Josefs Schönste"
(Originaltitel "Slicznotka doktora josefa")
Aus dem Polnischen von Esther Kinsky.
Ammann Verlag, 2009. 316 Seiten.
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Zyta Rudzka wurde 1964 in Warschau geboren. Sie ist Psychotherapeutin und Autorin von Gedichten, Romanen und Drehbüchern. "Doktor Josefs Schönste" ist ihr erstes Buch in deutscher Übersetzung.