Uwe Schultz: "Richelieu. Der Kardinal des Königs"
Eine Biografie
Ein
Kardinal und sein König
Uwe Schultz lebt nach langer öffentlich-rechtlicher
Beschäftigung mit der Kultur als freischaffender Autor in
Paris und legte nach Werken über Descartes, Ludwig XIV. und
Madame Pompadour nun ein weiteres biografisches Werk eines bedeutenden
historischen Franzosen vor: Armand-Jean du Plessis, duc de Richelieu.
Das Buch weist rund 300 Textseiten auf, die durch einige monochrome
Abbildungen angereichert sind. Zitatennachweis, Familienstammbaum,
Bildnachweis und Personenregister ergänzen das Werk. Die
Bibliografie enthält von Carl Burckhardts
dreibändiger Biografie und einem Buch Churchills abgesehen
lediglich französische Bücher, was bei dem streng
französischen Sujet kein Nachteil sein muss.
Dieser Richelieu, der von 1585 bis 1642 lebte, war ein
außergewöhnlicher Mensch, der als Ein-Mann-Regierung
fast zwanzig Jahre lang die Geschicke Frankreichs lenkte. Die durch
Informationsvorsprung konstituierte Macht, an der nicht einmal sein
König Ludwig XIII. vorbeikam. Gebildet, ungemein intelligent
mit einem phänomenalen Gedächtnis, vorbildlich
vernetzt, skrupellos für die Monarchie im Einsatz, der ideale
zweite Mann, der allerdings ebenso engagiert für sich und
seine Familie kämpfte wie für seinen König
und sein Land.
Dabei wollte und sollte er eigentlich die militärische
Laufbahn einschlagen, doch er musste aus Familienraison die
Klerikerlaufbahn einschlagen, denn ein Bruder hatte sein
bischöfliches Amt aufgegeben, um Mönch zu werden.
1606 ernannte König Heinrich III. ihn 21-jährig zum
Bischof von Luçon in der Vendée. Da ihm jedoch
vier Jahre zum kanonischen Standard von 25 Jahren fehlten, reiste er
nach Rom, wo er 1607 offiziell zum Bischof ernannt wurde. Nach seiner
Rückkehr setzte er sein Studium fort (!) und promovierte Ende
Oktober 1607.
Die Ende 1614 einberufenen Generalstände boten ihm das erste
öffentliche politische Betätigungsfeld und die Ehre
der Abschlussrede, die er zu nutzen wusste - die
geschäftsführende Regentin Maria
de' Medici biss an.
Seine erste politische Leistung erbrachte er damit, 1616 einen
aufsässigen, intriganten und machthungrigen Prinzen mit
Thronansprüchen vertraglich zu binden und ihn zurück
an den Hof zu bringen. In diesem Jahr wurde der Bischof von
Luçon Kriegsminister -
Augustinus hätte sicherlich
Verständnis für ihn gehabt. Im April 1617
überraschte der gerade einmal fünfzehneinhalb Jahre
alte Ludwig XIII., seines Zeichens der rechtmäßige
König, seine geschäftsführend regierende
Mutter und den Hof mit der handstreichartigen Übernahme der
Macht. Maria de' Medici und ihr Kabinett nebst dem
bischöflichen Kriegsminister wurden entmachtet und gingen ins
Exil. Er hatte verstanden und bot dem König über
dessen Vertrauten sogleich an, seine Mutter zu bespitzeln. Doch das kam
in Paris nicht gut an, und Richelieu zog sich nach Luçon
zurück, wo ihn jedoch 1618 die Exilorder nach Avignon
erreichte. Dort klagte er, 32-jährig, "die Welt sei
nichts als Täuschung", machte sein Testament und
vererbte seinen Besitz der Kirche. Kurze Zeit später
vermittelte er zwischen Ludwig XIII. und dessen Mutter, die nach ihrer
Flucht aus ihrem Exil in Blois an einem Bürgerkrieg
laborierte, was ihn letztlich in einem zweiten Anlauf samt
Königinmutter wieder an den Hof nach Paris brachte.
1622, nach dem Tod eines Widersachers am Hofe, wurde Richelieu
Kardinal, und 1624 ernannte ihn Ludwig zum Minister ohne Ressort im
Staatsrat. Richelieu forderte gleich eine Sonderrolle im Staatsrat ein,
indem er sich auf eine alte Urkunde zur Geschäftsordnung
berief, in der den Kardinälen der führende Rang vor
den Prinzen, den Ministern und dem Kanzler gebührte. Kaum war
er im Amt, intrigierte er auch mittels anonymer Pamphlete solange gegen
den primus inter pares La Vieuville, bis dieser hinter Gittern
saß. Sein treuer Gefährte aus Luçoner
Tagen Père Joseph nutzte sein Kapuzinernetzwerk, um
politische Informationen von wichtigen europäische
Höfen exklusiv Richelieu zur Verfügung zu stellen.
Richelieu war ganz vorne und blieb es bis unmittelbar vor seinem Tod.
Insgesamt, so schreibt der Autor, summierten sich die
Militärausgaben zu Zeit Ludwigs XIII. und Richelieus auf 1 bis
1,25 Milliarden Livres, eine unvorstellbare Summe. Zu dieser meldeten
sich auch Stimmen für eine Politik des Friedens, die sich
jedoch nicht durchsetzen konnten. Finanziert wurden die
Metzeleien
natürlich auch von denen, die darunter litten, also dem Volk.
Die Meinung des Kardinal-Ministers von Volk war bezeichnend: "Alle
Politiker sind einhellig in der Auffassung, dass, wenn es dem Volk zu
gut geht, dass es die Regeln seiner Pflichten einhält ... Man
muss es mit den Mauleseln vergleichen, die, gewohnt an ihre Last, eher
faul werden durch eine lange Ruhepause als durch Arbeit."
Erhellend ist auch dieser Satz aus seinem "Politischen Testament"
über den Nutzen des Krieges: "Die Staaten
bedürfen seiner in gewissen Zeiten, um sich von ihrem
schlechten Naturell zu heilen." Aus der finanziellen Not
heraus blieben Staatsämter natürlich denen
vorbehalten, die den Preis dafür zahlen konnten.
Der Zeitgenosse Richelieus Tallemant des Réaux bekundete: "Die
Größe seines Hauses (der Richelieus) ist seine
größte Besessenheit gewesen." Ein
Finanzminister soll unvorsichtigerweise geäußert
haben, zwei der wesentlichsten Verlustlöcher des Staates seien
der Haushalt Richelieus und die Ressorts Artillerie und Marine. Nach
seinen Tod hinterließ er ein Gesamtvermögen von rund
16 Millionen Livres, das insgesamt größte
Vermögen des gesamten französischen Hochadels. Ein
Zeitgenosse: "Er war der Ehrgeizigste von allen [...] und der
schäbigste Geizhals der Welt, der mit dem Geld des
Königs verschwenderisch umging und mit dem eigenen geizte."
Ein Besessener, in dessen Nähe rund im die Uhr stets drei
Sekretäre weilten, um seine Gedanken zu notieren, auch und
vorzugsweise des Nachts. Mit Ludwig XIII. verband ihn das Ziel,
Frankreich zur führenden Macht Europas machen zu
wollen. Doch die Dominanz des faktischen Kardinal-Premierministers
scheint gegen Ende ihrer gemeinsamen Zeit selbst dem König zu
viel geworden zu sein, denn Richelieu hatte ein enges Netz von
Informanten auch um Ludwig herum gezogen. Bezeichnend aber ist am Ende
jedoch der von Ludwig nach dem Tod Richelieus überlieferte
Satz: "Ich will, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind."
Fazit:
Ein ausgezeichnetes Fazit bilanziert diesen Ausnahmemenschen Richelieu
auf drei abschließenden Seiten: Während England
durch die Glorious Revolution die politischen
Weichen für die Neuzeit stellte, zementierte Richelieu den
zentralistischen Absolutismus weit über seine Zeit hinaus, bis
dieser 1789 zerbarst. Das ist der Vorzug der Nachwelt, dass sie in
größeren geschichtlichen Dimensionen greifen und
begreifen darf. Und so ist der Leser am Ende aufgerufen, sich selbst
ein Gesamturteil zu bilden.
Zwei bei C.H.Beck verlagsunübliche Schreibfehler und ein
entdeckter sachlicher Fehler trüben den insgesamt sehr guten
Gesamteindruck nur unwesentlich.
(Klaus Prinz; 02/2009)
Uwe
Schultz: "Richelieu. Der Kardinal des Königs. Eine Biografie"
C.H. Beck, 2009. 350 Seiten.
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