Hannu Raittila: "Die Klärung"
Bereits
im Jahr 2005 veröffentlichte der finnische Autor Hannu
Raittila "Die Klärung" im Original, im August 2009 gelangte
dieser Titel nun auch in den deutschsprachigen Raum, und zwar als
392-seitiges Taschenbuch der Sammlung Luchterhand.
Jaakko ist Ingenieur - und er ist arbeitslos. Als hätte er
damit nicht schon genug zu kämpfen, muss er sich auch um das
Wohlergehen seiner Frau sorgen, die in der
psychiatrischen
Klinik ist, und natürlich muss er
den Haushalt allein schmeißen, sich um seine Tochter
kümmern und einen Weg finden, in der ganzen Misere vor allem
finanziell nicht den Boden unter den Füßen zu
verlieren.
Dann wendet sich das Blatt offenbar zum Guten: Seine Frau wird
entlassen, veröffentlicht ein neues Buch und verdient
plötzlich unheimlich viel Geld, und er selbst bekommt endlich
wieder Arbeit. Zwar haftet der Tätigkeit eines Ingenieurs in
der Kläranlage nicht gerade Ruhm, sondern eher Häme
an, doch Jaakko liebt seinen Beruf. Sein Arbeitsplatz wird
tatsächlich sein Ein und Alles.
Der offizielle Klappentext des Buches lautet: "Ein Ingenieur
in der Unterwelt: von Sturmmöwen, Kläranlagen,
Kondomen und finnischen Männern kurz vor dem
Nervenzusammenbruch."
Der Klappentext trifft die Geschichte so sehr im Kern wie der
obenstehende, nämlich offen gesagt recht wenig. "Die
Klärung" ist zwar der perfekte Titel für diese
Geschichte, doch ein Buch, das sich leicht zusammenfassen
lässt, ist es nicht - vielleicht gerade wegen des Titels.
Wer auf den Klappentext allein angewiesen ist, liest 230 Seiten lang am
ersten von zwei Buchteilen mit dem Titel "Die Entladung der Pamisos".
Die hier erzählte Geschichte setzt sich zusammen aus
tagebuchartigen Berichten von Laura, Pena und Pajala. Was einem hier
geboten wird, hat abgesehen von dem Auftreten eines Ingenieurs im
Rahmen und am Rande der Geschichte keinerlei Bezug zur Zusammenfassung.
Das irritiert unheimlich, und immer wieder ertappt man sich beim
erneuten Studium des Klappentextes, immer mit der Frage auf den
hochgezogenen Augenbrauen, ob es sich um einen sehr groben Fehler bei
der Buchbeschreibung handelt oder man den Clou des Ganzen nicht
begreift.
Auf Seite 231 beginnt der zweite Teil des Buches: "Jaakko". Ab hier
gibt es nur noch ihn als Erzähler, und die angeblichen
Tagebucheinträge sind jeweils mit einem Datum versehen. Ja, es
gibt ihn, den Ingenieur, von dem die Kurzbeschreibungen
erzählen, und es gibt auch die Geschichte Jaakkos - und doch
ist in diesem Buch kaum etwas so, wie es scheint.
"Die Klärung" führt genau zu selbiger im Verlauf der
Lektüre und spannt ein psychologisches Netz, das immer enger
gezurrt wird. Abgesehen von vielen technischen Details vor allem im
ersten Teil des Buches ist das Ganze leicht zu lesen und - abgesehen
von den vermeintlichen Diskrepanzen zwischen Klappentext und Inhalt -
leicht verständlich. Man begegnet Menschen inmitten des
Lebens, wird mit alltäglichen Problemen konfrontiert, erlebt
Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln.
Im ersten Teil glaubt man, einen Krimi oder einen Wirtschaftsthriller
zu lesen, erst im zweiten entpuppt sich das Buch dann als
psychologisches Kammerspiel.
Der Stil des Buches ist zwar ein typisch für Raittila
lakonischer; die Bandbreite dessen, was die Geschichte als solche
aufbaut, entblößt und erschafft, geht jedoch enorm
in die Tiefe. Raittila wirft zahlreiche Fragen auf, bietet verschiedene
Perspektiven an und zeigt, wie unterschiedlich die Welt aus jeder
einzelnen heraus wirken und erlebt werden kann.
"Das Gemüt des Menschen sei ein dynamisches System,
es passe sich mit verblüffender Flexibilität den
Veränderungen der Umwelt und neuen Anforderungen an. Oft sei
das, was aus der Perspektive der zurückweichenden
Wirklichkeitsvorstellung nach einer Krankheit aussehe, in Wirklichkeit
nichts anderes als die Dynamik des menschlichen Gemütes, die
Anpassung an die veränderten Umstände",
heißt es da beispielsweise in einem Austausch auf Seite 268.
Was ist also eine Krankheit und was eine Anpassung? Was ist in der
heutigen Zeit wirklich wichtiger: Ist es das Materielle oder das
Immaterielle? Wo liegen die Unterschiede zwischen Männern und
Frauen, wie steht es um die Emanzipation der Frau, und was bedeutet all
das für das Zusammenleben von Menschen und die
Identität eines jeden Einzelnen?
All diese Fragen und viele mehr wirft Raittila in "Die
Klärung" auf, und sein Angebot an Antworten ist auf groteske
und satirische Art und Weise sehr einladend, tiefgehend und durchaus
nachdenklich machend, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen.
(Tanja Thome; 09/2009)
Hannu
Raittila: "Die Klärung"
(Originaltitel "Pamisoksen Purkaus")
Aus dem Finnischen von Stefan Moster.
Sammlung Luchterhand, 2009. 392 Seiten.
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