Tobias Kniebe: "Operation Walküre"
Das Drama des 20. Juli
Wie
es zum Umsturzversuch kam, und warum er scheitern musste
Als Claus Graf Stauffenberg am 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze eine
Bombe zündet, ist dies nur einer aus einer ganzen Reihe von
Attentatsversuchen der größten, am besten vernetzten
Widerstandszelle. Hitler übersteht ihn wie die anderen,
weniger beachteten auch. Dass gerade dieser fehlgeschlagene Versuch
einen solchen Bekanntheitsgrad erreicht hat und für den
Widerstand gegen das NS-Regime an sich steht, liegt zum einen an der
gewaltigen Welle von Verhaftungen, Verhören, Schauprozessen
und Ermordungen, die darauf folgten, zum anderen jedoch an dem sich an
die Ereignisse in der Wolfsschanze anschließenden
Putschversuch, jener "Operation Walküre".
Das Buch beginnt mit einigen missglückten
Selbstmordattentatsplänen, die in ebenjener Widerstandszelle
geplant wurden, zu der auch Stauffenberg gehörte - nebst
anderen Offizieren der Wehrmacht.
Es dürfte nicht allzu sehr überraschen, dass die
weiteren Kapitel eng mit Stauffenbergs Geschichte verknüpft
sind: mit seiner Verwundung in Afrika und seinem zähen Willen,
trotz massiver körperlicher Behinderungen Deutschland durch
den Widerstand gegen die Diktatur zu dienen, mit den Ereignissen ab dem
Spätsommer 1943 und vor allem im Frühjahr und
Frühsommer 1944 einschließlich Stauffenbergs
Einbeziehung in den engen Kreis jener, die Hitler unmittelbar
berichteten, und schließlich den fatalen 20. Juli 1944 sowie
die sich anschließenden Ereignisse, insbesondere die von
Fromm veranlassten standrechtlichen Erschießungen, die
Festnahmen, Prozesse und Hinrichtungen und auch die Verschleppung der
Kinder der Verschwörer nach Festnahme der Ehefrauen sowie
abschließend die Zusammenführung der Mütter
und Kinder nach Kriegsende.
Ausführliche Quellenangaben, eine Bibliografie und ein
Personenregister schließen das Buch ab.
Tobias Kniebe wendet sich mit seinem Buch an den interessierten Laien,
doch sein Werk ist anspruchsvoll, spürt er doch all jenen
Details nach, die im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944
Erklärungen für so viele Rätsel liefern
können.
Mancher Leser mag sich während des Geschichtsunterrichts
gefragt haben, ob
Stauffenberg nicht ein Feigling war, weil er sich nicht als
Selbstmordattentäter betätigte, sondern nach
Abstellen des Koffers mit aktiviertem Zünder und Sprengstoff
regelrecht floh, und warum die trotz allem aktivierte Operation
Walküre scheinbar so dilettantisch ablief, dass sie im Grunde
nur misslingen konnte. Vereinzelt hat es Veröffentlichungen
gegeben, die aufzeigen, dass es Stauffenberg nicht an Mut gefehlt hat,
sondern dem Widerstand an Personal, sodass Stauffenberg auch in Berlin
benötigt wurde, während niemand sonst die Bombe
hätte zünden können - und welche personellen
und strukturellen Engpässe den eigentlich gut geplanten
Putschversuch zum Scheitern verurteilten, von allerlei Verkettungen
unglücklicher Zufälle ganz abgesehen.
Der Verdienst des Autors Tobias Kniebe ist es, nicht nur solche Details
zusammengeführt und dank präziser Recherche weitere
Einzelheiten zutage gebracht zu haben, sondern auch Schritt
für Schritt zu erläutern, wie frühere
Missgeschicke und Enttäuschungen sich auf die Pläne
für den 20. Juli auswirkten, in welcher Weise die sehr
unterschiedlichen Charaktere und Erwartungen der Verschwörer
die Vorgänge beeinflussten, und wie dieser zugleich
rabenschwarze und lichte Tag der deutschen Geschichte im Einzelnen
ablief.
Im Präsens verfasst, liest sich das Buch fast wie ein
Kriminalroman, wüsste man nicht um die Authentizität
des Geschilderten. In der Tat - auch Hollywood hat es erkannt - mutet
die Verschwörung um von Tresckow und Stauffenberg wie ein "Thriller"
an, freilich ohne den geringsten Anklang eines versöhnlichen
Endes.
Stauffenberg, der aus gutem Grund im Zentrum des Buchs steht, und seine
Mitstreiter werden jedoch nicht nur als Figuren in einem Schachspiel
dargestellt, wobei das Schachspiel die Operation Walküre
wäre, sondern als Menschen mit jeweils ganz eigener Geschichte
und Motivation; diese Hintergründe erschließen sich
dem Leser in Form von Rückblenden oder eingestreuten Szenen,
etwa Stauffenbergs letzte Besuche bei seiner Familie.
Das Buch hebt sich von anderen Veröffentlichungen zum Thema
auch dadurch ab, dass es aufzeigt, wie einzelne Zauderer und
"Wackelkandidaten" an Schnittstellen versagten und dadurch das Gelingen
des Umsturzes unmöglich machten. Besonderes Augenmerk liegt
auf der Rolle von Friedrich Fromm. Doch auch die ruhige
Entschlossenheit potenzieller Selbstmordattentäter wird
gewürdigt.
Kniebes Buch, in unkompliziertem, direktem Stil gehalten, fesselt ohne
Effekthascherei. Es konzentriert sich auf das Wesentliche,
nämlich die Ereignisse vom 20. Juli 1944, vorausgegangene
Versuche des Tyrannenmords und die Folgen für die unmittelbar
Betroffenen. Einerseits fasziniert die detailgenaue Recherche, deren
ganzes Ausmaß sich dem Nicht-Historiker wohl nur durch die
Lektüre des Anhangs erschließt, andererseits das
Augenmerk auf den menschlichen und in Bezug auf etliche Protagonisten
auch allzu menschlichen Aspekt im Zusammenhang mit dem Attentat.
Somit bietet dieses Buch eine ausgezeichnete Möglichkeit, das
"Drama des 20. Juli" wie der Untertitel zu Recht lautet, zu verstehen
und zu bewerten und Respekt für die Menschen in seinem Umfeld
aufzubringen.
(Regina Károlyi; 02/2009)
Tobias
Kniebe: "Operation Walküre. Das Drama des 20. Juli"
Rowohlt Berlin, 2009. 288 Seiten.
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Tobias Kniebe, Jahrgang 1968, studierte Journalistik und Politik in München. Seit 1993 arbeitet er als Autor und Filmkritiker, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Daneben schreibt er Drehbücher, etwa für den Dokumentarfilm "Deutschland im Kinorausch" (1997) und zuletzt für den Spielfilm "Fremder Freund", der 2003 den "First Steps Award" gewann.