Ralph Dutli: "Liebe Olive"
Eine kleine Kulturgeschichte
Klein, aber gehaltvoll: das Buch ebenso wie die Olive selbst
"Liebe Olive", so könnte ein Brief
beginnen, ein Liebesbrief vielleicht, und das vorliegende Buch
lässt sich durchaus als Liebeserklärung verstehen,
wenngleich es sich um ein Sachbuch handelt.
Schon im Alten Testament der Bibel dient der Olivenbaum als Grundlage
eines Gleichnisses, und den Mythen der alten Griechen zufolge spielte
er bei der Gründung Athens eine zentrale Rolle; ohne die Olive
hieße Athen, glaubt man der
Götterlegende,
Poseidonia.
Der Autor berichtet von solchen Mythen und von historisch mehr oder
weniger belegten Vorkommnissen, die von der langen gemeinsamen
Geschichte, um nicht zu sagen: Symbiose, zwischen Olivenbaum und Mensch
zeugen und zudem belegen, wie zäh der im Grunde anspruchslose,
wenn auch frostempfindliche Baum ist. Darüber hinaus huldigt
er den "Methusalems" unter den heute noch lebenden
Ölbäumen, denn diese können ein Alter von
vielen hundert, im Extremfall auch mehreren tausend Jahren erreichen.
Die Geschichte der Kultivierung des Olivenbaums
einschließlich seiner Abstammung von wilden
Vorgängern, ergänzt um die Tradition der
Ölgewinnung und Ölverwertung, betrachtet Dutli ebenso
wie literarische Verbeugungen vor der Olive;
van
Goghs intensiven
Arbeiten mit Olivenbäumen als Motiv und der Legende um
Somerset
Maughams Tod mit einer Olive in der Hand sind jeweils eigene
Kapitel gewidmet.
Und auch ein wenig Philosophie und Lebenshilfe treten auf, etwa, wenn
es um die Langsamkeit der Entwicklung des Olivenbaums und seiner
Früchte geht, eine äußerst produktive
Langsamkeit, die in der heutigen rasanten Zeit gut täte.
Umfassend schildert das Büchlein alle Aspekte, die mit der
gemeinsamen Entwicklung von Mensch und
Olive zu tun haben. Die wenigsten Inhalte des Buchs wird der
Leser bislang reflektiert haben, wenn er im Supermarkt oder Reformhaus
eine Flasche Olivenöl
oder eingelegte Oliven
auswählte. Nach der Lektüre dürfte das
anders aussehen - man ahnt die Macht einer Jahrtausende alten
gemeinsamen Kulturgeschichte, die auch durch immer neue und nicht immer
sinnvolle EU-Verordnungen nicht relativiert werden kann, und die
keineswegs nur die mediterranen Erzeugerländer angeht, deren
Kultur ja bereits in der Antike durch eine Art Globalisierung weit
verbreitet wurde.
Olivenöl als Basis für Licht, Nahrung und Hygiene gab
es bereits im Altertum, wie der Autor aufzeigt, und wenn wir heute auch
kein Olivenöl mehr in Lampen verwenden, wird es doch nicht nur
in der Küche, sondern auch in der Kosmetik und in Bezug auf
die so genannte "Wellness" immer wieder neu
entdeckt: unter Anderem als Anti-Alterungs-Mittel, womit sich eines der
Kapitel befasst.
Zugleich sachlich und unterhaltsam geschrieben, informativ und auch
kontemplativ, lädt das kleine, jedoch aufgrund der recht
geringen Schriftgröße durchaus umfangreiche Buch zur
Lektüre in einer ruhigen Stunde ein. Natürlich werden
es vor allem Liebhaber von Oliven und Olivenöl lesen, doch es
bietet ansprechend aufbereitetes Wissen für jedermann. Da es
zudem sehr apart aufgemacht ist, eignet es sich auch perfekt als
Geschenk.
(Regina Károlyi; 09/2009)
Ralph
Dutli: "Liebe Olive. Eine kleine Kulturgeschichte"
Ammann Verlag, 2009. 157 Seiten.
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Ralph
Dutli wurde 1954 in Schaffhausen geboren. Er ist Lyriker, Essayist, Übersetzer
und Herausgeber der zehnbändigen
Ossip-Mandelstam-Gesamt-Ausgabe im Ammann
Verlag, wo auch seine viel beachtete Mandelstam-Biografie "Meine Zeit,
mein Tier" erschienen ist. Ralph Dutli erhielt mehrere Preise und
Auszeichnungen, zuletzt den "Johann-Heinrich-Voß-Preis" der
"Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung" 2006. Im Ammann Verlag sind
zuletzt erschienen "Novalis im Weinberg, Gedichte" (2005), und "Nichts
als Wunder, Essays über Poesie" (2007).
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Mandelstam. Meine Zeit, mein Tier"
Ossip Mandelstam ist ein Mythos. Er gilt in Russland
und weltweit als Märtyrer der Poesie, der für seine
Dichtung
mit dem Leben bezahlte. Vor allem bekannt ist er als politisch Verfolgter und als
Autor eines scharfen, den "Seelenverderber" Stalin
entlarvenden Gedichts. Sein Tod unter entwürdigenden
Umständen 1938 in einem
Zwangsarbeiterlager bei Wladiwostok beförderte entscheidend
seinen Ruhm. Mandelstam als Gulag-Häftling, als Opfer totalitärer
Macht im 20. Jahrhundert:
Dies ist oft das gängige Bild dieses Schriftstellers.
Der stolze und selbstbewusste, scharfzüngige und
streitlustige, sinnliche,
lebensfrohe und witzige Mandelstam, der durchaus kein Märtyrer
sein wollte, wird aus dem Mythos meist ausgeblendet.
Auch sein postumes Schicksal ist bemerkenswert. Seine Frau Nadeschda
überlebte wie durch ein Wunder die Stalin-Epoche, lernte Mandelstams Gedichte
auswendig, um sie vor Stalins Häschern zu bewahren, versteckte das Archiv
bei wenigen Komplizen und Freunden und ließ das Werk
schließlich in die Vereinigten
Staaten von Amerika schmuggeln. In ihren monumentalen Memoiren "Das
Jahrhundert der Wölfe" enthüllte sie 1970 das
Ausmaß von Mandelstams
Isolierung und Verfolgung, aber auch seinen Mut und seine Zivilcourage
in den finstersten Jahren des Stalin-Terrors.
Das vorliegende Buch ist die international erste Werkbiografie Ossip
Mandelstams. Sie vermeidet beide Gefahren: das Weiterweben an der
Heiligenlegende und die modische Demontage der Person. Mandelstam
braucht weder ein Heiliger zu sein noch ein Monster. Sein Leben lang konnte er nichts
Anderes sein als Dichter. Wer war dieser Dichter, der uns trotz aller Tragik
seiner Lebensumstände laut Pier Paolo Pasolini "eine der
glücklichsten Dichtungen des Jahrhunderts" geschenkt hat? War sein Leben
ein Albtraum, wie
Kafka ihn hätte träumen können?
Warum war er für viele - nicht
nur russische - Künstler ein "moderner
Orpheus"
(Joseph Brodsky)? (Ammann Verlag)
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"Die Liebenden von Mantua"
zur Rezension ...
"Nichts als Wunder.
Essays über Poesie" Noch ein Buchtipp:
Leseprobe:
Was Poesie vermag, was sie kann und will, und
vielleicht auch soll - dieser Frage geht Ralph Dutli in seinen Essays
mit Intuition und Gespür, mit dem Wissen des Lyrikers,
Gedichtübersetzers und
Poesiekenners nach. Ob es um die provenzalischen Troubadours geht, eine
französische Renaissance-Lyrikerin, die englischen "Metaphysical poets",
die Surrealisten oder
die
russischen Dichter der Moderne - immer steht der magische Akt
der Poesie im Mittelpunkt, das Sprache gewordene Wunder.
Ein "Poesie-Tagebuch" mit dem Titel "Der allerärmste Ort"
versammelt Fundstücke, Reflexionen, Einkreisungen der Poesie,
die sich immer wieder dem rationalen Zugriff entzieht. Ein Buch der
Bewegung, der ungewohnten Blicke, der Entdeckungen der Wunder!
(Ammann Verlag)
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Carlos Falcó: "Oleum. Die Kultur
des Olivenöls"
Über das "Grüne Gold" Spaniens - der Marqués de Griñón erzählt von der
faszinierenden Kultur des Olivenöls.
Die Leitfigur des spanischen Weinanbaus Carlos Falcó, als Marqués de Griñón ein
Mitglied des Hochadels, hat sich vor vielen Jahren dem Olivenöl verschrieben und
gibt in diesem Buch Einblick in diese faszinierende Kultur, die aus einer großen
Tradition lebt und in die Zukunft weist. Denn Olivenöl ist das traditionelle
Pendant zum Wein und verdient ebenso viel Aufmerksamkeit. Was in Italien lange
erkannt ist, brachte Carlos Falcó nach Spanien. In einem Land, in dem billige
Olivenölproduktion Standard ist, kaufte er Olivenhaine und schuf die Grundlage
für die Wiederherstellung einer Qualität, die seit Jahren verloren war. Carlos
Falcó ist ein außergewöhnliches Buch gelungen, welches alles Wissenswerte zu
Olivenöl versammelt und gleichzeitig Zeugnis einer großen Leidenschaft gibt. (Hoffmann
und Campe)
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Letzte Ölung für Somerset Maugham
Das Entzünden einer Lampe signalisierte in der Antike einen
Anfang oder einen
Übergang, bezeichnete einen wichtigen Moment im Leben oder im
Jahr. Es geschah
am Tag der Geburt, der Hochzeit, der Ernte, des Todes... Bei Taufe und
Tod kam Olivenöl ins Spiel. Im alten Rom wurden kurz vor einer Geburt
mehrere Lampen
für das Kind entzündet, von denen jede einen eigenen
Namen hatte. Den Namen
der Lampe, die am längsten brannte, gab man
schließlich dem Neugeborenen: Es
war ein Omen für ein langes Leben. Noch heute wird in
Griechenland während der
Taufzeremonie der ganze Körper des Babys mit Olivenöl
gesalbt.
Bei Griechen und Römern schmückte man die
Türen der Häuser, in denen ein
Neugeborenes oder ein Brautpaar wohnte, mit Olivenzweigen, um die
Dämonen zu
verscheuchen. Türen und Schwellen wurden symbolisch mit
Olivenöl gereinigt.
Der Ölbaum gehörte seit je den Lebenden wie den
Toten. Er bedeutete
gemeinsamen Reichtum, aber auch getrennte Wege. Öl und
Olivenzweige waren ein
unabdingbarer Bestandteil der Totenrituale der antiken Welt. Die Toten
wurden mit Olivenöl gesalbt und rituell "gereinigt", auch die Salbung
von Grabmälern war ein Akt sakraler Reinigung.
Olivenkränze um den Kopf der
Leichname sollten Dämonen bannen, von der Welt der Lebenden
fernhalten. Der Olivenkranz "bändigte" die Dämonen und band sie an
den Toten, damit
die um das Totenlager versammelten Hinterbliebenen vor ihnen
geschützt waren.
Laut Plutarch begruben die Spartaner ihre Toten in
Ölbaumblättern.
Olivenzweige bildeten das Material für die
Totenkränze, die im gesamten
hellenistisch geprägten Mittelmeerraum verwendet wurden.
Für besonders
begüterte Tote gab es eine Art Luxusausführung:
Kränze aus Goldblättern, in
Form von stilisierten Ölbaumblättern. Besonders
schöne aus dem 3. Jahrhundert
v. Chr. sind im Museum von Tarent zu bestaunen, in Süditalien,
in der Nähe der alten griechischen Kolonien.
Aber der Olivenkranz war auch ein Symbol für die Auferstehung
von den Toten, für Wiederkehr, neues Leben. Verstorbenen wurden im alten
Ägypten Oliven als
Wegzehrung für die Reise ins Totenreich mitgegeben.
Olivenbaumblätter galten
als Symbol des Himmels. Aus ihnen stellten die Ägypter das
Öl her, das für
die Mumifizierung der Pharaonen verwendet wurde. Sie versprachen sich
davon besonderen Schutz vor bösen Keimen. Nach neuesten Studien zu
Recht: Öl und
Blätter des Olivenbaums schützen vor
schädlichen Pilzen, Bakterien und sogar
Viren.
Als 1922 Howard Carter das Grab von Tut-Anch-Amun entdeckte, dem 1338
v. Chr.
mit neunzehn Jahren verstorbenen Pharao, fanden sich
Olivenblätter auf dem
Herrscherhaupt. Sie galten als "Kranz der Rechtfertigung", waren ein
Zeichen für das bestandene Jenseitsgericht, die Psychostasis,
das Wägen der
Seele auf der Jenseits-Waage. Es fand statt unter Vorsitz der
Göttin
Maat, die für das "Gleichgewicht der Welt"
zuständig war, und
des Totengottes Osiris, der über die Aufnahme des Verstorbenen
im Reich des Westens entschied oder ihn in das schreckliche Reich der
Dämonen verbannte.
Das Chrisam-Salböl der katholischen Kirche findet bei der
"Letzten Ölung" noch heute Verwendung: eine merkwürdig konstante Anwendung
uralter heidnischer
Bräuche. Zudem wird dem Sterbenden als "Viatikum", als
Wegzehrung, die letzte Kommunion gereicht. Mit der Olive und deren Öl
verknüpfte Totenrituale haben in der Moderne bisweilen bizarre Entsprechungen.
Beharrlich hält sich die Legende, daß der englische
Schriftsteller
William
Somerset Maugham (1874 bis 1965) im Sessel sitzend gestorben
sei, in der Hand eine Olive als Symbol und Fetisch für den geliebten
italienischen Süden. Sie - die anrührende Anekdote, nicht die Olive - wird meist
von Schriftstellern weitergereicht, zu finden ist sie noch in den 2005 postum erschienenen
Pariser Libertinagen der 2002 verstorbenen Schriftstellerin Undine
Gruenter, in ihrem Text Olivenbaum.
In der sehr detaillierten Maugham-Biographie von Ted Morgan (1980)
läßt sich
beim besten Willen nichts darüber finden, kein
gemütlicher Tod im Sessel,
keine Olive. Da ist von einer doppelten Lungenentzündung die
Rede, Maughams düsterem Brüten vor dem Tod, von seiner geistigen
Verwirrung nebst Hör- und
Sehschwäche, von seiner Unausstehlichkeit. Kurz vor seinem 92.
Geburtstag stürzte er am 8. Dezember 1965 im Garten seines Anwesens an
der Côte d'Azur, der Villa Mauresque in Cap Ferrat. Am 12. Dezember stolpert er
über einen Teppich und zieht sich eine Kopfwunde zu. Nach einem erneuten Sturz
wurde er ins anglo-amerikanische Hospital in Nizza verbracht, am 13. Dezember fiel
er ins Koma, am 15. starb er im Krankenhaus, am 20. wurde er in Marseille
kremiert.
Die Realität sieht bedeutend nüchterner aus als die
berückende Legende vom
uralten Geschichtenerzähler, der im wohnlichen Sessel stirbt
und sich mit dem
Olivchen in der Hand hinüberträumt in ein Jenseits,
das am liebsten die Züge
des italienischen Südens trägt und für
Wärme, Fülle und mediterrane
Lebenskunst steht. Natürlich ist die Olive ein wunderbar
poetisches Pfand, ein
exquisites Viatikum, eine vorzügliche Wegzehrung für
die Reise ins Totenreich,
zur Insel der Seligen, in den Hades, den Himmel, die Ewigen
Jagdgründe usw.
Noch einmal lauert der Olivenkitsch in dieser sentimentalen Legende.
Hier ein
persönliches Geständnis: Auch der Autor dieser Seiten
hat die bizarre Anekdote
lange und gern geglaubt, weil sie einfach schön war und sich
vorzüglich
eignete für das Kapitel der Jenseitsriten, der Abschiedsmagie.
Zu schön, um wahr zu sein. Somerset Maugham schrieb bereits
1938 seinen Lebensrückblick The Summing Up, also mit vierundsechzig
Jahren, und mithin siebenundzwanzig Jahre vor seinem Ableben. Die neueste deutsche
Übersetzung erschien unter dem Titel Die halbe Wahrheit. Keine Autobiographie
(Diogenes 1997). Ein passender Titel für einen Autor, der gern mit
biographischen Versatzstücken arbeitete und dabei nur allzu gern flunkerte.
Das ist eines Schriftstellers gutes Recht.
Aber vielleicht steckt in der Legende doch eine "halbe Wahrheit"? Hier
eine kleine Spekulation: Vielleicht war der steinalte Maugham
tatsächlich einmal in seinem Sessel eingenickt und hatte eine Olive in der Hand -
die für seinen Drink bestimmt war. Vielleicht stand neben seinem Sessel auf dem
Beistelltischchen ein Dry Martini, den er besonders gerne trank? Jeder
inspirierte Barkeeper weiß, daß da eine Olive
hineingehört. William Somerset
Maughams letzte Olive war also vielleicht nur ein
Cocktail-Zubehör, und der Tod
noch in einiger Ferne. Ein Dry Martini statt der voreiligen Letzten
Ölung? Als er so eingenickt dasaß, fand ihn sein Sekretär und
Lebensgefährte Alan Searle.
Und Maugham sah in dem Moment vielleicht wirklich aus wie ein selig
Entschlafener. Seine Olive hat den Privatsekretär und uns ein
bißchen zum
Narren gehalten.
Schön ist die Legende trotzdem. (...)