Amélie Nothomb: "Biographie des Hungers"


In diesem Buch, das im Original zeitlich ein Jahr vor "Reality Show" entstand, steht einmal mehr das Biografische im Vordergrund. Nothomb berichtet, mit welchen Formen des Hungers sie aufwuchs, zunächst in Japan, später unter Anderem in New York und Burma.

Es ist der Hunger nach Liebe, nach Süßem, nach Wissen, der reale Hunger von Menschen ihres Umfelds, das anorektisch geprägte Hungern späterer Jahre, und es gibt den irrwitzigen Hunger nach Wasser.

Das Buch kann man auf zwei recht verschiedene Arten sehen.
Zum Einen ist da die Sicht mit den Augen desjenigen, der noch kein Buch von Amélie Nothomb gelesen hat. Aus dieser Sicht haben die biografischen Auszüge etwas Neuartiges, teils sogar Experimentelles. Die zahlreichen Bilder, die die Autorin verwendet, der ansprechende und durchaus intellektuelle Stil, die schonungslose Offenheit, die dem Leser präsentiert wird, weiß einen gefangen zu nehmen und zu begeistern.

Anders sieht es aus, wenn man mit einigen von Nothombs Titeln bereits vertraut ist. Da gibt es immer wieder rein fiktionale Romane, jedoch auch immer wieder Biografisches. "Mit Staunen und Zittern" ist hierbei noch das bemerkenswerteste Buch, weil seine Inhalte deutlich über rein Biografisches hinausgehen. "Metaphysik der Röhren" hingegen ist ein biografischer Titel in der Art von "Biographie des Hungers", der anno 2000 - beziehungsweise 2002 in deutscher Sprache - erschien und Nothombs erste Lebensjahre auf recht absurde Art und Weise schildert. Die biografische Erzählerin, die ganz unverblümt verkündet, sich bereits nach der Geburt für Gott gehalten zu haben - das war grotesk zu lesen, aber dennoch irgendwie aufregend.

Und die Aufregung ist es, die "Biographie des Hungers" völlig fehlt, wenn man den letztgenannten Titel kennt. Es ist einfach der Aufguss narzisstischen Erlebens und Erzählens, der einem da geboten wird. Wieder ist es das von Nothomb so geliebte Japan, das den meisten Platz auf den Buchseiten bekommt, und auch die neu eingebrachten Episoden und die später folgenden Schauplätze täuschen nicht darüber hinweg, dass dieses Buch eine Mogelpackung ist.

Dabei fängt das Ganze - fast schon gewohnt - großartig an und bietet auf den ersten Seiten spannende Unterhaltung, wenn Nothomb von Vanuatu und seinem fehlenden Hunger berichtet. Was auf diesen Seiten jedoch in wunderbarer Wortwahl sehr präzise versprochen wird, wird auf allen folgenden Seiten nicht gehalten. Und das bedeutet leider nicht allein, dass man sich nicht so gut wie sonst unterhalten fühlt, sondern auch, dass man an Nothombs Kreationen zu zweifeln beginnen kann. Steckt da nicht mehr drin als Narzissmus und Exhibitionismus, wenn auch auf höherem Niveau?

Die Tatsache, dass schon "Reality Show" einige Mängel aufwies, die nicht so recht zu Amélie Nothombs gewohntem Stil zu passen schienen, wirft die Frage auf, ob die belgische Diplomatentochter ihr kreatives Pulver langsam verschossen hat. Schade.

(Tanja Thome; 04/2009)


Amélie Nothomb: "Biographie des Hungers"
(Originaltitel "Biographie de la faim")
Aus dem Französischen von Brigitte Große.
Gebundene Ausgabe:
Diogenes, 2009. 207 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Diogenes, 2010.
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Drei weitere Bücher der Autorin:

"Töte mich"
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"Happy End" zur Rezension ...

"Der japanische Verlobte"
"Französisch zu unterrichten schien mir der beste Weg, um Japanisch zu lernen. Ich hinterließ eine Kleinanzeige im Supermarkt: Französisch - Einzelunterricht, attraktiver Preis."
Amélies erster Privatschüler heißt Rinri, kommt aus einer reichen Tokioter Familie und weiht die Belgierin wie erhofft in die Sitten und Gebräuche seines Landes ein. Japanisch spricht er dabei allerdings nicht, vielmehr ein Französisch, das Amélie wie schlechtes Chinesisch vorkommt. Er ist jedoch hochmotiviert, insbesondere, weil ihm die Lehrerin gefällt.  Zwei Jahre verbringt Amélie in Tokio, zwei intensive und literarisch ergiebige Jahre. Einerseits war es die Hölle - in "Mit Staunen und Zittern" berichtete die Autorin von ihrer demütigenden Abwärtskarriere bei Yumimoto - mit dem japanischen Verlobten jedoch erlebt Amélie Stunden von paradiesischer Heiterkeit; das ist die andere Seite des Landes der aufgehenden Sonne, das ist das Japan, das sie liebt. (Diogenes) zur Rezension ...
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