Hans-Ulrich Wehler: "Der Nationalsozialismus"

Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen


Inhaltlich dichte Synopse

Über den Nationalsozialismus, über Hitler ist in den vergangenen Jahrzehnten viel und kontrovers geschrieben worden, und "alle Ritt lang" erscheinen neue Bücher zu diesem so unerschöpflichen wie schwierigen Thema.
Das hier besprochene Buch befasst sich weniger mit Hitler selbst, wenn auch der Führerkult eine zentrale Stellung einnimmt und Hitlers erstaunlicher Werdegang in groben Zügen nachvollzogen wird, als mit den Fragen, wie sich der Nationalsozialismus in der Bevölkerung festsetzen konnte, wie er sich innenpolitisch auswirkte und welche Folgen sich außenpolitisch, insbesondere durch die Kriege und den Holocaust, ergaben. Unter anderem betrachtet der Autor ausführlich die Funktionsweise des Machtapparats, die Verflechtungen von SS und Wehrmacht und die Rezeption des Nationalsozialismus innerhalb der verschiedenen Phasen seiner Machtausübung und in unterschiedlichen Schichten oder sonstigen Bevölkerungsgruppen.

Das Buch ist in folgende Abschnitte gegliedert:
I. Die Aufstiegsphase
Hier geht es vor allem um die Bedingungen, die Hitler bei seinen ersten Auftritten vorfand, und die Weise, wie er und seine Bewegung diese nutzten und mittelbar oder unmittelbar beeinflussten.
II. Die Regimephase
Dieser Abschnitt untersucht, wie es zur Ablösung der angeschlagenen Demokratie durch das totalitäre NS-Regime kam, und wie der breite Konsens zwischen Volk und Führer möglich und erhalten wurde - dass dieser zweifelsfrei bestand, weist der Autor nach. Hier werden auch die Eugenik und ihre Auswirkungen auf Juden sowie Menschen mit Behinderungen oder anderweitig missliebigen Eigenschaften betrachtet.
III. Das "Dritte Reich" im Vernichtungskrieg
In diesem Teil zeigt sich einerseits, wie die Rassenideologie zu einer nie gekannten Brutalisierung des Krieges führte, die unter anderem den Genozid an den Juden und die Massentötung von Slawen verschiedener Nationen überhaupt ermöglichte, und die sich nach Verlust des Kriegsglücks schließlich unerbittlich gegen die Deutschen wendete, insbesondere in Partisanenkämpfen. Andererseits sind der Widerstand und die Verhältnisse in Deutschland während des Krieges, aus wirtschaftlicher, militärischer (Bombenkrieg) und sozialer Sicht, wichtige Themen. Der Abschnitt und somit das Buch schließt ab mit den Konsequenzen der Führerherrschaft, auch aus statistischer Sicht.

Ohne explizite Anklage, ebenso ohne apologetischen Ansatz, auf Sachlichkeit bedacht, stellt Hans-Ulrich Wehler den Nationalsozialismus dar. Er berücksichtigt aktuelle Forschungsergebnisse, die er gegeneinander und gegen "ältere" Meinungen abwägt, und versucht sich keineswegs als Hitler-Biograf; mehrfach zitiert er den in dieser Hinsicht exzellenten Ian Kershaw. Wehlers Verdienst ist es, die vielen miteinander eng verzahnten Aspekte herauszuarbeiten, die Hitlers unglaublichen, für Nachgeborene kaum nachvollziehbaren Erfolg sowohl bezüglich der Akzeptanz in der Bevölkerung - und zunächst auch im europäischen Ausland - als auch anfänglich aus militärischer Sicht ermöglichten. Dabei holt er, was die Vorgeschichte angeht, nicht unnötig weit aus. Trotzdem lässt sich auch für den Laien nachvollziehen, wie es zu Hitlers absoluter Macht kommen konnte, und nicht zuletzt, wie die Exzesse seiner Herrschaft möglich wurden.

Es wird verständlich, dass die lange Zeit verhältnismäßig gut funktionierende Kriegswirtschaft auf der Versklavung von Angehörigen besiegter Nationen beruhte und doch ohne Weitsicht angelegt war. Immer wieder scheinen groteske Fehlleistungen Hitlers in seinem Größenwahn auf, und der Autor zeigt, wie sich dieser Wahn samt seinen nachhaltigen Folgen in der Hierarchie nach unten fortpflanzte.

Der Autor bedient sich einer bewusst knappen, oft nach Punkten gegliederten Darstellung. Diese inhaltliche Dichte ermöglicht auf rund dreihundert Textseiten eine erstaunliche Fülle an logisch aufbereiteten Informationen, fordert vom Leser jedoch beträchtliche Aufmerksamkeit ein.

Grundsätzlich neu sind die dargestellten Themen in Buchform nicht, doch werden sie in diesem Werk zueinander in engen Bezug gesetzt und vermitteln somit eine erstaunlich klare Synopse bezüglich des Nationalsozialismus, seiner Geschichte, seiner Ausprägungen und Konsequenzen.

(Regina Károlyi; 05/2009)


Hans-Ulrich Wehler: "Der Nationalsozialismus. Bewegung, Führerherrschaft, Verbrechen"
C.H. Beck, 2009. 315 Seiten.
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Prof. Dr. Hans-Ulrich Wehler, geboren 1931, ist emeritierter Professor für Allgemeine Geschichte an der Universität Bielefeld.
Seine "Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1700-1991" in fünf Bänden gehört zu den wichtigsten historischen Werken unserer Zeit.

Weitere Buchtipps:

Nicholas Goodrick-Clarke: "Im Schatten der Schwarzen Sonne. Arische Kulte, Esoterischer Nationalsozialismus und die Politik der Abgrenzung"

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Ralf Georg Reuth: "Hitlers Judenhass. Klischee und Wirklichkeit"
Erst nach dem Ende der Räterepublik und dem Bekanntwerden der Versailler Friedensbedingungen im Mai 1919 wurde aus Hitler der mörderische Judenhasser. In diesem Jahr wurde der Keim zum Holocaust gelegt. Ralf Georg Reuth erklärt, wie es wirklich dazu kam.
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Guido Knopp: "Die Machtergreifung"
Die Dokumentation "Die Machtergreifung" knüpft am folgenschwersten Datum deutscher Geschichte an: Am 30. Januar 1933 markiert die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler die Zerschlagung der Demokratie und den Beginn einer beispiellos menschenverachtenden Diktatur. Die Etappen auf dem Weg zum "Führerstaat" verdeutlichen, dass diese Entwicklung keineswegs unausweichlich war. Die vielleicht letzten Zeitzeugen, bislang unbekanntes Filmmaterial aus Regionalarchiven sowie neue historische Erkenntnisse belegen, mit welchen politischen Ränkespielen Hitler an die Macht gehievt wurde und wie schnell viele Deutsche "überliefen". Eine wichtige historische Dokumentation über den Beginn des "Dritten Reiches".
Mit teils unbekanntem Archivmaterial und neuen Zeitzeugenaussagen. (C. Bertelsmann)
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Martin Haidinger, Günther Steinbach: "Unser Hitler. Die Österreicher und ihr Landsmann"
Adolf Hitler ist tot, kein Zweifel. Und dennoch liegt sein Schatten über Österreich, und der scheint mit der wachsenden Zahl der Jahre immer länger zu werden, die uns von Drittem Reich und Zweitem Weltkrieg trennen, als Hitlers Heimat Teil des Großdeutschen Reiches war. Denn es ist mehr als ein Gespenst aus der Vergangenheit, das hier immer wieder auftaucht.
Warum sind so viele Österreicher Nationalsozialisten geworden? Und warum wollten überhaupt so viele Österreicher den Anschluss? Waren sie tatsächlich in entscheidenden Positionen innerhalb des NS-Apparats überrepräsentiert, waren die österreichischen Nationalsozialisten wirklich radikaler als alle anderen? Oder ist an der These von Österreich als Opfer Hitlers etwas dran?
Günther Steinbach und Martin Haidinger beleuchten Hitlers problematisches Verhältnis zu Österreich und das noch viel zwiespältigere der Österreicher zu ihrem Landsmann.
Zeitzeugen, die sich zum Teil noch nie in der Öffentlichkeit geäußert haben, bringen verblüffende neue Fakten zutage und zeigen, wie groß die Grauzone zwischen Anhängerschaft und Ablehnung war. Dieses Buch entzaubert gängige Mythen und bringt Hitler und die Österreicher auf einen sachlichen Punkt. (Ecowin)
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Birgit Schwarz: "Geniewahn: Hitler und die Kunst"
Zu den folgenreichsten Eigenschaften Hitlers gehörte, dass er sich für ein Genie hielt. Übernommen hatte er die Genievorstellung bereits in seiner Jugend aus Künstlerbiografien des 19. Jahrhunderts. Nach seiner Ablehnung an der Wiener Akademie verinnerlichte er sie im Konzept des verkannten Künstlers. Das romantische Geniekonzept, das sich längst ideologisiert und mit nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Inhalten aufgeladen hatte, bildete die Basis seiner Weltanschauung und Selbstkonzeption als "Führer", Künstler-Politiker und Stratege.
Künstlertum und Geniewahn erzeugten auch die Notwendigkeit der ständigen Selbstbestätigung und Selbstdarstellung als Kunstfreund und Mäzen und bildeten damit die Grundlage für die Kulturbesessenheit des Dritten Reiches. War die Architektur das Medium des NS-Staates, so dienten historische Gemälde Hitlers persönlicher Imagepflege. Erstmalig werden die Gemäldekollektionen in Hitlers Wohnungen und diversen Residenzen vorgestellt und ihre Bedeutung rekonstruiert, die die Hauptwerke für den Diktator hatten.
Seinen Abgang aus der Geschichte plante Hitler als Kunstsammler und Stifter einer Gemäldegalerie. "Kriege", so äußerte er 1942, "kommen und vergehen, was bleibt, sind einzig die Werke der Kultur." Aus dem Galerieprojekt bezog er psychische Energien, die den Zweiten Weltkrieg verlängerten und Millionen Leben kosteten. (Böhlau)
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Wilhelm Haefs (Hrsg.): "Sozialgeschichte der deutschen Literatur Band 9: Nationalsozialismus und Exil 1933-1945"
Nie war die deutsche Literatur so tief gespalten wie im Nationalsozialismus. Wer von Deportation und Ermordung bedroht war, konnte ins Exil gehen - und war abgeschnitten von der eigenen Sprache. Wer in Deutschland bleiben wollte oder nicht herauskam, beteiligte sich am System und trat der "Reichsschrifttumskammer" bei oder suchte sich eine Nische. Band 9 der "Sozialgeschichte der deutschen Literatur" beleuchtet die NS-Zeit - auch unter dem Blickwinkel der Entwicklung nach 1945, als Emigranten, Angehörige der "Inneren Emigration" und ehemalige Nationalsozialisten in der Bundesrepublik und in der DDR aufeinanderprallten und sehr unterschiedlich mit ihrer Vergangenheit umgingen. (Hanser)
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Hans-Joachim Lang: "'Als Christ nenne ich Sie einen Lügner.' Theodor Rollers Aufbegehren gegen Hitler"
Aus Glaubensgründen widersetzt sich ein Mann der Nazidiktatur - und überlebt sie in der Psychiatrie. Mitte der dreißiger Jahre gerät ein Tübinger Sparkassenbuchhalter in eine schwere innere Krise: Er kann den von ihm geforderten Eid auf den "Führer" nicht mit seiner Religion vereinbaren. In seiner Not wendet er sich an Adolf Hitler persönlich.
Kreuz oder Hakenkreuz? Mit dieser existenziellen Frage sieht sich der 22-jährige Theodor Roller konfrontiert. Sie treibt ihn zu einer lebensgefährlichen Aktion: Er richtet mehrere Briefe an den "Führer", die im Ton immer schärfer werden, bis Roller seinen Adressaten offen angreift und ihn einen Lügner nennt, "den größten Volksschädling, der je deutschen Boden betrat". Wer so etwas tut, muss verrückt sein, jedenfalls nach der Logik des NS-Systems. Und so wird Roller in eine Anstalt eingewiesen, in der er sechs Jahre seines Lebens verbringt ...
Aus Aktenmaterial, Gesprächen mit Theodor Roller, der im Herbst 2008 mit 93 Jahren verstarb, und dessen Briefen an die Mutter, eine überzeugte Nationalsozialistin, rekonstruiert der Autor die Geschichte eines Mannes, der den möglichen Tod in Kauf nahm, um seinem Glauben treu bleiben zu können. (Hoffmann und Campe)
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