Mo Yan: "Die Sandelholzstrafe"
Ein
letztes Mal wird die
grausamste und zugleich kunstvollste der überkommenen
Foltermethoden
verordnet
Während Mo Yan bisher seine Romane in erster Linie in Zeiten
des Beginns der
sogenannten Befreiung Chinas bis ins 21. Jahrhundert spielen
ließ, beginnt und
endet die Handlung von "Die Sandelholzstrafe" in der Endphase der
Kaiserzeit und unter der Regentschaft der Kaiserinwitwe. Teile Chinas
sind durch
europäische Truppen besetzt, und in Mo Yans
Wahlspielort und
Heimat Gaomi haben
besonders die Deutschen unter einem Herrn Knobel das Kommando, auch
wenn dies
nie so explizit ausgesprochen wird. Die Deutschen planen eine
Eisenbahnlinie
durch die Provinz; ein Plan, der die Bevölkerung stark
beunruhigt, denn sie befürchtet,
dass die Baumaßnahmen und die Erschütterungen des
Betriebs die Ruhe der
verstorbenen Ahnen stören könnten, was die ganze
Region ins Unglück stürzen
würde.
Mit der aktuellen Machtverteilung sind die chinesischen
Verwaltungsangestellten
nicht unbedingt einverstanden, und das gilt auch für den neuen
Präfekten von
Gaomi, Qian Ding. Dieser wird von seinen Untergebenen und
Schutzbefohlenen
allgemein als sehr attraktiv angesehen, ganz besonders von der
Hundefleischverkäuferin Meiniang, die den Präfekten
bei einer Auseinandersetzung ihres
Vaters Sun Bing mit ihm kennen lernt. Und schon kurze Zeit darauf
verkehrt sie
regelmäßig in der Präfektur, sehr zum
Amüsement der restlichen Bevölkerung
und absolut unbemerkt von ihrem sehr einfach gestrickten und auch
leicht gestörten
Mann Xiaojia, dem Schweine- und Hundeschlächter des Ortes.
Dieser ist nämlich
viel zu sehr damit beschäftigt, einen Tigerbart zu finden, mit
dem man
angeblich die wahre Natur der Menschen erkennen kann, als dass ihm am
Verhalten
seiner überaus pfiffigen Frau etwas auffiele.
Doch diese gerät bald in schwere
moralische Konflikte, denn nach einem sehr schwerwiegenden Problem mit
einigen deutschen Soldaten wird Meiniangs Vater wieder von der
Präfektur gesucht, flüchtet aus der Provinz und
schließt sich den Boxern an, bei denen sich der ehemalige
Opernsänger und Opernregisseur schnell einen Namen macht und
Einfluss bekommt. Noch einmal versucht er, seinem Intimgegner Qian Ding
zu begegnen, aber die Sache geht schief, und er kommt in Haft, wo er
kurz darauf zum
Tode verurteilt wird. |
Das wiederholte Klappern des Nachtwächters verkündete den Tagesanbruch. Nach dem Aufstehen zog ich mir frische Kleider an, wusch mir das Gesicht, puderte mich, strich mir Rouge auf die Wangen und besprenkelte mein Haar mit duftendem Zimtöl. Ich fischte ein gut gekochtes Hundebein aus dem Topf und wickelte es in ein getrocknetes Lotusblatt. Mit dem Bambuskorb in der Hand schritt ich zur Tür hinaus, dem im Westen untergehenden Mond entgegen, über die blaugepflasterte Straße zur Präfekturverwaltung. Tag für Tag machte ich mich nun auf den Weg, doch nie wurde ich zum Besuch des Gefangenen vorgelassen. Qian Ding, du Bastard, wenn ich dir sonst einmal drei Tage lang kein Hundefleisch gebracht habe, hast du gleich diesen kleinen Mistkerl Chunsheng als Boten zu mir geschickt, und jetzt versteckst du dich und willst mich nicht sehen. Sogar Wachen hast du vor der Präfekturverwaltung aufgestellt, mit Luftgewehren und Bögen bewaffnet. Normalerweise grüßen sie mich, kaum dass sie meiner gewahr werden, sie verbeugen sich und würden sich am liebsten vor mir in den Staub werfen. Jetzt aber verziehen sie ihre Hundemäuler zu wilden Grimassen, um mir Angst einzujagen. Und auf einmal hast du auch noch vier deutsche Soldaten mit ausländischen Gewehren vor dem Yamen postiert. Sobald ich mich mit meinem Korb nähere, fuchteln sie mir mit ihren Bajonetten vor der Brust herum. Sie blecken die Zähne zu einer Grimasse, die sagen will, dass mit ihnen nicht zu spaßen ist. Qian Ding, ach Qian Ding, du Verräter! Warum lässt du dich mit den Ausländern ein? Ich bin so wütend, ich würde am liebsten beim Kaiser in der Hauptstadt eine offizielle Beschwerde gegen dich vorbringen. Du hast bei mir Hundefleisch gegessen, ohne zu zahlen, hast eine verheiratete Frau verführt. Qian Ding, ich bin drauf und dran es zu wagen, alles daranzusetzen, um dir dein Tigerfell über die Ohren zu ziehen. Alle sollen das wahre Gesicht des herzlosen und gleichgültigen Bösewichts sehen, der du bist. (Aus dem Roman) |
In
drei Teilen bzw. Akten steuert
die Geschichte von einer längeren die Situation abbildenden
Einleitung über
die Darstellung des Weges dahin im breiten Mittelteil hin zu der
Hinrichtung
selbst und ihrer Durchführung, die damit die
"Hauptaufführung" in der
an Hinrichtungen und Operndarstellungen reichen Handlung bildet.
Man erfährt einiges über Hinrichtungsmethoden im
kaiserlichen China kurz vor
der Befreiung, über die so genannte Katzenoper, über
das Kochen von
Hundefleisch und über die interessanten Vorstellungen, die
viele der Boxer
von der Macht ihres Kungfu hatten.
Wie immer sind Mo Yans Beschreibungen des schweren Lebens sehr
plastisch und
entsprechend verstörend, und die Schilderungen des Lebens am
kaiserlichen Hof
und insbesondere der diversen Hinrichtungen steigern diesen Eindruck
noch
deutlich, so dass man Menschen mit schwachen Nerven, einem
nervösen Magen und
einer allzu ausgeprägten Vorstellungskraft von der
Lektüre dringend abraten
muss.
Man erfährt durch diese Darstellungen aus den laufend
wechselnden Perspektiven
verschiedener Handlungsträger aber auch eine Menge
über die mit diesem
Rechtssystem verbundenen Gefühle und Gedanken, wobei man
natürlich fragen
muss, wie akkurat diese Darstellung sein kann. Insgesamt erscheinen die
in
"Die Sandelholzstrafe" gezeigten Gedanken und Gefühle
plausibel und
stimmig, so dass das Buch in diesem Zusammenhang sicherlich sein Ziel
erreicht.
Wirklich keine leichte - aber durchaus erhellende - Lesekost.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 11/2009)
Mo
Yan: "Die Sandelholzstrafe"
(Originaltitel "Tanxiang xing")
Aus dem Chinesischen von Karin Betz.
Insel, 2009. 652 Seiten.
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