Terézia Mora: "Der einzige Mann auf dem Kontinent"
Eine
Woche im Leben von Darius
Kopp
Ihr 2004 erschienener Roman "Alle
Tage" zeigte die deutschsprachige, im Jahr 1990 aus Ungarn
nach Deutschland gekommene Autorin Terézia Mora als
sprachgewaltige Schriftstellerin, der es gelang, die Kritik im Sturm zu
erobern. Doch schon damals wies ihre wegen des Jugoslawien-Krieges nach
Berlin geflüchtete Hauptfigur Abel Nema Züge auf, die
auch den Protagonisten des Romans "Der einzige Mann auf dem Kontinent"
auszeichnen. Nema beherrscht zehn Sprachen, kann aber mit niemandem
sprechen, außer im Sprachlabor. Alle Frauen begehren ihn,
aber er kann keine lieben. Die Ereignisse in seinem Leben
überschlagen sich, und alles bleibt seltsam skurril und
hoffnungslos.
Vollkommen hoffnungslos und ohne Perspektive ist auch das Leben Darius
Kopps. 43 Jahre alt ist "der einzige Mann auf dem Kontinent",
wie er seine Aufgabe als Beauftragter der us-amerikanischen IT-Firma
Fidelis für DACH (Deutschland, Österreich und
Schweiz) sowie Osteuropa selbst bezeichnet. In der DDR geboren und
aufgewachsen, ist Darius Kopp nach der Wende in den Westen gekommen,
hat in der IT-Branche reüssiert und seine eigentliche Karriere
schon hinter sich. Ob es seine Firma überhaupt noch gibt,
bleibt unklar. Er soll Techniken verkaufen, die Schwierigkeiten mit der
Kommunikation im Netz beheben sollen; ausgerechnet er, der doch
über die vollen 380 Seiten des Romans vergeblich versucht,
irgendeine gelungene Form von
Kommunikation
herzustellen.
Sein schnelles Auto darf er nach Trunkenheit am Steuer nicht benutzen
und so verliert er sich nicht nur andauernd wie ein
Computersüchtiger im
Internet,
das ihm zur Ablenkung von
seinen wirklichen Problemen dient, sondern auch seine Beziehung zu
seiner schönen ungarischstämmigen Freundin geht ihm
zusehends verloren.
Darius Kopp sitzt in seinem Büro in Berlin, kommuniziert mit
Kollegen nur über das Netz, wenn überhaupt. Sein
Schreibtisch ist völlig zugemüllt, immer und immer
wieder schreibt er Listen mit seinen Prioritäten, doch er
kommt zu nichts. Schon 100 Kilogramm schwer und in zunehmendem
Maß aufgedunsen, isst er Tag und Nacht. Er befasst sich nur
mit sich selbst und mit der Frage, was er mit einer Kiste tun soll, die
im Büro abgegeben worden ist. In dieser Kiste befinden sich 40
000 Euro, eine Abschlagszahlung seiner dubiosen armenischen Kunden. Am
liebsten würde der klamme und perspektivlose Darius das
Geld
behalten, doch er hat Skrupel. Aber es gelingt ihm nicht, irgendeinen
seiner Vorgesetzten in den USA oder London zu sprechen. Sieben Tage,
über die gesamte Handlungsdauer des Romans, versucht er es
ohne große Energie, immer wieder abgelenkt von Essen,
Internet oder einer seiner Listen.
Dazwischen besucht er seine Freundin, die in einer Strandbar bis nachts
bedient; auch seine kranke Mutter, die panische Angst vor dem Verlust
ihrer Beine hat, besucht er und zerstreitet sich mit ihr.
Alles ist seltsam neblig und unstrukturiert. Die Firma scheint sich in
Luft aufgelöst zu haben, man weiß nichts Genaues. So
wie in der aktuellen Krise, die Mora mit ihrem Roman durchaus
reflektiert. Doch sie zieht die Handlung unnötig in die
Länge. Das macht die Lektüre irgendwann genauso
langweilig wie das Leben der Hauptfigur Darius Kopp.
Dabei leuchten zwischendurch immer wieder die Sprachkraft und die
Leidenschaft Terézia Moras durch, wenn sie etwa
kontinuierlich zwischen Außen- und die Innenperspektive
wechselt und eine erstaunliche innere Dialogführung zeigt.
Dennoch lässt der Roman Langeweile zurück,
Orientierungslosigkeit, Tristesse. Man hätte ihn auch nach der
Hälfte schon aus der Hand legen können - und
hätte doch nicht weniger erfahren.
(Winfried Stanzick; 10/2009)
Terézia
Mora: "Der einzige Mann auf dem
Kontinent"
Luchterhand Literaturverlag, 2009. 380 Seiten.
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Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren. Sie lebt seit 1990 in Berlin und gehört zu den renommiertesten Übersetzerinnen aus dem Ungarischen. 1999 sorgte sie mit ihrem literarischen Debüt, dem Erzählungsband "Seltsame Materie", für Furore. Für diese Erzählungen wurde sie mit dem "Open-Mike-Literaturpreis", dem "Ingeborg-Bachmann-Preis" (1999) und dem "Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis" (2000) ausgezeichnet. 2004 erschien der Roman "Alle Tage", der ausnahmslos von der Kritik gelobt wurde und großen Anklang bei den Lesern fand. Für den Roman erhielt sie den "Mara-Cassens-Preis" für das beste Roman-Debüt des Jahres, den "Kunstpreis Berlin", den "LiteraTour-Nord-Preis" und den "Preis der Leipziger Buchmesse".