Liza Marklund: "Mias Flucht"

Der Weg in die Freiheit


Liza Marklund ist bekannt dafür, dass sie in ihren Büchern, darunter vor allem Kriminalromane, mit einem scharfen, klaren und wohltuend feministischen Blick die Gesellschaft, in der sie lebt, analysiert und beschreibt. Dabei schaut sie hinter die Kulissen des angeblichen schwedischen Wohlfahrtsstaates, der jedoch in vielerlei Hinsicht verkrustet ist und nicht das nach innen abbilden bzw. verwirklichen kann, was er nach außen zu sein vorgibt.

Im vorliegenden auf einer wahren Begebenheit basierenden Buch erzählt die Autorin die Geschichte von Maria Eriksson weiter, einer Frau, die sich in ihrer Jugend sehr für die vielen Flüchtlinge interessierte und engagierte, die in den 1970er- und 1980er-Jahren von Schweden großzügig aufgenommen wurden. Gut ausgebildet, wollte sie zunächst Medizin studieren und Ärztin werden, weil sie aber nicht aus ihrer Heimatstadt und von ihrer Familie wegziehen wollte, nahm sie eine Stelle bei einer Bank an. Dort traf sie jenen Flüchtling aus dem Libanon, der ihr Leben verändern sollte. Am Anfang war dieser Mann sehr aufmerksam, doch schon kurz nachdem Maria schwanger geworden war, fing er an sie zu schlagen. Trotz heftiger körperlicher Misshandlungen bringt Maria die kleine Emma zur Welt und trennt sich bald von dem muslimischen Libanesen. Doch der verfolgt sie weiter, vergewaltigt sie und traktiert sie Schlägen und Tritten. Maria kann Emma nirgends unterbringen, weil sie Angst haben muss, dass der Mann das Kind entführt.

Auch nachdem Maria Anders kennengelernt und geheiratet hat, auch nachdem der gemeinsame Sohn Robin auf die Welt gekommen ist, ändert sich nichts: "Mit Hilfe seiner Freunde betrieb der Mann eine immer massivere und systematischere Verfolgung, die sich nun gegen die ganze Familie richtete."

Dabei waren die Behörden nicht untätig. Doch vor der Polizei und der Staatsanwaltschaft versorgten sich die Freunde des Mannes gegenseitig mit Alibis, und ihre Taten konnten nicht aufgeklärt werden.
"Die Freunde des Mannes drohten an, Marias Eltern zu töten, falls Maria vor Gericht von den Übergriffen berichten sollte, denen sie und ihre Tochter ausgesetzt waren. Der Terror ging weiter. Das Reihenhaus der Familie wurde zu ihrem Gefängnis."

Irgendwann beschließen die Behörden, die Familie an wechselnden geheimen Orten unterzubringen; beinahe monatlich wechseln die Betroffenen ihre Wohnung. Doch immer wieder spürt ihr Verfolger sie auf. Insbesondere für Emma hat diese permanente Bedrohung erhebliche seelische Folgen. Die Behörden beschließen am 15. Mai 1991, die Familie Eriksson für sieben Monate ins Ausland zu schicken, weil besonders für Emma nur in völliger Freiheit in einem anderen Erdteil einen psychische Erholung möglich scheint

Das vorliegende ebenso spannend wie mitreißend erzählte Buch beginnt mit der Rückkehr der Familie Eriksson 1992 und erzählt die Geschichte einer erneuten permanenten Flucht quer durch Schweden bis hin nach Chile und später in die USA, die sich über mehrere Jahre hinzieht. Man liest diese von Liza Marklund auf Grundlage von Berichten Maria Erikssons verfasste Dokumentation mit dauernd unterdrückter Wut darüber, was berichtet wird. Selbst wenn nicht alle Einzelheiten dieses Buches und seines Vorgängers "Mia" einer wahren Geschichte folgen, sondern auch fiktionalisierte Elemente enthalten sollten, wie die Journalistin Monica Antonsson in einem Ende 2008 erschienenen Aufsatz behauptet, ist die Geschichte von Mias Flucht und ihrem Weg in die Freiheit eine bewegende und zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, die endlich ein literarisches Licht auf die Situation vieler Menschen auch anderswo wirft, denen die große Verliebtheit die Augen vor den kulturellen Unterschieden, die eine Ehe mit einem Mann aus einer islamisch-machistischen Kultur mit sich bringt, verschlossen haben muss.
Es ist auch ein Plädoyer dafür, die unsichtbare Situation all der Nachstellungsopfer endlich zur Kenntnis zu nehmen, die es auch innerhalb unserer westlich geprägten Länder gibt.

Gleichzeitig bietet das Buch eine Wunder- und Hoffnungsgeschichte. Davon, dass Mia all die Jahre mit ihrem Mann und ihren Kindern durchhält, dass sie "überlebt", ist kaum zu glauben, aber wahr.

Den Schwerpunkt des Buches bildet die lange und ausführliche Schilderung des Ablaufs der juristischen Auseinandersetzung, innerhalb derer Maria und ihre Kinder in den USA Asyl erhalten, was ihre endgültige Rettung bedeutet. Es war das allererste Mal, dass die USA einer europäischen Frau wegen häuslicher Gewalt Asyl gewährten. Deshalb auch der Originaltitel.

Dennoch:
"Der Mann, der Maria verfolgt, wohnt immer noch in ihrer Heimatstadt. Nach Einschätzung der Behörden besteht die Bedrohung gegen die Familie in unverminderter Stärke fort."

Ein Skandal, der dem Rezensenten eine politisch absolut unkorrekte Zornesröte ins Gesicht treibt und ihn sich fragen lässt, wie weit unsere demokratisch-freiheitlichen Gesellschaften sich noch solche Dinge gefallen lassen.

(Winfried Stanzick; 03/2009)


Liza Marklund: "Mias Flucht. Der Weg in die Freiheit"
(Originaltitel "Asyl")
Deutsch von Susanne Dahmann.
Kindler, 2009. 475 Seiten.
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