Petros Markaris: "Die Kinderfrau"

Ein Fall für Kostas Charitos


Manches Unrecht verjährt nicht

Kommissar Kostas Charitos hat mit seiner Frau Adriani eine Städtereise nach Istanbul gebucht, um sie von einer Meinungsverschiedenheit mit der gemeinsamen Tochter abzulenken. Aber so recht kann er den Urlaub nicht genießen, denn in der Reisegruppe gibt es fast nur schwer erträgliche Personen.

Als sich ein Reisender aus einer anderen Gruppe an ihn wendet, weil er auf der Suche nach seiner früheren, mittlerweile neunzigjährigen Kinderfrau ist, hält sich Charitos' Begeisterung trotzdem in Grenzen: Wie soll er in Istanbul eine Greisin aus der griechischen Provinz finden, die am Schwarzen Meer geboren wurde, viele Jahre in Istanbul gelebt hat und nun zu einem Besuch dieser Stadt aufgebrochen, aber offensichtlich nie dort angekommen ist?

Alles ändert sich, als sich herausstellt, dass die alte Maria Chambou vor ihrer Abreise nach Istanbul offensichtlich ihren Bruder mit E 605 in einer ihrer wundervollen Käsepittas vergiftet hat. Charitos soll nun von griechischer Seite her ermitteln. Doch die türkischen Kollegen beginnen sich erst zu interessieren, als in Istanbul eine alte Angehörige der griechischen Minderheit tot aufgefunden wird: mit E 605 vergiftet, das in einer Käsepitta verabreicht wurde. Die Chambou ist allem Anschein nach sehr wohl in Istanbul eingetroffen.

Charitos denkt nicht daran, sich wie vorgesehen von den türkischen Polizisten als Marionettenfigur einsetzen zu lassen. Auf eigene Faust stellt er Nachforschungen an und gewinnt bald den Respekt seiner Kollegen vor Ort.
Trotzdem können sie nicht verhindern, dass Maria Chambou, einem Phantom gleich, weiter Käsepitta verteilt. Denn die alte Kinderfrau lässt es sich nicht nehmen, mit einigen Personen aus ihrer Vergangenheit abzurechnen. Erst als Charitos und seine türkischen Kollegen sich mit brutalen Übergriffen gegen die griechische Minderheit in Istanbul befassen, die viele Jahrzehnte zurückliegen, begreifen sie das Muster, nach dem Maria Chambou vorgeht.

Der so pflichtbewusste wie kauzige, meistens mit seiner Ehefrau im leichten Clinch liegende Kommissar Kostas Charitos hat längst auch im deutschen Sprachraum einen weiten Freundeskreis erworben. In diesem Band büßt er nichts von seiner Originalität ein. Besonders reizvoll ist im vorliegenden Roman das Flair Istanbuls, bereichert um die speziellen Eigenheiten der winzigen griechischen Minderheit, das einen bunten Rahmen für den Roman bildet.

Aber es geht bei diesem Rahmen nicht nur um wundervolle alte Bauwerke, um verstopfte Straßen, farbenfrohe Basare und köstliches Essen, sondern auch um die Situation von Minderheiten in unterschiedlichen Ländern; der Autor baut eine gute Portion Sozialkritik ein und hütet sich, Vorurteile irgendwelcher Art zu bedienen.

Die Handlung ist spannend gestaltet, auch wenn die Mörderin praktisch von Anfang an feststeht. In dieser Hinsicht sind zwar keine Überraschungen vorgesehen, anders sieht es jedoch mit den Morden selbst aus. Denn um weitere Morde zu verhindern, müssen Charitos und der türkische Kollege, mit dem er Hand in Hand arbeitet, herausfinden, mit welchen noch lebenden Istanbuler Bürgern Maria Chambou bekannt ist, wo sie Unterschlupf gefunden hat, und unter welchem Gesichtspunkt sie ihre Opfer auswählt. Denn verrückt ist sie nicht, so viel steht rasch fest.

Markaris hat authentische Charaktere kreiert, er weiß Stimmungen und Orte anschaulich und lebendig darzustellen und Spannung zu erzeugen. Auch die Konflikte zwischen Griechen und Türken sind für ihn kein Tabu. Er, der Grieche, lässt jedoch kein Ressentiment erkennen, im Gegenteil: dass sein Buch sehr versöhnlich endet, macht es erst recht zu einer wirklich hochwertigen Lektüre.

(Regina Károlyi; 03/2009)


Petros Markaris: "Die Kinderfrau. Ein Fall für Kostas Charitos"
(Originaltitel "Palia, poly palia")
Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger.
Gebundene Ausgabe:
Diogenes, 2009. 316 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Diogenes, 2010.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Faule Kredite. Ein Fall für Kostas Charitos"

Die Morde an mehreren Bankiers lassen die griechische Finanzwelt erzittern. Die Krise trifft inzwischen jeden, auch die, die sich in Sicherheit wähnten - und Kommissar Charitos steckt mittendrin. Die Krise legt Griechenland lahm. Niemand hält mehr die Arbeitszeiten ein, überall wird diskutiert und protestiert. Arbeitnehmer, Rentner und Studenten gehen auf die Straße, und ihre Demonstrationszüge verstopfen das Zentrum Athens mehr, als es der Verkehr je tat. Auch Familie Charitos muss den Gürtel enger schnallen. Gerade haben Kostas und Adriani noch die Hochzeit ihrer einzigen Tochter Katerina ausgerichtet und sich zum ersten Mal seit dreißig Jahren ein neues Auto geleistet - und nun wissen sie nicht mehr, wie sie die Raten abzahlen sollen. Als dann innerhalb weniger Tage zwei Bankiers auf grausame Weise umgebracht werden, herrscht in der Finanzwelt höchste Alarmstufe. Auch weil Presse und Polizei die Hypothese eines Terroranschlags nicht ausschließen. Der Hass auf die Banken scheint in der Tat immer größer zu werden: Die Stadt wird über Nacht mit Plakaten tapeziert, auf welchen die Bürger zur Verweigerung der Rückzahlung von Krediten aufgefordert werden. Die Krise mit ihren Auswüchsen beschert Kostas Charitos und der Athener Polizei mehr Arbeit und Hektik denn je zuvor. Geduld und Sorgfalt wären angesagt, doch dafür hat niemand Zeit. Denn Zeit ist Geld, und Geld gibt es keines. (Diogenes)
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