Stefán Máni: "Das Schiff"
Ein
spannender Roman über die monatelange Irrfahrt eines Schiffes
und seiner Besatzung, der den Leser von der ersten Seite an in seinen
fast mythischen Bann schlägt.
Es ist Montag, der 10. September 2001. Eine Gruppe ganz
unterschiedlicher Menschen bereitet sich in Islands Hauptstadt
Reykjavik
darauf vor, mit dem Frachtschiff "Per Se" zu einer Fahrt nach Surinam
aufzubrechen. Dort soll Rohstoff für eine isländische
Aluminiumhütte geladen werden.
Drei Tage später ist das Schiff schon unterwegs, und durch die
Anschläge
auf die "Twin Towers" hat sich
die Welt verändert. Die Männer auf dem Schiff werden
davon allerdings nichts mitbekommen.
Stefán Máni verfolgt auf den ersten
fünfzig Seiten dieses packenden Romans, der den Leser sofort
gefangennimmt, die Vorbereitungen der unterschiedlichen Männer
auf diese Reise und webt ein klug Spannungsnetz, in dem sich
später die handelnden Personen bewegen und verstricken.
Einer der Matrosen, Jonas, hat kurz vor der Abfahrt im Affekt seine
Frau getötet und hofft,
in
Lateinamerika untertauchen zu
können. Der Kapitän weiß, dass es seine
letzte Fahrt ist, weil die Reederei Leute entlassen will. Das
Gerücht davon ist schon vor der Fahrt zu Teilen der Mannschaft
durchgedrungen, und Vier von ihnen verabreden sich, auf hoher See den
Motor ausfallen zu lassen, um durch diesen Druck auf die Reederei ihre
Weiterbeschäftigung durchzusetzen. Jeder von ihnen hat ein
dickes Problem in seinem Privatleben oder in seiner
Persönlichkeit, das er mit sich herumträgt und das
auf die eine oder andere Weise das weitere Geschehen auf dem Schiff
mitbestimmen wird.
Die interessanteste und skurrilste Figur an Bord jedoch ist Jon Karl,
ein Mann aus Islands Unterwelt, der wegen seiner Skrupellosigkeit auch
überall als der "Satan" bekannt ist. Durch eine
zufällige Verstrickung von Umständen gerät
er fälschlicherweise Minuten vor der Abfahrt auf das Schiff,
und nachdem er einige Zeit für den als Matrosen erwarteten
Cousin von Jonas durchgeht, den dieser mitbringen sollte, gibt er sich
zu erkennen und beginnt sich mit seiner Machoart langsam auf dem Schiff
durchzusetzen.
Nachdem Jonas, lange vor dem verabredeten Streik, in einer Einzelaktion
sämtliche elektronischen Geräte auf dem Schiff
außer Kraft setzt, indem er unentdeckt die Kabel durchtrennt,
verliert das Schiff den Kontakt zur Außenwelt. Jonas erhofft
sich dadurch Rettung vor der Entdeckung seiner Mordtat, löst
aber nur eine weitere Eskalationsstufe in der sowieso schon
brüchigen Gruppendynamik der Besatzung aus.
Stefán Máni lässt diese langsame
Eskalation geschickt Raum greifen und bannt den Leser auf eine selten
so gelesene Art und Weise. Durch entsprechende Rückblicke der
Protagonisten auf ihr Leben vor der Abfahrt entstehen klar umrissene
Psychogramme von Menschen in biografischen und seelischen
Ausnahmesituationen, die, als sie dann auf dem Schiff zusammentreffen,
zum hellen Wahnsinn werden. Dann fällt auch noch der Motor
aus, und sofort wird "Satan" verdächtigt. Doch der kann es gar
nicht gewesen sein, war er doch kurz zuvor schon von einigen
Männern der Besatzung gefesselt und festgesetzt worden.
Eine Meuterei droht, wird knapp abgewendet, und das Schiff treibt ohne
Navigation vor der Küste Brasiliens.
Als dann Piraten das Schiff entern, eskaliert die Lage noch einmal, und
es ist fraglich, ob das Schiff je sein Ziel erreichen wird …
Stefán Mánis Roman beschreibt durch die
beeindruckenden Psychogramme eine Menge existenzieller Fragen, ist
gespickt mit Andeutungen auf die spezielle isländische
Variante des Christentums und bewegt sich andauernd auf der Grenze des
Lebens und des Sinns.
Seine reichen Berufserfahrungen, unter anderem als Sozialarbeiter in
der Psychiatrie, bevor er das Schreiben zu seinem Hauptberuf machte,
verhelfen Stefán Máni zu einem fast
unerschöpflichen Reichtum für die detaillierte
Charakterisierung seiner Figuren.
(Winfried Stanzick; 02/2009)
Stefán
Máni: "Das Schiff"
(Originaltitel "Skipith")
Aus dem Isländischen von Tina Flecken.
Ullstein, 2009. 419 Seiten.
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Stefán
Máni wurde 1970 in
Reykjavík
geboren.
Aufgewachsen ist er in Ólafsvík in West Island.
Bevor er mit dem Schreiben begann, arbeitete er als Gärtner,
Tischler und Buchbinder, in der Fischindustrie und auch als
Sozialarbeiter mit Jugendlichen und
in psychiatrischen Kliniken. "Das
Schiff" ist sein siebter Roman.
Noch ein Buchtipp:
August Kappler: "Leben und Reisen im tropischen Regenwald. Erlebnisse
und
Erfahrungen während eines 43jährigen Aufenthalts in
Holländisch-Guyana/Surinam"
Berichte über ferne Länder und Kontinente
können auch eine Art autobiografischen
Rückblick auf ein ganzes Leben darstellen. Genau dies findet
man in den
Aufzeichnungen August Kapplers, der fast 50 Jahre in der
holländischen
südamerikanischen Kolonie Guayana, dem heutigen Surinam,
verbrachte. Im Jahr
1846 erhielt er von Seiten der holländischen
Kolonialverwaltung die Erlaubnis,
sich am Hauptfluss Surinams, dem Maroni, niederzulassen. Dort
gründete er das
nach seiner Jugendfreundin und späteren Ehefrau benannte
Landgut Albina, das
sich im Lauf der Zeit zu einer Kleinstadt entwickelte. Kappler betrieb
in dieser
Zeit einen erfolgreiche Holz- und Naturalhandel, was Grundlage
für seinen
Wohlstand wurde. In all den Jahren widmete er sich aber auch seinen
naturkundlichen Interessen, sammelte gezielt unbekannte Insekten- und
Pflanzenarten, um später die Ergebnisse auch dieser Arbeit zu
publizieren. Da
er seine neue Heimat Surinam aufgrund dieser Forschungen sehr gut
kannte,
leitete er im Auftrag der Kolonialverwaltung wiederholt auch
Expeditionen und
Entdeckungsreisen. Im Jahr 1876 kauften die Holländer
von
August Kappler die
Stadt Albina zurück, die nunmehr auch eine gewisse
strategische Bedeutung
besaß. Allerdings setzte man ihn als Distriktverwalter ein,
da er zum Einen die
Gegend sehr gut kannte und zum Anderen mit der ansässigen
Bevölkerung in
bestem Einvernehmen lebte. Warum Kappler im Jahr 1879 in seine deutsche
Heimat
zurückkehrte, ist nicht ganz klar. Sicherlich war sein
Wirkungskreis durch die
Übernahme Albinas ein wenig eingeschränkt, doch
lohnte sich für ihn der
Verkauf in wirtschaftlicher Hinsicht sehr. In sein Werk ließ
Kappler neben
Ereignisberichten aber auch immer wieder Erzählungen
über seine
naturkundlichen Entdeckungen im tropischen Regenwald
einfließen, wodurch er
sich sowohl als Botaniker als auch als Zoologe eine Namen machen
konnte. Sein
Buch wird damit zu einer Mischung aus Reiseberichten und einer
autobiografischen
Darstellung, die dem Leser einen Mann vor Augen führt, der es
Widerständen und
Niederlagen zum Trotz durch Fleiß und anstrengende Arbeit zu
etwas brachte -
ein Erfolg jedoch, den ihm seine deutsche Heimat nicht
ermöglicht hätte. (Edition
Erdmann)
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