Charif Majdalani: "Ein Palast auf Reisen"


Ein märchenhafter Abenteuer- und Spionageroman, dem man an vielen Stellen die Suche des Autors nach seinem Großvater abspürt, dem er nie persönlich begegnet ist.

Der vorliegende Roman des Libanesen Charif Majdalani, dessen 2008 ebenfalls bei Knaus erschienenes Buch "Das Haus in den Orangengärten" ihn im deutschsprachigen Raum bekannt machte, ist das faszinierende Ergebnis einer bewundernswerten Rechercheleistung. Der Autor, der in Beirut das Institut für französische Literatur leitet, wandelt auf den Spuren seines Großvaters, eines damals sehr bekannten Mannes, der 1908 aus dem Libanon auswanderte, lange Jahre als verdeckter Mitarbeiter der britischen Armee durch Afrika reiste und die unglaublichsten Abenteuer erlebte, bevor er mit großem Gepäck wieder nach Beirut zurückkehrte.

Samuel Ayyad heißt der junge Offizier, der Beirut verlässt, um draußen sein Glück zu versuchen. Er bleibt im Sudan hängen, einem Land, das ihn fasziniert:
"Und wenn er auf dem Balkon seines Zimmers über dem Garten sitzt, sieht er Omdurman, die dicht bevölkerte mahdistische Stadt. Sie liegt linker Hand, weit entfernt, auf der anderen Seite des Weißen Nils, eine ocker-maronenfarbene Masse mit Hunderten von Kähnen auf dem Fluss davor. Er sieht, riecht um sich herum die mächtige Gegenwart eines riesigen Landes, das zur Hälfte aus Wüsten besteht, in denen von jahrzehntenlangen heiligen Kriegen, von Tyrannei und Hungersnöten erschöpfte Stammesvölker herumirren."

Zwei Bemerkungen lassen sich an diesem Zitat festmachen. Zum Einen ist der Sprachstil ganz typisch für das gesamte Buch. Majdalanis Sätze glänzen, sie riechen, sie entführen den Leser mitten hinein in eine ihm fremde orientalische Welt mit Sitten und Gebräuchen, die sich seit Jahrhunderten nicht verändert haben. Dort, und das sei zweitens bemerkt, scheint die Zeit stillzustehen bis auf den heutigen Tag. Obwohl uns wenige detaillierte Nachrichten aus dem gegenwärtigen Sudan zur Verfügung stehen, erinnert sich der kundige Zeitungsleser an vielen Stellen des Romans daran, dass unlängst genau diese Zustände, Stammesfehden, dieses genozidisches Wüten, fremde Riten und Gebräuche in irgendeinem Artikel über den Sudan oder Darfur beschrieben wurden.

Samuel Ayyad wird zum Vertrauten eines britischen Offiziers, der ihn mit heiklen und politisch wichtigen Missionen betraut. Er wird immer wieder als Kundschafter zu afrikanischen Stammesfürsten geschickt, die gegen die britische Herrschaft rebellieren. Auf einer dieser Reisen stößt er eines Tages auf eine Karawane. Sie führt einen in seine Einzelteile zerlegten arabischen Palast mit sich, weil der Eigentümer bei irgendeinem reichen Stammesfürsten dafür einen Käufer zu finden hofft. Schon allein diese Vorstellung (der Originaltitel des Romans lautet nicht von ungefähr "Caravansérail") hat den Rezensenten über weite Strecken der Lektüre fasziniert staunen lassen. Samuel freundet sich mit dem Eigentümer zerstückelten Palastes an und begibt sich mit seiner Karawane auf die Reise. Er hofft, als Händler getarnt, seine durchaus geheimdienstliche Aufgabe besser erfüllen zu können.

Und so irren sie durch die Wüste, erleben viele Abenteuer. Doch irgendwann will Samuel zurück nach Beirut gehen. Den Palast hat er mittlerweile in seinen Besitz gebracht, und nun beschreibt Majdalani eine eigentlich unmögliche Reise über Ägypten zurück nach Beirut, wo der Protagonist schlussendlich auch ankommt, nachdem er zahlreiche durch den Krieg unüberwindbar scheinenden Grenzen mithilfe sowohl seiner List als auch seiner Klugheit überwunden hat.

Majdalani thematisiert immer wieder zwischen den Zeilen die auch heute noch ebenso aktuelle wie schwierige Begegnung zwischen Okzident und Orient, und somit stellt dieser eher historische Roman sehr aktuelle Lektüre dar.
Man hätte allerdings am Ende des Buches eine Landkarte zu finden gehofft, welche den verschlungenen Weg des "Palastes auf Reisen" für den Leser nachvollziehbar gemacht hätte. Überdies wären Quellenangaben sowie Darstellungen der Recherchen des Autors wünschenswert und erfreulich gewesen.

(Winfried Stanzick; 09/2009)


Charif Majdalani: "Ein Palast auf Reisen"
(Originaltitel "Caravansérail")
Aus dem Französischen von Gennaro Ghirardelli.
Knaus, 2009. 203 Seiten.
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Charif Majdalani, 1960 im Libanon geboren, studierte in Frankreich und lehrt heute als Professor an der Universität von Beirut. Sein Debütroman "Das Haus in den Orangengärten" wurde von der Presse hoch gelobt und für die wichtigsten französischen Literaturpreise nominiert.

Ein weiteres Buch des Autors:

"Das Haus in den Orangengärten"

Eine Familiensaga aus dem Libanon des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts - vor dem Hintergrund des Aufstiegs und Niedergangs der wohlhabenden Familie Nassar erzählt Charif Majdalani die Geschichte einer Region, die bis heute von großen politischen Umwälzungen und Krisen erschüttert wird.
Im lebensprallen, von europäischer wie orientalischer Kultur und Religion geprägten Beirut der letzten Jahre des 19. Jahrhunderts nimmt die Geschichte von Wakim Nassar ihren Anfang. In den Straßen und Kaffeehäusern pulsiert das Leben. Der junge Wakim geht seinen Geschäften als Vermittler von Käufen und Verkäufen nach, bis eine undurchsichtige Affäre ihn aus der Stadt treibt. Im kargen Umland, das von der Seidenraupenzucht geprägt ist, nimmt er ein herrenloses Stück Land in Besitz und pflanzt dort gegen den Rat der Ältesten Orangenbäume. Nach anfänglichen Rückschlägen erweist sich die erste Orangenplantage der Gegend als Goldgrube. Wakim heiratet die selbstbewusst-attraktive Hélène und baut als Zeichen des stetig wachsenden Wohlstands ein großes Haus. Nassar-Orangen sind bald in den Palästen des Orients zu Hause. Doch die Tage der friedlichen Koexistenz im Libanon sind gezählt. Eine Gefahr zieht herauf, die das Glück des Hauses Nassar bedroht. (Knaus)
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