Nagib Machfus: "Radubis"


Das zerstörerische Element der Leidenschaft

Im Palast der wunderschönen und klugen Kurtisane Radubis treffen alle Männer von Rang und Namen aufeinander, und die Hausherrin erwählt den einen oder anderen von ihnen als Gefährten für eine Nacht. Hier wird Politik gemacht, hier entstehen Intrigen und Koalitionen, hier residiert im Grunde die Intelligenz des Landes. Dennoch ist Radubis nicht glücklich, denn bisher hat in ihrem Leben eines gefehlt: erfüllte Liebe.

Sie weiß mit den Männern zu spielen und sie sich gewogen zu halten, sie wird von ihren Verehrern finanziert, aber ihr Herz ist, wie einer der Berater Pharaos behauptet, versteinert.

Als Radubis Pharao selbst aus der Ferne zu sehen bekommt, ändert sich ihr Leben: Sie verliebt sich in den jähzornigen, hochmütigen Herrscher, erkennt jedoch die Hoffnungslosigkeit ihrer Sehnsüchte - und leidet.

Da stiehlt ihr ein Adler beim Baden eine Sandale und wirft sie Pharao in dessen Palast in den Schoß. Pharao ist fasziniert von dem kostbaren Schuh und möchte mehr über dessen Besitzerin erfahren. Schließlich besucht er Radubis in deren Palast, und es kommt, wie es kommen muss: Der mächtigste Mann des Reichs und die schönste Frau des Landes verfallen einander, Radubis gibt alle ihre bisherigen Liebhaber auf, und Pharao vernachlässigt seine Regierungsgeschäfte. Da sich aber die mächtige Priesterschaft vehement gegen Pharaos letzte Entschlüsse auflehnt, kommt es zum Eklat. Radubis hat eine kluge Idee, die das Reich vor dem Bürgerkrieg retten könnte, doch einer ihrer enttäuschten Liebhaber entspinnt eine raffinierte Intrige.
Und so erleiden Radubis und Pharao ein Schicksal, wie es in der hohen Literatur der großen Liebe fast immer vorbestimmt ist.

Der Nobelpreisträger Nagib Machfus hat mit diesem kurzen, doch eindrucksvollen Roman der Liebe ein bemerkenswertes Denkmal gesetzt. Zum einen zeigt er die nicht unwesentlich destruktiven Eigenschaften der Leidenschaft auf, in die Liebe bisweilen mündet, so wie sie sich in Pharaos Passion für die schöne Radubis zeigt, zum anderen präsentiert er die Liebe der Gemahlin Pharaos, die alles in ihren Möglichkeiten Stehende unternimmt, um die sich abzeichnende Katastrophe zu verhindern.

Auf jener düsteren Seite der Liebe steht auch Pharaos Berater und Radubis' verflossener Liebhaber, dessen Liebe zum Hass umschlägt, als er erkennt, dass er dem mächtigeren Rivalen weichen muss, und der rücksichtslos die innere Stabilität des Landes riskiert, um sich zu rächen.

Ausdrucksstark und einfühlsam schildert der Autor die emotionalen und erotischen Irrungen und Wirrungen, denen die Protagonisten ausgesetzt sind; bemerkenswert gut weiß er sich in Radubis, eine außergewöhnliche Frau, hineinzuversetzen. Radubis' Schönheit wird zum Fluch, die aufrichtige Liebe von Pharaos Gattin zur Farce, der Herrschende entzieht sich seiner Verantwortung und gibt sich ganz seinem Gefühl und seinen Trieben hin: Nagib Machfus vermag es in einmaliger Art, die unerfüllten Bedürfnisse und großen Nöte der Menschen zu schildern und zugleich aufzuzeigen, wie durch die Verfehlung des rechten Maßes Schicksale besiegelt und Katastrophen heraufbeschworen werden.

Eine historisch bezeugte Persönlichkeit wird hier zum Zentrum eines großen Liebesromans, der zugleich als geschichtliches Epos Machtbefugnisse und Tradition infrage stellt.

(Regina Károlyi; 05/2009)


Nagib Machfus: "Radubis"
(Originaltitel "Radubis")
Aus dem Arabischen von Doris Kilias.
Unionsverlag, 2009. 251 Seiten.
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