Hans-Joachim Maaz: "Die neue Lustschule"
Sexualität und Beziehungskultur
Der
Wille zur Lust
"Wir sind eine - bezogen auf Sexualität -
hysterisierte und
narzisstisch beziehungsgestörte Gesellschaft. Deshalb
blühen die Geschäfte
mit Sex-Ersatz wie Prostitution, Pornografie und einem Sexmarkt mit
'Spielzeugen' und Potenzmitteln." Solch eine fatale Bilanz
zieht der
Psychiater, Psychoanalytiker und Chefarzt der Psychotherapeutischen
Klinik im
Evangelischen Diakoniekrankenhaus Halle Hans-Joachim Maaz. Schon zu
DDR-Zeiten kämpfte
er für psychoanalytische und tiefenpsychologische
Therapieformen, die im
SED-Staat tabuisiert waren. Nach der Wende wurde er vor allem durch
seine Bücher
"Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR" (1990), "Der
Lilith-Komplex"
(2005) und "Die Liebesfalle" (2007) bekannt.
In seinem gegenständlich besprochenen Buch hat sich Maaz mit
der Lust beschäftigt
und meint, dass eine sexualisierte Gesellschaft - wie die
gegenwärtige - eine
Form der Lust- und Beziehungsstörung signalisiert.
"Was an individueller Hingabe und Liebe
nicht mehr gelingt,
das soll
durch äußere Attribute und hysterisierte Geilheit
ausgeglichen werden. Ein
solcher Ersatz zeigt immer die Tendenz zu süchtiger Steigerung
der
Darstellungen und dem Gerede und Getue und vor allem ein nicht zur
Entspannung führendes
sexuelles Erleben", so der Autor in einem Interview. Aber
gerade die
sexuelle Zufriedenheit hat ungeheuer positive Auswirkungen auf den
ganzen
Menschen und sein Sozialverhalten. Das Intime, so Maaz, ist als Basis
für die
Qualität einer Gesellschaft zu verstehen.
Das Ding mit der Lust
Ganz so einfach scheint das "das Ding mit der Lust" jedoch nicht zu
sein. Die Lustmöglichkeit ist genauso wie die
Möglichkeit zu sprechen oder Gefühle
zu entwickeln eine anthropologische Tatsache. Ihre Entfaltung muss
erlernt und
geübt werden. Denn zu viele äußere -
Erziehung, gesellschaftliche Normen,
moralische Werte -, aber auch innere Einflüsse -
Ängste, Unsicherheit oder
Minderwertigkeitsgefühle - wirken auf Lustentfaltung und
Lusterfahrung.
Das Hauptanliegen des Buches ist, die innerseelischen und
beziehungsdynamischen
Gründe der Lustbehinderung zu verstehen. Hans-Joachim Maaz
nimmt dabei keine
Hand vor den Mund. In einer offenen Atmosphäre und mittels
einer unverklemmten,
"schamlosen" Sprache, die jedoch niemals Seriosität und den
fundierten wissenschaftlich-psychologischen Hintergrund vermissen
lässt,
versucht er den Leser zu animieren, einmal tief in sich zu schauen,
sich zu
reflektieren und eine ganz individuelle
erotisch-sexuelle
"Sprache" zu
erlernen, "die aus der Selbsterfahrung erwächst und
eigene
Wahrnehmungen, Wünsche, aber auch Unangenehmes kommuniziert".
In mehreren Kapiteln erörtert Maaz die wesentlichen Inhalte
einer
"Lustschule". Diese beinhalten - grob umrissen - die wesentliche
Verbesserung der Sexualität durch Beziehungserleben (aber auch
deren
Behinderung) und die Einsicht, dass Sexualität
körperlich (muskulärer
Freiraum für energetische Ladung), psychisch
(Konfliktbefreiung) und
beziehungsdynamisch (Zurücknahme von Übertragungen
aus belastenden frühen
Beziehungserfahrungen mit den Eltern)
gelernt werden muss.
Als Ratgeber im herkömmlichen Sinn, von denen es mittlerweile
unzählige auf
dem Markt gibt, ist das Buch allerdings nicht zu verstehen, sondern es
richtet
sich an die Leser, die bereits erlebt und verstanden haben, dass nur
eine ständige
persönliche Reflektion und sich mit anderen Menschen in
Beziehung zu setzen der
richtige Weg ist und nicht das ständige Konsumieren von
medialen Angeboten,
nach denen dann gehandelt wird. Denn, so der Autor, "das
Anrichten der
Speisen und ihre Zusammenstellung zu einem Menü bleiben dem
Geschmack, der Fantasie
und der Experimentierfreude des jeweiligen Kochs überlassen."
"Die neue Lustschule" von Hans-Joachim Maaz bietet eine lohnende und
sinnvolle Orientierung für ein lust- und liebevolles Leben.
Deren
"Anwendung" oder Umsetzung bleibt eine lebenslange Aufgabe, die sich
jedoch ohne Zweifel lohnen kann. Denn: "Je mehr guter Sex,
desto weniger
Neurose - je weniger Neurose, desto besser der Sex." (H.-J.
Maaz). Ein
empfehlenswertes, intelligentes Buch, ein Plädoyer
für die Lustschule, auch
wenn der Autor - und das sei als einziges Manko zu vermerken - die
Intimrasur
als Absurdität und Abnormalität abstempelt.
(Heike Geilen; 10/2009)
Hans-Joachim
Maaz: "Die neue Lustschule. Sexualität und Beziehungskultur"
C.H. Beck, 2009. 240 Seiten.
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Hans-Joachim
Maaz war lange Zeit Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und
Psychosomatik des Diakoniekrankenhauses Halle. Bei C.H. Beck erschien
von ihm
zuletzt "Die Liebesfalle. Spielregeln für eine neue
Beziehungskultur":
"Die Liebesfalle. Spielregeln für eine neue
Beziehungskultur"
Wie können wir den Gefühlsstau in unseren Beziehungen
auflösen und zu einer
neuen, durch Ehrlichkeit und Offenheit geprägten
Beziehungskultur finden?
Liebe, das bedeutet oft nicht nur Leidenschaft und
gute
Gefühle, sondern auch
Verstrickung und tiefe Enttäuschung aufgrund
unerfüllt bleibender Erwartungen.
Die Liebesfalle schnappt immer dann zu, wenn der Partner dazu benutzt
wird,
erlittenes Leid abzureagieren, und die Beziehung die Folgen vorhandener
Störungen
verstärkt.
Der bekannte Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz zeigt in
diesem
Buch, wie man der Liebesfalle entkommt. Den Schlüssel dazu
sieht er in einer
gelebten Beziehungskultur, zu der z.B. gehört: die eigene
Befindlichkeit zu
reflektieren, erst zu fühlen und dann zu handeln, sich
unverstellt mitzuteilen,
Mut zu klaren Ansagen und Aussagen, zuzuhören, ohne Druck
auszuüben, stets
verhandlungsbereit zu bleiben.
Maaz' Buch ist voller Zuversicht: Eine lebendige Beziehung kann zur
Quelle
dynamischer Weiterentwicklung beider Partner werden und ihnen tiefe
Befriedigung
jenseits von
Konsum und Erfolgsdruck verschaffen. (C.H. Beck)
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Noch zwei Buchtipps:
Dr. Ruth K. Westheimer, Pierre
Lehu: "10 Geheimnisse für richtig guten Sex. Wie Sie es jedes
Mal genießen"
Die Urmutter der Sexualerziehung verrät in diesem Buch ihre
zehn
Erfolgsgeheimnisse für ein erfülltes Liebesleben.
Jenseits aller Traumbilder,
die die Medien uns vermitteln, ist Dr. Ruth hingegen auf dem Boden der
Tatsachen
geblieben. Auf unnachahmlich sympathische und freimütige Art
lädt Dr. Ruth die
Leser dazu ein, das eigene Liebesleben Schritt für Schritt zu
revolutionieren.
Sie zeigt, worauf es wirklich ankommt: wie auch langjährige
Paare die Romantik
beim Sex wiederentdecken können, lernen, offen
Wünsche zu thematisieren und
freie Zeit für ein aktives Liebesleben einzuplanen. So wird
das Liebesleben zur
schönsten Nebensache der Welt. (Campus)
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Faramerz Dabhoiwala: "Lust und Freiheit. Die Geschichte der ersten sexuellen Revolution"
Mit verführerischem Flair und analytischem Scharfsinn erzählt der Autor die Geschichte der modernen Sexualität. Anschaulich schildert er die Lebenswelten der Menschen im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert und die gravierenden Veränderungen im Umgang mit der Sexualität seit dem
Mittelalter.
Wir leben in einer Zeit der sexuellen Freiheit und Selbstbestimmung. Unsere modernen Vorstellungen von Sexualität sind das Ergebnis eines tiefgreifenden historischen Wandels. In seinem glänzend geschriebenen und weltweit vielbeachteten Buch erzählt und deutet Faramerz Dabhoiwala die
Geschichte der Sexualität neu. Quellenstark und unterhaltsam beschreibt der Autor, wie sich der Umgang mit dem eigenen Körper, mit Lust und Leidenschaft aufgrund neuer revolutionärer Ideen bereits im Jahrhundert der Aufklärung radikal wandelte. Es ist die Geschichte von zahllosen bisher von der Geschichtsschreibung unbeachteten Männern und Frauen, von Werken der Kunst, Literatur und der Philosophie und ihrem prägenden Einfluss auf die moderne Welt.
Faramerz Dabhoiwala, geboren 1969, wuchs in England und den Niederlanden auf. Er studierte Geschichte an der Universität von Oxford. Heute lehrt er dort als "Senior Fellow" britische und europäische Geschichte am "Exeter College". (Klett-Cotta)
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