Luo Lingyuan: "Die Sterne von Shenzhen"
Ein handlungsreicher Roman
über das neue China
In der Zeit kurz vor der Rückgabe
Hongkongs an die Volksrepublik
China
hat der Geschäftsmann Dai Xingkong in noch sehr jungen Jahren mit
vergleichsweise moralischen Geschäftspraktiken in der Stadt Shenzhen mit die
Spitze des ökonomischen Olymps erreicht, woran er auch immer seine Mitarbeiter
teilhaben lässt. Seine zweigleisige Arbeit im Bereich der traditionellen
chinesischen Medizin als Massenprodukt und im Bereich moderner
Computertechnik scheint unschlagbar zu sein.
Deswegen muss seine Firma "Tenglong" ("Aufsteigender Drache")
auch einen neuen Firmensitz bauen lassen.
Im Zusammenhang mit diesem Aufbau und beflügelt durch seine umtriebige
Werbeleiterin Roula, die ihm auch auf persönlichere Art und Weise zu Diensten
sein möchte, beginnt er seine Fühler immer weiter auszustrecken und auch den
Firmensitz über das Notwendige hinaus zu vergrößern, was zu einer Art "Turmbau
von Shenzhen" führt.
Die Anforderungen dieses Turmbaus und einiger anderer ehrgeiziger Projekte
bringen Dai Xingkong immer mehr in Widerspruch mit seiner eigenen
Firmenphilosophie und seinen alten Freunden, was sich auch negativ auf seine
Gesundheit auswirkt. Und ausgerechnet jene moralischen Grenzen, die er nicht überschreitet,
bereiten ihm schließlich die größten Schwierigkeiten.
Von der Figur des Dai Xingkong ausgehend zeichnet Luo Lingyuan das Bild Chinas
vor der Wiedergewinnung Hongkongs und auch der Zeit direkt danach, das zeigt,
wie sehr der wirtschaftliche Aufschwung Chinas mit der Atmosphäre und den
Praktiken des Kapitalismus
der "Wildwest-Zeit" sowie des späten 19. und beginnenden 20.
Jahrhunderts zu vergleichen ist. Im Sinne der Helden von Steinbeck und London
ist Dai Xingkong dabei zunächst eine moralische Gegenfigur zu seinen
Mitwettbewerbern, der deswegen beim Leser viele Sympathien weckt.
Sein Straucheln, das schließlich zum Fall seiner Firma führen soll, ist nicht
das Ende der Geschichte, sondern zeigt, dass es bei allen wirtschaftlichen Überlegungen
und allen Negativbeispielen, die wir im Moment auch in unserem Kulturkreis
sehen, Menschen gibt, die mit Geld und Macht sowohl verantwortungsbewusst als
auch ethisch umgehen können und wollen.
Wieder zeichnet die Autorin hier das Bild eines Chinas der nahen Vergangenheit,
ähnlich wie in "Du
fliegst jetzt für meinen Sohn aus dem fünften Stock", wobei sie sich
in "Die Sterne von Shenzhen" aber einer anderen Ebene der chinesischen
Gesellschaft angenommen hat. Inwiefern ihre Sicht durch ihre eigene Situation
bestimmt ist, ist zu hinterfragen, aber als zusätzliche Orientierung für den
Leser in der neueren chinesischen Kultur und Geschichte ist dieser Roman
sicherlich ebenso interessant wie lesenwert, und als eine Reflektion über Moral
und Geschäftsleben allemal.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 01/2009)
Luo Lingyuan: "Die Sterne von Shenzhen"
dtv premium, 2009. 413 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen