Luo Lingyuan: "Wie eine Chinesin schwanger wird"
Multikulti
aus ungewöhnlicher
Perspektive
Als die chinesische Fotografin Tingyi nach mehreren in Deutschland
verbrachten
Jahren zusammen mit ihrem deutschen Lebensgefährten ihre
chinesische Familie
besucht, ahnt sie bereits, dass dies zu erheblichen Schwierigkeiten
führen
wird. Ihre Eltern sind konservativ, und sie ist das schwarze Schaf der
Familie,
die Revolutionärin, diejenige, die ohne Rücksicht auf
die Familie ihren
Lebenstraum verwirklicht. Doch zum 70. Geburtstag des Vaters soll
Harmonie
herrschen und die Familie vereinigt sein.
Schon unmittelbar nach dem Eintreffen des Paares werden die beiden mit
dem
Wunsch der Eltern nach einem Enkelkind konfrontiert. Robert zeigt sich
durchaus
nicht abgeneigt, denn eine süße kleine Tochter
wäre sein Traum. Eigentlich möchte
auch die zweiunddreißigjährige Tingyi ein Kind, doch
sie wehrt sich gegen den
von der Familie auferlegten Zwang.
Während der deutsche Lebengefährte und die im Rahmen
der chinesischen
Tradition dominant auftretenden Eltern beim jeweiligen
Gegenüber mehrmals
anecken, kommt es auch zu allerlei Gefühlsverwirrungen. Tingyi
trifft wieder
mit ihrem früheren Professor zusammen, in den sie als
Studentin sehr verliebt
war - und die Schmetterlinge im Bauch sind keineswegs verschwunden.
Andererseits
ist Robert nicht blind gegenüber den Reizen der Assistentin
des Professors,
zumal diese ihre Weiblichkeit sehr gezielt einzusetzen weiß.
Robert sitzt zwischen allen Stühlen; Tingyi, verzweifelt
bemüht, zwischen
Robert und ihrer Familie zu vermitteln und ihre Eifersucht zu
bezähmen,
ebenfalls. Wie soll eigentlich der gewünschte Nachwuchs
gezeugt werden, wenn
stets einer der beiden potenziellen Elternteile schmollt?
So richtig sind die Familie in Kanton und Robert nicht aufeinander
vorbereitet,
und eine
ideale Vorbereitung wäre wohl gar nicht
möglich gewesen, denn so viel
Unvorhersehbares geschieht während des kurzen Aufenthalts des
deutsch-chinesischen Paares in der Heimat der Frau. Dass die Ehe der
Eltern
durchaus Risse aufweist, dass sowohl Tingyi als auch Robert von
Angehörigen des
jeweils anderen Geschlechts stark angezogen sind, dass Gesten und
Wünsche
missverstanden werden; der endgültige Bruch scheint
bevorzustehen.
Schön, wenn die Autorin aufzuzeigen mag, wie Liebe dann doch
alle Schranken überwindet,
die
kulturellen inklusive, die aber vielleicht gar nicht das
Hauptproblem
darstellen, denn Eifersucht
und Verführbarkeit bestehen in
allen Kulturen.
Luo Lingyan stellt in unkompliziertem Stil und mit viel Humor die
Untiefen einer
chinesisch-deutschen Beziehung vor, die durch den Besuch in der
chinesischen
Heimat der Frau unbeabsichtigt auf die Probe gestellt wird. Der Leser
lernt das
moderne China kennen mit seinen Licht- und Schattenseiten, er
erfährt, wie das
West-Bild der Chinesen aussieht und wie beiderseits die Vorurteile
beschaffen
sind. Kulinarisches
spielt ebenso eine Rolle wie Religiöses
und Brauchtum. Es
bereitet Vergnügen, diesen unterhaltsamen Roman zu lesen, ohne
dass der
Tiefgang allzu kurz kommt.
(Regina Károlyi; 10/2009)
Luo
Lingyuan: "Wie eine Chinesin
schwanger wird"
dtv premium, 2009. 199 Seiten.
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Noch
ein Buchtipp:
Feng Li: "Ein vermeintlicher Herr"
Der Roman erzählt, ironisch zugespitzt, die Geschichte eines
Mannes in
mittleren Jahren - unglücklich verheiratet,
zeugungsunfähig, mit spärlichem
Haarwuchs -, der sich Mitte der 1990er-Jahre als Leiter eines
"Forschungsinstituts für Kultur" in einer chinesischen
Provinzstadt
vornimmt, wenigstens einmal im Leben etwas zustande zu bringen, das
seinen
Prinzipien und innersten Wünschen entspricht. Er verstrickt
sich dabei jedoch
in eine Farce, an deren Ende er - nein, nicht ganz mit leeren
Händen dasteht,
sondern, immerhin! - die Frau seines Lebens gefunden hat, eine ebenso
spröde
und unkonventionelle wie intelligente und liebesfähige
Persönlichkeit. (Ostasien
Verlag)
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