Károly Lovik: "Der gerissene Windhund / Der Goldbürger"


Zwei humorvolle, romantische Erzählungen aus dem Ungarn des ausgehenden 19. Jahrhunderts

Der ungarische Journalist Károlyi Lovik lebte und wirkte um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Er hat u.A. Erzählungen und Romane verfasst, in denen die Spätzeit der Donaumonarchie wunderbar porträtiert wird. Zu diesen Erzählungen gehören auch "Der gerissene Windhund" und "Der Goldbürger" im nach der Ersteren benannten Band aus der Reihe "Literaturwunderland Ungarn" des Verlags Kortina.

In "Der gerissene Windhund" geht es um eine Familie namens Balsai aus der ungarischen Provinz, deren einziger Lebensinhalt ihre Windhundzucht und die Windhundjagd sind; beides wird seit vielen Jahrhunderten in dieser Familie betrieben. Die ganze Region begeistert sich für den Jagdsport mittels Windhunden, die paarweise auf Kaninchen gehetzt werden. Ernsthafte Konkurrenten für die Balsai-Hunde hat jedoch nur eine andere vornehme Familie zu bieten.
Bei einer großen Jagdveranstaltung scheint es, als ob der Hund der Balsai-Familie jenen des konkurrierenden Bárándi-Clans besiegt hätte, doch Schiedsrichter Balázs Bogdány, ein junger Mann aus weniger angesehener Familie, disqualifiziert den Balsai-Hund aufgrund regelwidrigen Verhaltens.
Familie Balsai kann dies nicht akzeptieren und sinnt auf Rache am Schiedsrichter. Freilich hat der Balsai-Patriarch die Rechnung ohne seine hübsche und empfindsame Tochter Klárika gemacht, die nicht nur insofern innerhalb der Familie aus der Reihe tanzt, als sie Windhunde und die Jagd gründlich verabscheut und ihre Angehörigen wegen ihrer Fixierung auf die Tiere und das sinnlose Abschlachten der Hasen insgeheim verachtet, sondern sich unsterblich in Balázs Bogdány, den Schiedsrichter, verliebt.
Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Verpflichtung der lächerlichen Familie gegenüber, versucht Klárika, Balázs heimlich zu schützen, während sie andererseits weiß, dass ihr Vater ihr niemals erlauben würde, den verhassten Schiedsrichter zu heiraten - falls dieser daran überhaupt Interesse hätte. Danach sieht es nämlich ganz und gar nicht aus, als Klárikas Vater seine Geheimwaffe gegen Balázs richtet, seine blutjunge, verwitwete Schwägerin, verrucht und schön, die schon während ihrer Ehe mit einem wesentlich älteren Mann reihenweise Männerherzen gebrochen und deren Besitzer in den Ruin getrieben hat.

"Der Goldbürger" ist ein alteingesessener Pester schwäbischer Abkunft, dessen Geiz nur durch seine Sturheit übertroffen wird. Dank seiner zahlreichen Immobilien und anderen glücklichen Investitionen hat er ein gewaltiges Vermögen angehäuft. Als der Protagonist Péter Pető, ein Bummelstudent, bei der Wohnungssuche Interesse an einem Quartier im Besitz von Goldbürger Jeromos Bauernebel findet und sich dort einmietet, wird er mit zahlreichen sonderbaren Gegebenheiten und Vorkommnissen konfrontiert.
Schließlich erfährt Pető, dass Bauernebel zwei Töchter hat, deren eine, ledig, ganz in seinem Sinne lebt, stur und geizig. Die andere, sehr jung verwitwet, ist den schönen Seiten des Lebens nicht abgeneigt, weshalb ihr Vater sie enterbt hat; worauf sie begann, ihn mit allerlei raffinierten Aktionen zu ärgern. Er schlug zurück, und daraus ist ein widerwärtiger Kleinkrieg entstanden.
Pető freundet sich mit einem anderen Mieter an, der arm wie eine Kirchenmaus ist und sich deshalb von der Witwe hat engagieren lassen, Bauernebel und die weiteren Mieter durch ständiges Fagottspiel und Singen zu schikanieren. Dummerweise hat sich der Fagottspieler in die andere Tochter verliebt, und dies wohl hoffungslos: Er steht ja nicht nur auf der gegnerischen Seite, sondern hat dem geizigen Mädchen finanziell nichts zu bieten.
Da Pető nun auch noch in Liebe zu der jungen Witwe entflammt, versuchen die beiden, einander zu helfen, was zu allerlei komischen Verstrickungen führt.

Ohne allzu sehr ins Oberflächliche abzugleiten, weiß Lovik die eigentlich recht einfache Handlung in beiden Kurzromanen auszuschmücken, mit ein paar originellen Wendungen zu versehen und mit viel unaufdringlichem Humor zu würzen, sodass die Geschichten zu einem unterhaltsamen, vergnüglichen Leseerlebnis werden. Die Charakterstudien verraten einen aufmerksamen, unbestechlichen Beobachter, der jedoch auch dem unsympathischsten Zeitgenossen den ein oder anderen liebenswerten Zug verleiht, sodass es nicht zur Schwarzweißmalerei kommt. Der Patriarch, der alternde Dandy, die Femme fatale, das unschuldige junge Mädchen, der streitsüchtige alte Geizhals und seine ähnlich gestrickten, aber attraktiven Töchter, der sorglose Bummelstudent und der erfolglose Musiker: Sie und andere Originale sind typische Figuren ihrer beziehungsweise Loviks Zeit und haben doch in der Darstellung des Autors etwas Zeitloses, weil jeder solche Persönlichkeiten kennt.
Auch die Orte, einmal in der Provinz, einmal mitten in (Buda-) Pest, werden gekonnt mit einbezogen. Lovik vermittelt wunderbar Stimmungen und lässt trotz aller in die Handlung eingebauten Ironie auch hin und wieder echte Romantik zu - mit einem leichten Hang zum Kitsch, wenn dann doch neuerlich eine Prise Sarkasmus eingestreut wird. Gesellschaftskritik ist in den beiden Erzählungen gut dosiert zu finden.
Es bereitet Vergnügen, diese beiden Kurzromane zu lesen eine höchst unterhaltsame Bett- oder Feierabendlektüre, Zeugnis der nur scheinbar heilen Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Ungarn.

(Regina Károlyi; 07/2009)


Károly Lovik: "Der gerissene Windhund / Der Goldbürger"
(Originaltitel "A kertelő agár, Az aranypolgár")
Deutsch von Viktor Zachar.
Kortina Verlag, 2009. 328 Seiten.
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