"Die wundersamen Irrfahrten des William Lithgow"

Herausgegeben von Roger Willemsen


Lithgows Reiseerzählungen nach 400 Jahren erstmalig ins Deutsche übersetzt

Ein bemerkenswertes Reisetagebuch hat der Schotte William Lithgow den staunenden Lesern hinterlassen. Weil die Brüder seiner Angebeteten ihm beide Ohren abgeschnitten hatten, floh er seine Heimat, um sich in fremde Länder zu begeben, wo ein Mann ohne Ohren seinem Glauben nach nicht sonderlich auffallen würde. Diese und weitere Kuriositäten zur Person William Lithgows können wir Roger Willemsens informativem Geleitwort entnehmen. Willemsen stellt dem Text also ein kurzes Porträt des Reisenden William Lithgow voran, das als sehr gelungen bezeichnet werden kann, wenn auch manchmal ein wenig überzeichnet. Denn weder vermag der Rezensent in diesem Buch ein gewichtiges, bisher vernachlässigtes Werk der englischen Literaturgeschichte zu erkennen, noch kann er darin einen William Lithgow sehen, der "vornehmlich im Widerstand gegen alles, was er sieht" durch die Welt reist. Der Autor erscheint keineswegs als der unverbesserliche Misanthrop, als den der Herausgeber ihn hinstellen möchte.

Lithgow besaß zweifellos eine erstaunliche Beobachtungsgabe, und er verfügte auch über ein weitverzweigtes Interesse, das ihn auf seinen Reisen leitete. Wenn er auch nicht zu den Gipfeln sprachlicher Vollkommenheit emporklimmen konnte, sein Stil ist weder naiv noch holprig. Folglich wirken die Illustrationen, die dem Leser suggerieren wollen, hier sei ein dilettantischer Sprachstümper am Werk, ein wenig unpassend. Gewissermaßen als Leitmotiv stellen Papans Illustrationen nämlich immer wieder einen William Lithgow dar, der in einer krakeligen Kinderhandschrift fehlerhafte Texte aufs Papier bringt. (Oder sollte am Ende vielleicht der Übersetzer etwas Sprachkosmetik betrieben haben?)

Nun ist das Reisen von damals natürlich nicht zu vergleichen mit dem bequemen Reisen von heute. Die Reisenden des frühen 17. Jahrhunderts waren in viel höherem Maß den Unwägbarkeiten des Augenblicks oder den Launen des Zufalls ausgeliefert. Und den Tribut, den das Reisen zur damaligen Zeit in der Regel forderte, hat der Autor William Lithgow denn auch reichlich entrichten müssen. Seine Reisen gerieten ihm zu einer wahren Tour de force, Gewalttätigkeiten jeglicher Art und Dimension bis hin zur Folter unter der spanischen Inquisition war der bedauernswerte Lithgow ausgesetzt. Aber er war ein Stehaufmännchen wie es im Buche steht, nichts und niemand konnte ihn anfechten, William Lithgow trotzte allen Widrigkeiten, und es kann wahrhaftig als ein Wunder bezeichnet werden, dass er von seinen drei Reisen stets lebendig, wenn auch stark lädiert, zurückgekehrt ist.

Quasi im Telegrammstil gibt er seine Abenteuer zum Besten, Detailbeflissenheit kann man ihm schwerlich nachsagen. Er formuliert zumeist lakonische Sätze, in denen aber bisweilen drakonische Ansichten und Meinungen geäußert werden. Seine leicht überwürzte Polemik erscheint manchmal erfrischend, manchmal ein wenig zu penetrant. Da, wo sich sein unvoreingenommener Sachverstand verabschiedet, reist er an den Krücken seiner Vorurteile durch die Welt. Weder der milde Geist einer ausgleichenden Versöhnung, noch der kühle Atem räsonierender Objektivität ist ihm zu eigen, aber ein Querulant trübsten Wassers, wie es der Herausgeber in seinem Geleitwort anklingen lässt, ist er dennoch nicht. Beinahe ebenso häufig wie seine negative Polemik findet man anerkennende und lobende Aussagen wie "Die Frauen der Stadt sind von engelhafter Schönheit." Oder: "... und sie alle gehörten zu den freundlichsten, aufmerksamsten und ehrbarsten Gentlemen, denen ich je begegnet bin, ganz besonders die Deutschen." Und über einen Karawanenführer äußert er sich: "So führte er sein Amt nicht mit Überheblichkeit, sondern mit Voraussicht und bewundernswerter Kühnheit. Und ich für meinen Teil kann nur sagen, dass ich ihm für die Sorgfalt, mit der er sich während der Reise um mich kümmerte, gar nicht genug danken kann." Türken und Katholiken schien er weniger zu mögen, besonders die Papisten belegt er mit den grellsten Farben von Hohn und Häme. Dabei spielen vielleicht seine schlimmen Erfahrungen in den Gefängnissen und Folterkammern der spanischen Inquisition eine gewichtige Rolle.

Lesenswert sind "Die wundersamen Irrfahrten des William Lithgow", die in deutscher Erstauflage erscheinen, in jedem Fall. Das Buch ist unterhaltsam und erheiternd, denn Lithgow weiß auch so einiges an Kuriosem zu berichten, doch nicht immer vermag der kritische Leser ihm seine ungeschminkte Ehrlichkeit abzunehmen.

(Werner Fletcher; 10/2009)


"Die wundersamen Irrfahrten des William Lithgow"
Herausgegeben von Roger Willemsen.

Übersetzt von Georg Deggerich.
mare, 2009. 382 Seiten mit zwölf farbigen Illustrationen von Papan.
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