Donna Leon: "Das Mädchen seiner Träume"

Commissario Brunettis siebzehnter Fall


Problematische Ermittlungen in einem schwierigen sozialen Umfeld

Kommissar Brunettis Mutter wird beigesetzt; den Segen spricht ein Priester, der mit Brunettis Bruder zur Schule gegangen ist, viele Jahre als Missionar in Afrika gearbeitet hat und nun noch nicht lange wieder in Venedig lebt.
Dieser Priester sucht wenige Tage nach der Beerdigung Brunetti in dessen Büro auf und bittet ihn um Hilfe, weil der Sohn einer guten Freundin in die Hände eines eigenartigen Sektenführers geraten zu sein scheint und von diesem offensichtlich finanziell ruiniert wird. Brunetti ist skeptisch, auch dem früheren Klassenkameraden seines Bruders gegenüber, verspricht aber, sich der Sache anzunehmen.

Damit hat er gerade begonnen, als die Leiche eines elfjährigen Mädchens in einem Kanal gefunden wird. Da niemand das Kind als vermisst gemeldet hat, dauert es einige Zeit, bis sich herausstellt, dass es sich um Ariana Rocich handelt, ein Romamädchen aus einer Siedlung am Festland. Ariana ist offensichtlich ertrunken, sie hatte zwei wertvolle Schmuckstücke bei sich. Zudem litt sie bereits massiv an einer Geschlechtskrankheit.
Das Bild dieses unglücklichen kleinen Mädchens verfolgt Brunetti in seine Träume, vor allem nach einem Besuch des Lagers, in dem Ariana mit ihrer Familie in einem Wohnwagen gelebt hat.

Spuren führen zu einer wohlhabenden und vor allem einflussreichen Familie. Brunetti bräuchte Zeugenaussagen von Arianas Geschwistern, die den Tod des Mädchens offensichtlich miterlebt haben, und weiß doch, dass von noch nicht einmal strafmündigen Romakindern stammende Angaben vor Gericht kaum Gewicht haben dürften.

Der Leser, der angesichts des Titels und der Angaben auf der Buchrückseite zumindest nach Abschluss der Beschreibung der Beerdigung von Brunettis Mutter auf eine Mädchenleiche gewartet hat, wundert sich.
Allem Anschein nach geht es in diesem Krimi nämlich um die Machenschaften einer ominösen Sekte, möglicherweise auch um Verfehlungen innerhalb der katholischen Kirche, ist doch der ehemalige Mitschüler von Brunettis Bruder und jetzige Priester ein recht geheimnisvoller Mann.

Nachdem die Handlung ziemlich lange eher vor sich hingedümpelt ist, von durchaus stimmungsvollen Beschreibungen venezianischer Alltagsszenen ergänzt, tritt auf Seite 129 dann doch die mittlerweile vom Leser womöglich bereits abgeschriebene Mädchenleiche auf den Plan. Nun beginnt sich die Geschichte recht spannend zu entwickeln, denn schon die Identifikation des scheinbar von niemandem vermissten Mädchens mit den ganz offensichtlich gestohlenen Schmuckstücken, das dem pathologischen Befund zufolge manches nicht altersgerechte Erlebnis gehabt hat, bereitet einige Schwierigkeiten.

Am Ende wird der rätselhafte Tod von Ariana einigermaßen rekonstruierbar. Einige Fragen bleiben freilich offen, denn, wie Brunetti zu seiner Frau meint: "Das hier ist nicht einer von deinen Romanen, wo die Personen sich im letzten Kapitel zur Auflösung in der Bibliothek einfinden."

Ah, ja. Ein guter Hinweis. Immerhin wird das eingangs von Brunetti angegangene Sektenproblem zwar nicht gelöst, doch vom Betroffenen abgewendet.

Das sozialkritische Element, in Donna Leons Kriminalromanen immer präsent, ist auch in diesem Roman sehr ausgeprägt, wenn nicht dominierend. Angesichts der in der Tat - und nicht nur in Italien - schwierigen Beziehung zwischen manchen Romafamilien und eingesessener Bevölkerung beziehungsweise Gesetz wäre dies auch angemessen, wenn es nicht auf weiten Strecken auf Kosten der Spannung und Vielschichtigkeit ginge, die letztlich einen guten Krimi ausmachen.

Eine leidlich gute Geschichte mag "Das Mädchen seiner Träume" sein, als Krimi ist das Buch kein großer Wurf. Man darf also auf den nächsten "Commissario Brunetti" hoffen.

(Regina Károlyi; 07/2009)


Donna Leon: "Das Mädchen seiner Träume. Commissario Brunettis siebzehnter Fall"
(Originaltitel "The Girl of His Dreams")
Übersetzt von Christa E. Seibicke.
Gebundene Ausgabe:
Diogenes, 2009. 352 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Diogenes, 2010.
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