Wolfgang Sofsky: "Das Buch der Laster"


Wolfgang Sofsky erkundet das Spektrum unmoralischer Haltungen

Dieses Werk passt überhaupt nicht in unsere Zeit und ist gerade deshalb so wichtig. Das sei quasi als Einleitung zum Buch des freien Autors und als luzider Beobachter der politischen Szene Deutschlands und seiner Gesellschaft bekannten Wolfgang Sofsky gesagt.
Die Bücher über die Ursachen des Bösen sind gerade anno 2009 wie Pilze aus dem Boden geschossen und zeigen etwas von dem in einer schon lange säkular gewordenen Gesellschaft aufgebrochenen Erklärungsbedarf auf. Allerlei psychologische und auch manche tapfere theologische Deutung konnte man da lesen, im Bemühen, das Böse, seine Entstehung, seine Wirkung und seine Weiterverbreitung auf irgend eine Art zu fassen und vor allen Dingen seine Kontingenz zu bewältigen.

Wolfgang Sofsky hingegen ist der Überzeugung, dass die schlechten Werke der Menschen, ihre Übeltaten und Verbrechen in der Regel nicht einer gezielten Willkür oder gar Bosheit entspringen, sondern Unsitten und Lastern, die sich über eine lange Zeit des "Alles ist erlaubt" regelrecht eingebürgert haben.
Jedermann kann es beobachten, und für manche ist es Grund zu hartnäckiger Verzweiflung: Offenbar lebt man mit schlechten Gewohnheiten und Lastern besser, als wenn man sich, ob nun aus einer religiösen und eher säkularen Motivation heraus, an die Gebote des Guten hält.

In seinem "Buch der Laster" hat Wolfgang Sofsky sie alle aufgelistet und jedem ein ganzes Kapitel, einen kleinen, gut kulturhistorisch abgesicherten und begründeten Essay gewidmet, in dem er jeweils aufzeigt, welche Bedeutung die einzelnen Laster für Politik und Gesellschaft haben.
Da geht es um Gleichgültigkeit, Vulgarität, Trägheit, Selbstmitleid, Feigheit, Torheit, Starrsinn, Habgier, Geiz, Maßlosigkeit, Neid, Ungerechtigkeit, Geltungssucht, Hochmut, Unterwürfigkeit, Zorn, Hinterlist und Grausamkeit.

Wie jeder beim Lesen dieses skeptischen und tiefgehenden Buches spüren kann, ist da immer auch vom einzelnen Menschen die Rede und von den Schattenseiten seiner Natur. Jeder Einzelne trägt mit dem Ausleben seiner Laster oder auch nur mit ihrer resignierten Hinnahme ("Ich bin nun einmal so, und die Anderen sind ja noch viel schlimmer. Wenn ich da an XY denke ...") dazu bei, dass unsere Gesellschaft lasterhafter, unmenschlicher und kälter geworden ist.

Die Sprache von Sofskys Essays klagt nicht an, sie beschreibt auf hohem Niveau Zustände von M
enschen und ihren Seelen und führt den Leser auf eine wichtige Spur, dass nämlich in ihm selbst auch alle gegenteiligen Tugenden vorhanden sind und er sie leben kann.

Sofsky ist ein Moralist, aber er moralisiert nicht. Seine Essays sind Einladungen zum Menschsein, nicht zum Gutmenschentum, das noch verlogener daherkommt als das Laster.

(Winfried Stanzick; 01/2010)


Wolfgang Sofsky: "Das Buch der Laster"
C.H. Beck, 2009. 272 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen