Wolfram Weimer: "Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit"

Warum die Krise uns konservativ macht


Verstohlener Abtritt der 68er und 89er

Meinungsumfragen und Wahlergebnisse lassen Rückschlüsse zu, die auf den ersten Blick verwundern: In der Wirtschaftskrise wird nicht etwa links gewählt, für mehr soziale Gerechtigkeit, wie es sich etwa in Deutschland die Partei "Die Linke" erhofft hat, sondern eher konservativ.

Diesem Phänomen geht der Journalist Wolfram Weimer, Gründer des Magazins "Cicero" und nach eigener Aussage Angehöriger der 89er-Generation, in seinem Buch "Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit" auf den Grund.
Die 89er, das sind jene, die die 68er als bestimmende Kraft ablösten und meinten, der Mauerfall in Deutschland sei ein Symbol für eine Generation, der keine Mauern im Weg stünden; sie sind mehr oder weniger die Begründer der Spaßgesellschaft, locker, tolerant, verspielt, liberal eben - und ihr Lebenskonzept hat, so der Autor, ausgedient, seit sich die ersten Vorboten der Wirtschaftskrise zeigten.
Weimer zeigt auf, dass Rucks hin zum Konservativen eine Art natürlicher Reflex sind, und er zeichnet die Entwicklung der Parteienlandschaft während der letzten Jahrzehnte nach, wobei er auch der Pendelbewegung nach Links bei den Konservativen Beachtung schenkt.

Der Blick in die Richtung von Staaten, die lange Zeit über Linksdiktaturen unterworfen waren, lässt erkennen, dass die Folge von zu viel Links ebenso russischer Oligarchismus sein kann wie beispielsweise chinesischer oder polnischer Neo-Nationalismus, nicht aber eine neo-liberale Gesellschaft.

Um die Wendung hin zum Konservativen verständlich zu machen, erläutert Weimer die Ursachen der Wirtschaftskrise und bricht eine Lanze für die allseits als muffig-spießig empfundene Bonner Republik, der er die Diktatur der DDR gegenüberstellt.

Damit, dass letztlich auch nur eine Rückbesinnung auf einst etablierte Werte, von der ichbezogenen Spaßgesellschaft verdrängt und vergessen - darunter auch die Religion -, eine Positionierung im so genannten Kulturkampf ermöglicht, setzen sich mehrere Kapitel auseinander, und schließlich erhält der Leser acht Regeln für den Konservativen.

Weimer, 1964 geboren, gehört, wie er gleich eingangs feststellt, zu der Generation, die keine Generation mehr sein wollte und natürlich doch eine war: "wir", die 89er, und die erste Person Plural zieht sich in diesem Kontext durch das Buch, wenngleich die um 1950 Geborenen nur zu einem geringen Teil echte 68er waren und auch die Angehörigen der 60er-Jahrgänge keineswegs geschlossen dem 89er-Leitbild entsprechen. Nun, sei es drum, tonangebend war diese "Generation" in der Tat lange Jahre, und es ist berechtigt, dass Weimer sie und ihre Ideen (selbst-) kritisch hinterfragt.

Der Autor vermag es, sehr gut nachvollziehbar den Weg Deutschlands vor allem während der letzten zwei, drei Jahrzehnte zu skizzieren mit seinen Links- und Rechtswindungen und jener Mitte, die nie wirklich Mitte sein konnte und kann. Vor allem stellt er die Hauptursachen für die Verunsicherung der Bürger vor, die derzeit zu einer Hinwendung zum Konservatismus mit seinen lange Zeit etablierten Werten führt, der wiederum, Weimers sorgfältiger Argumentation zufolge, am ehesten Lösungsansätze für die aktuellen politischen, kulturell-ethischen und wirtschaftlichen Probleme bereithält.

Dennoch handelt es sich bei "Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit" nicht um ein plattes Plädoyer für die konservativen Kräfte in Politik und Gesellschaft. Weimer provoziert bisweilen, freilich in einmal launigem, dann wieder fein ironischem Ton, meistens ficht er mit dem Florett und nicht mit dem Säbel. Er kann aber auch schon einmal ein wenig schwadronieren, wenn dies ins Konzept passt, das immer schlüssig wirkt. Die Sachlichkeit kommt nie abhanden, und Weimers eleganter, doch nicht zu glatt polierter Stil macht das Buch zu angenehmer Lektüre. Dank dieser Mischung setzt man sich gern mit dem Erbe von 68 und 89 auseinander: anspruchsvolle, logisch und überzeugend präsentierte Inhalte in kurzweiliger, humorvoller Verpackung.

(Regina Károlyi; 08/2009)


Wolfram Weimer: "Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit. Warum die Krise uns konservativ macht"
Gütersloher Verlagshaus, 2009. 160 Seiten.
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