Hiromi Kawakami: "Herr Nakano und die Frauen"


Vom Schmerz des Erwachsenwerdens und den kleinen Wundern des Lebens und Liebens

Hitomi arbeitet nicht in einem Antiquitäten-, sondern in einem Trödelladen. Auf diese Unterscheidung legt ihr Arbeitgeber, Herr Nakano, großen Wert. Es sind Herr Nakano, seine Schwester Masayo und sein junger Mitarbeiter Takeo sowie wenige weitere Menschen, die mit Nakano oder dem Laden zu tun haben, von denen Hitomi während ihrer Zeit als Angestellte in diesem Laden geprägt wird.
Vor allem lernt Hitomi die vielen Facetten der Liebe kennen. Masayo, eine Puppenmacherin und mehr oder weniger verkrachte Existenz, findet mit Mitte fünfzig die große Liebe und fragt sich, wie lange man ein Mädchen bleiben darf, und wann man zur Frau werden muss.

Herr Nakano hat viel Sinn für die Schönheit von alten Kunstgegenständen, umso mehr allerdings für jene junger Frauen. Neben seiner Ehefrau hält er sich stets eine oder mehrere Geliebte, eine Gewohnheit, der Hitomi und Takeo rasch auf die Spur kommen. Hitomi ist fasziniert von Sakiko, Nakanos aktueller Geliebter, einer selbstbewussten, zauberhaften Schönheit, erfährt jedoch mit der Zeit, dass auch Sakiko verletzlich ist, und dass Schönheit von innen kommen muss, um zu leuchten.
Und nicht zuletzt löst Hitomi selbst Begehren bei manchem skurrilem Kunden aus.
Sie jedoch hat sich in Takeo verliebt, der sich allerdings selbst als Versager sieht und ihr deshalb verzweifelt ausweicht. Die beiden verletzen einander bewusst und unbewusst, und es gelingt ihnen nicht, einander ihre Liebe mitzuteilen.
Als der Laden modernen Entwicklungen zum Opfer fällt und Herr Nakano beschließt, ihn nur noch im Internet weiterzuführen, verlieren Hitomi und Takeo ihre Arbeit und einander aus den Augen.
Nach einiger Zeit begegnen sie einander erneut. Sie haben beide unabhängig voneinander damit begonnen, ihre Träume zu verwirklichen, und sich weiterentwickelt zu selbstbewussten, in sich ruhenden Menschen. Bei einem Treffen in Herrn Nakanos Laden begreifen sie, dass ihre Liebe eine zweite Chance hat.

Dieser Roman lebt von skurrilen Charakteren, allen voran Herrn Nakano, der seiner jungen Mitarbeiterin Hitomi beispielsweise ein Romanmanuskript vorlegt, in dem eine Frau sehr offen Schritt für Schritt darlegt, wie sie sich Sexualität wünscht. Das Manuskript stammt von Herrn Nakanos Geliebter. Als er Hitomis Verlegenheit bemerkt, fragt er sie, ob das sexuelle Belästigung sei.

Der alte Kunstlehrer Tadokoro geht mit erotischen Fotos aus seiner Jugend hausieren, und der Liebhaber von Nakanos Schwester Masayo lässt sich von seinem Vermieter bis aufs Blut schikanieren und verschwindet plötzlich.
Und nicht zuletzt sind da die Frauen, die Herrn Nakano lieben und hassen.
Hitomi gehört nicht zu den Frauen, deren Charme Herr Nakano erliegt. Dafür wäre dieser Kavalier der alten Schule zu korrekt, auch wenn er keine Hemmungen hat, ihr das genannte Manuskript zur Lektüre zu überlassen. Doch Hitomi lernt von Herrn Nakano und den von ihm geliebten Frauen, Schwester Masayo eingeschlossen.
Diese Erfahrungen ermöglichen es ihr, Takeo wiederzufinden und sich neu zu verlieben, nachdem sie etwas Abstand gewonnen und ihr Leben endlich geordnet hat, wozu auch gehört, alte Empfindlichkeiten zu begraben und in mehr als einer Hinsicht einen Neuanfang zu wagen.
Dass Takeo sein Leben in ähnlicher Weise in die Hand genommen hat und nun auch seine Liebe äußern kann, zeigt, dass er in Nakanos Laden ebenfalls Anstöße für seine Zukunft erhalten hat.

Der sensibel gezeichnete Roman spielt nicht nur in einer dem Westeuropäer relativ fremden Welt, nämlich Japan, sondern schildert zudem eine eigenartige Enklave in der japanischen Großstadt, einen Ort, der über der Hektik des Zeitgeistes steht und seine eigene Kultur entwickelt. Das Aufgehen dieses Ladens im Internet ist mehr als symptomatisch für die Vereinnahmung durch die Außenwelt, doch, wie Herr Nakano am Ende sagt: "Trotzdem wird Nakanos Laden nie vergehen." Vor allem bleibt das, was die Protagonisten dort entwickelt haben.

Die Autorin weiß die Liebe in zarte Prosa zu fassen und alle Nuancen einer aufkeimenden Beziehung mit ihren kleinen und größeren Höhen und Tiefen, Missverständnissen, Glück und Schmerz einfühlsam zu schildern.
Ein ruhiger, doch stimmungsvoller, feinsinniger Roman, dessen Lektüre sich lohnt.

(Regina Károlyi; 02/2009)


Hiromi Kawakami: "Herr Nakano und die Frauen"
Übersetzt aus dem Japanischen von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler.
Hanser, 2009. 224 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2011. 224 Seiten.
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Zwei weitere Bücher der Autorin:

"Bis nächstes Jahr im Frühling"
Noyuri und Takuya sind seit sieben Jahren verheiratet, als Noyuri erfährt, dass ihr Mann ein Verhältnis hat.
Bisher war sie von ihrer Ehe wenig begeistert. Doch jetzt, als Takuya ihr die Trennung vorschlägt, erkennt sie, wie sehr sie an ihm hängt. Auf einer gemeinsamen Reise wird sich entscheiden, ob sie es wagt, auf eigenen Beinen zu stehen.
Kawakami, die Meisterin atmosphärischer Liebesgeschichten, erzählt, wie eine Ehe und Liebe zerbricht. Auf lakonische Weise erzeugt sie eine große psychologische Spannung und zeigt, dass sich selbst hinter den alltäglichen Ereignissen ein menschliches Drama verbergen kann. Ein poetischer Roman aus Japan über die großen menschlichen Fragen und die Tragik falscher Entscheidungen.
Hiromi Kawakami, 1958 in Tokio geboren, studierte Naturwissenschaften und unterrichtete Biologie, ehe 1994 ihr erster Roman erschien. Ihre Bücher wurden mit zahlreichen japanischen Literaturpreisen ausgezeichnet, und sie zählt zu den populärsten Schriftstellern Japans.
"Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß" (2008) war ihr erster sehr erfolgreicher Roman auf Deutsch, es folgten "Herr Nakano und die Frauen" (2009) und "Am Meer ist es wärmer" (2010). (Hanser)
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"Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß. Eine Liebesgeschichte"
Eine selbstbewusste Frau, ein alter, weiser Mann, reichlich Sake, etwas Walfischspeck und immer wieder Lotuswurzel - Zutaten dieser stillen, faszinierend fremden Liebesgeschichte aus Japan. Tsukiko ist achtunddreißig und lebt allein. Zur Liebe, glaubt sie, sei sie nicht begabt. Da trifft sie in einer Kneipe ihren alten Japanisch-Lehrer wieder, den sie nur den Sensei nennt. Auch er lebt allein, in einer etwas verwahrlosten Wohnung, wo er merkwürdige Gegenstände sammelt. Einer sucht die Nähe des anderen und scheint gleichzeitig vor ihr zu fliehen. Selten wurde die Annäherung zweier Menschen so subtil und zugleich eindringlich beschrieben. (dtv)
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