Jenny Kau: "Angstfänger"
Eine Sammlung dramatischer Geschichten
Ein
dunkler Rausch der Sinne
"Die Tränen, die man wegen eines Buches
vergießt, sind etwas ganz
Besonderes.
Das Lachen, das einem durch geschriebene Worte entschlüpft,
klingt kurzweiliger
und echter.
Und die Menschen, die man auf den Seiten eines Buches kennen lernt, die
einen
noch Tage, Wochen, Jahre lang, begleiten, sind das
außergewöhnliche Vermächtnis
eines Schriftstellers.
Sein Dank, seine Geschichte, aufgeschrieben, um die Menschen zu
erreichen."
Diese Worte setzt Jenny Kau (Jahrgang 1976) ihrer Geschichtensammlung
"Angstfänger" voran.
Es sind keine lustigen und unterhaltsamen Geschichten, die sie dem
Leser
offenbart, sondern - der Untertitel verrät es bereits - sie
beinhalten das
Dramatische, das Unheilvolle und Aufwühlende. Das Lachen wird
beim Lesen dieses
schmalen Büchleins gänzlich ausbleiben, denn der Tod
ist fast immer präsent.
Angst, Trauer, Furcht, Schmerz und Verzweiflung sind tonangebend.
Zerstörung
und Vernichtung von Hoffnungen allgegenwärtig. Dunkle
Erzählungen über die
Tragik im Leben "normaler" Menschen. Daher ist es nur
verständlich,
dass man von Zeit zu Zeit tatsächlich Tränen
vergießt und dass sich dem Leser
die Protagonisten ins Gedächtnis eingraben. Tragik erzeugt
Verbundenheit.
Jenny Kau lässt ihre Protagonisten von Zeit zu Zeit
über wahrhaft düstere
Abgründe balancieren und ... den Halt verlieren. Ein Hauch von
Einsamkeit und
Verzweiflung macht sich in den dreizehn kurzen und neun
längeren Geschichten
breit. Sei es nun die junge Selbstmörderin, die in
bedrängnisvolles Unglück
geratene Seilschaft oder aber der alte Mann, der lange Jahre ein
tödliches
Geheimnis in sich trug, dass er nun seiner Enkelin offenbart, um
endlich die
"Gespenster der Vergangenheit" zu vertreiben. In "Dunkles
Wasser" wiederum wird eine Wattwanderung einigen Personen, die das Meer
zu kennen glauben, zum Verhängnis. Im "Haus der Stille" -
einem
Waisenhaus - gelingt es der jungen Protagonistin nicht, ihre Schwester
vor dem pädophilen
Hausmeister zu beschützen. Wie so oft verschließen
alle die Augen, statt zu
helfen.
"Einem Beobachter wäre aufgefallen, dass sich die
Schatten
hinter der
zarten Gestalt zusammenballten, als würden sie sich sammeln,
um etwas
Gewaltiges zu gebären. Etwas, das so grausam und böse
war, dass es sich in den
lichtlosen Schatten verstecken musste", heißt es in
der Erzählung
"Auf leisen Schwingen". Und genauso ergeht es dem Leser, hinter dessen
Rücken sich gleichfalls die Dunkelheit zusammenzieht und einen
adrenalingesättigten
Schauer des Unbehagens hinterlässt.
Aber auch die leisen Töne beherrscht die Autorin
großartig. Berührend und mit
verzweifelter Trauer berichtet sie zum Beispiel in "Rosentage" von der
an Alzheimer
erkranken alten Frau, die ihre Tochter nicht mehr erkennt
oder der
jungen Mutter in "Schmetterlinge im Regen", die den tragischen Tod
ihres Kindes nicht verwunden hat und ihm die angeblich vergessenen
Pausenbrote
in die Schule bringt.
Dieses Buch ist sicherlich nicht für depressive Tage geeignet,
wenn nasses, trübes
Grau in den Bäumen hängt. Kein Sonnenschein bedingt
lustige Schattenspiele,
sondern Kaus Texte rufen eher dunkle Nebelschwaden, die durch die Luft
wabern
und den Leser einhüllen, hervor. Dennoch zeitigt der Duktus
der Autorin keine
absolutistische Endzeitstimmung. Eine zarte Hoffnung ist immer
allgegenwärtig,
auch wenn es mitunter die Erlösung durch den
Tod
ist. Jenny
Kau nimmt auf
skurrile und unorthodoxe Art und Weise Besitz vom Leser. Ihre Zeilen
schockieren, faszinieren aber gleichzeitig: Tiefensuggestion und
Gefangennahme.
Die Autorin treibt latent und intuitiv durch den Text bis zu einem
kulminierenden, gekonnt in Szene gesetzten Höhepunkt auf den
letzten Zeilen.
Man taucht nach einer Sekunde der Besinnung teilweise sprachlos aus
ihnen auf.
Conclusio:
"Angstfänger" enthält Geschichten, die nicht dem
üblichen Schema
folgen, die anders sind und kein glückliches Ende aufweisen.
Tod, Verzweiflung,
Angst,
Trauer und Schmerz sind die zentralen Themen. Nichtsdestotrotz: Ein
dunkler
Rausch der Sinne!
(Heike Geilen; 03/2009)
Jenny
Kau: "Angstfänger"
Books on Demand GmbH, 2009. 132 Seiten.
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