Franz Kafka: "Der Gruftwächter"
(Klangbuchrezension)
Franz
Kafkas einziges Drama entstand in den Jahren 1916 und 1917 und somit in
der Epoche um den Tod von
Kaiser Franz Joseph I. Somit verwundert es nicht,
dass das Klangbuch mit der Kaiserhymne einsetzt, und endet. Zwischen
diesem wohlbekannten Musikstück spielt sich
tatsächlich ein Drama ab, welches den
nahenden Untergang der
Monarchie in sich impliziert.
Kafka hat mit der Figur des "Gruftwächters" einen
Protagonisten geschaffen, der bis in die heutige Zeit interpretiert
werden kann. Eine Figur ohne jegliche Ecken und Kanten, die sich
für eine sinnlose Aufgabe aufopfert, und am Ende
dafür - vielleicht - belobigt wird. Die seherischen
Fähigkeiten von Franz Kafka werden hier wieder offensichtlich.
Insbesondere die bürokratische Systematik hinter dem alternden
Gruftwächter vermag an eine "Ideologie" zu erinnern, von der
sich heutzutage nicht nur Bruchstücke erhalten haben.
Der Gruftwächter ist ein winziges Mosaiksteinchen in einer
Struktur, die dazu geschaffen wurde, bewahrt und an die
nächsten Generationen weitergereicht zu werden. Fürst
und Kammerherr disputieren über mehr oder weniger politische
Themata, ohne sich konkret deklarieren zu wollen. Das Hin- und
Hergeschiebe von Phrasen und Deutungen kann nie zu einem Ende kommen
oder eine Lösung ergeben. Vielmehr dient der
"Gruftwächter" als Angriffsfläche und
Belobigungsvorstellung, der über die Kleinlichkeit eines
zerbröckelnden Systems hinausweist.
Dass der "Gruftwächter" als Hauptfigur des Dramas seinen ihm
zugeteilten beruflichen Tätigkeitsbereich stärker
reflektiert, als dies Fürst und Kammerherr nachvollziehen
können, gibt der Geschichte eine komische Note. Er bewacht
dreißig Jahre lang die Gruft eines adeligen Geschlechts und
sieht des Nachts Gespenster.
Die Stimmen von Hans Neuenfels und Anne Bennent sowie die musikalische
Umsetzung durch Otto Lechner, das "Koehne-Quartett" und Karl Ritter
ergeben im Kontext gesehen eine wunderbare Umsetzung des dramatischen
Textes von Franz Kafka. Das Begleitbüchlein
beschäftigt sich großteils mit der
"Kaiserhymne" und
offenbart die Tatsache, dass der Staatsmann Karl Renner nach Ausrufung
der Republik Deutschösterreich am 12. November 1918 eine neue
Hymne schrieb, welche vom Musiker Wilhelm Kienzl vertont werden sollte.
Es war wohl eine glückliche Fügung des Schicksals,
dass der - an dieser Stelle bewusst nicht gesetzte absurde Text - sich
nie als "neue Hymne" durchsetzen konnte.
Dieses Klangbuch bietet dem Hörer die Möglichkeit,
das einzige Drama von Franz Kafka auf wunderbare Weise interpretiert zu
bekommen. Es kann nur als
Ergänzung zum Kafka-Oeuvre empfohlen sein.
(Jürgen Heimlich; 05/2009)
Franz
Kafka: "Der Gruftwächter"
Mandelbaum Verlag, 2009. Klangbuch, 32 Seiten, mit 1 CD.
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