Jiang Rong: "Der Zorn der Wölfe"
Jiang
Rong ist das Pseudonym von
Lu Jiamin, der 1967 den Arbeitseinsatz in der Mongolei wählte,
bevor man ihn
als unliebsamen Dissidenten irgendwo anders einteilte, wo er besser
überwacht würde.
Er hatte sich nämlich schon in den ersten Studiensemestern bei
den Roten Garden
unbeliebt gemacht, und sein Verstecken
"verbotener Bücher"
sowie die
fragwürdige politische Haltung seines Vaters brachten ihn in
ernsthafte Gefahr,
einer Umerziehung unterzogen zu werden. Die Hauptfigur dieses Romans
namens Chen
Zhen ist sein biografisch-literarisches Alter Ego.
In seiner anfänglichen Ablehnung der neuen Kultur der
Han-Chinesen im Zuge der
Kulturrevolution stürzt sich der junge Chen Zhen ziemlich
kritiklos in die
mongolische Kultur und versucht sich dieser so umfassend wie
möglich
anzupassen. Dabei wird er stark von seinem mongolischen Lehrer Bilgee
unterstützt,
der auch in seiner eigenen Kultur vielen als zu konservativ gilt. Chen
Zhen
sucht in der mongolischen Kultur eine Wahrhaftigkeit und
Stärke, die er bei den
"zivilisierten" Han nicht sieht. Sobald er sein Interesse für
die Wölfe
entdeckt, wird das Buch ganz extrem auf diese als Schöpfer und
Beeinflusser
mongolischer Kultur abgestimmt, und die Wölfe der Mongolen
stehen dabei im
krassen Gegensatz zu den schafsgleichen Han. Gleichzeitig wird hier
immer wieder
die Opposition "Jäger und Nomaden" gegen "Sesshafte"
aufgemacht, wobei Letztere fast durchgängig schlecht
wegkommen. Die Überlegenheit
der mongolischen Kultur wird dabei meist an historischen Beispielen aus
der Zeit
Dschingis Khans festgemacht, und etliche Kapiteleinleitungszitate
beziehen sich
auf die Wolfsnatur bestimmter Größen der
chinesischen und mongolischen
Geschichte.
In vielerlei Hinsicht erinnert das Buch an die Werke des
häufig erwähnten
Jack
London, dessen Romane die Han-Chinesen in ihrem mehr oder
minder
freiwilligen mongolischen Exil ständig untereinander
austauschen - und das
nicht nur hinsichtlich der Grundthematik. Dabei ist der
"Rassenvergleich", der das Buch durchzieht, stark an vergleichbare
Aussagen in der Literatur des ausgehenden 19. und beginnenden 20.
Jahrhunderts
orientiert, was in den extremsten Momenten stark an den
"Stürmer" im
Dritten Reich erinnert. Dies macht die Lektüre bis etwa zur
Mitte des Buches zu
einer überaus zwiespältigen Angelegenheit.
Ab der Mitte des Buches, wenn Chen Zhen "seinen eigenen" Wolf bekommt
und immer mehr Han in die Gegend gelangen, erinnert das "Der Zorn der
Wölfe" auch an "Der
stumme Frühling". Und ab diesem Moment
fällt die Lektüre wesentlich
leichter. Die Sichtweise der ökologischen
Zusammenhänge, welche die breite
Masse der chinesischen Bevölkerung noch nicht so sehr erfasst
hat, wird hier an
allerlei Beispielen ausgeführt, die am Ende immer zum Wolf
zurückführen. Die
Aussagen über Wölfe an sich sind dabei zum Teil etwas
fragwürdig, erinnern
sie doch an Legende, die die genaue wissenschaftliche Beobachtung in
anderen
Kulturkreisen bereits widerlegt hat, und alle Tiere werden stark
anthropomorphisiert. Doch handelt es sich bei "Der Zorn der
Wölfe"
eben in erster Linie um ein gesellschaftskritisches und kein
verhaltensbiologisches Werk - und als solches um durchaus interessante
Lektüre.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 02/2009)
Jiang
Rong: "Der Zorn der Wölfe"
Aus dem Chinesischen von Karin Hasselblatt (mit Marc
Herrmann und Zhang Rui).
Goldmann, 2008. 704 Seiten.
Buch
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Hörbuch (gekürzte
Lesung):
Gesprochen von Martin Bross.
Random House Audio, 2008. 8 CDs; Laufzeit ca. 600 Minuten.
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Jiang
Rong wurde 1946 in der südchinesischen
Provinz Jiangsu geboren. 1967 meldete er sich freiwillig zum
Arbeitseinsatz in
der Mongolei, wo er elf Jahre verbrachte. "Der Zorn der
Wölfe", an
dem er sechs Jahre lang schrieb, sorgte auf Anhieb international
für Furore und
wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet.
Noch ein Lektüretipp:
Yu Hua: "Brüder"
Zwei Brüder - zwei Leben. Li ist ein gerissener
Geschäftsmann. Er verkauft
Müll und abgetragene Anzüge aus Japan. Li scheffelt
Millionen. Bruder Song ist
besonnen, ein Schöngeist und ewiger Pechvogel. Ein bisschen zu
gut für das
moderne China - den wilden Kapitalismus. Aber auch er will am
Wirtschaftswunder
teilhaben. Also lässt er sich seine Brust
vergrößern, um den Landfrauen ein
Gel zu verkaufen, das den Busen praller macht.
"Brüder" ist die tragikomische Geschichte von Li und Sang, die
die
Schrecken der Kulturrevolution überleben und im neuen China
ihr Glück
versuchen. Yu Hua weiß um die Brisanz Chinas, aber er
weiß auch, dass man den
Humor nie verlieren darf. "Brüder" ist die Kehrseite des
Wirtschaftsrausches in China - traurig, klug und sagenhaft komisch. (S.
Fischer) zur Rezension ...
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